"Falls das Vereinigte Königreich künftig eine Änderung seiner roten Linien zulässt (...), wäre die EU sofort bereit zu einer positiven Antwort", sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier am Mittwoch vor dem Europaparlament in Straßburg. Darunter fällt eine noch stärkere Ausrichtung nach EU-Regeln, um künftig eine sehr enge Handelsbeziehung zu gewährleisten.

Gleichzeitig muss sich May am Abend einem Misstrauensvotum stellen. Die oppositionelle Labour-Partei will der Regierungschefin das Vertrauen entziehen. Erwartet wird aber, dass die Premierministerin die Abstimmung gewinnt. Während in der Wirtschaft Sorgen vor einem Konjunktureinbruch durch einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU zunahmen, rief Bundeskanzlerin Angela Merkel Großbritannien dazu auf, Klarheit über den eigenen Kurs zu schaffen. "Es ist an der britischen Seite (...) uns zu sagen, wie es weiter geht." Barnier bekräftigte, eine physische Grenze zwischen Irland und Nordirland müsse verhindert werden. Damit beharrte er in einem der zentralen Streitpunkte auf der EU-Position.

NEUE LINIE DER EU



May hatte am Dienstagabend eine herbe Schlappe einstecken müssen. Das Unterhaus votierte mit 432 zu 202 Stimmen gegen den von ihr ausgehandelten EU-Austrittsvertrag - die schwerste Niederlage für eine britische Regierung in der jüngeren Geschichte. Der Ausgang war zwar erwartet worden, weil auch viele Abgeordnete von Mays Konservativer Partei gegen das Abkommen waren, allerdings nicht in dieser Deutlichkeit. Großbritannien steckt damit in der schwersten politischen Krise seit einem halben Jahrhundert.

Unklar ist das weitere Vorgehen. Möglich wären nach wie vor weitere Verhandlungen mit der EU und ein neuer Anlauf im Parlament, ein ungeregelter Austritt am 29. März, eine zweite Volksabstimmung über den Brexit oder ein Rücktritt von May. May kündigte eine Erklärung bis Montag an. "Es ist meine Verpflichtung, beim Brexit zum Ziel zu kommen."

Schon länger bereitet sich Brüssel hinter den Kulissen auf eine Verschiebung des Ausstiegs der Briten vor - eventuell bis Mitte des Jahres. Nun ist auch Frankreich einem Insider offen dafür. Die EU-Länder würden dies wohl unterstützen, wenn Großbritannien Optionen vorschlage, die mit den EU-Prinzipien in Einklang stünden, hieß es aus dem Umfeld von Präsident Emmanuel Macron.

Kompliziert wäre die Brexit-Nachspielzeit durch die Wahlen zum EU-Parlament Ende Mai. Großbritannien ist dann eigentlich nicht mehr dabei, die Sitze des Landes fallen weg. Der Chef der Liberalen im Parlament, Guy Verhofstadt, warnt bereits vor zu viel Entgegenkommen. "Auch wenn das Königreich mehr Zeit braucht, wäre es ein schlechte Idee, den Austritt auf ein Datum nach der Wahl zum Europaparlament zu verschieben." Der Urnengang ist für den 26. Mai angesetzt.

DEUTSCHE WIRTSCHAFT BANGT



Großbritannien will die EU nach gut 45 Jahren Mitgliedschaft verlassen. Bis Ende 2020 gibt es eine Übergangsphase, in der dort noch EU-Recht gilt. Die Zeit, die notfalls um zwei Jahre verlängert werden kann, gilt aber nur, wenn London vor dem Austritt den Scheidungsvertrag mit Brüssel unterzeichnet. In der deutschen Wirtschaft wachsen unterdessen die Sorgen im Fall eines ungeregelten Brexits. Ifo-Präsident Clemens Fuest rechnet in dem Fall mit "riesigen Kosten". Laut Außenhandels-Präsident Holger Bingmann ist die Zeit vor dem eigentlich für Ende März vorgesehenen EU-Ausstieg zu knapp, um sich in erforderlicher Weise auf einen harten Brexit vorzubereiten: "Ein ungeordnetes Ausscheiden riskiert ein bilaterales Außenhandelsvolumen Deutschlands von über 175 Milliarden Euro - an Ein- und Ausfuhren von Waren und Dienstleistungen. Es droht eine unmittelbar durchschlagende Rezession in der britischen Wirtschaft, die auch an Deutschland nicht unbemerkt vorüberziehen würde", warnte der Chef des Branchenverbands BGA.

rtr