Biologische Substanzen, die Tumorzellen erst erkennen, dann eliminieren und so die Lebenszeit von Krebspatienten erheblich verlängern - darum dreht es sich bei der alljährlich Anfang Juni stattfindenden Konferenz der American Society for Clinical Oncology (ASCO) schon immer. Rund 30 000 Fachärzte, Wissenschaftler, Firmenchefs und Investoren trafen sich dieses Jahr in Chicago auf dem weltweit wichtigsten Kongress für Krebsmedizin.

Die Variation des übergeordneten Leitthemas hieß "personalisierte Medizin". Dank neuer Diagnostikverfahren werden Personen mit einer genetischen Veranlagung für bestimmte Krebserkrankungen identifiziert. Darauf aufbauend haben Pharma- und Biotechunternehmen neue Therapien entwickelt, die mit einem individuellen Wirkprofil genau auf diese Personengruppen zugeschnitten sind.

Immunzellen als Krebskiller



Zu den Highlights der ASCO 2016 zählte Juno Therapeutics. Die US-Biotechfirma hat positive Daten zur Wirksamkeit für einen klinischen Kandidaten gegen akute lymphatische Leukämie in B-Zellen vorgelegt, eine bislang kaum behandelbare Form von Blutkrebs. Juno verfolgt einen völlig neuartigen Gentherapieansatz. Dabei handelt es sich um chimäre Antigenrezeptor-T-Zellen, kurz CAR-T-Zellen. Vereinfacht gesprochen attackieren dabei gentechnisch veränderte körpereigene Immunzellen die Tumorzellen. Diese T-Zellen werden mittels Blutentnahme gewonnen, im Labor neu designt und dann den Patienten wieder per Infusion verabreicht.

Die Wirksamkeitsdaten von JCAR015, so der Projektname des Wirkstoffs, sind beeindruckend. Bei 77 Prozent der Patienten, die mit Chemotherapie vorbehandelt worden waren, verschwand der Tumor vollständig. Hans Bishop, der Firmenchef von Juno, erwartet noch 2017 ein beschleunigtes Zulassungsverfahren. Experten beziffern die möglichen jährlichen Spitzenumsätze auf über eine Milliarde US-Dollar.

Wegen des komplexen Herstellungsprozesses werden die jährlichen Behandlungskosten bei 300 000 bis 500 000 US-Dollar liegen - pro Patient wohlgemerkt. Eine Summe, die Krankenkassen nur dann vollständig übernehmen werden, wenn Langfristdaten die dauerhafte Heilung untermauern, zumal CAR-T-Therapien Immunschocks im Organismus auslösen können.

Auch andere auf CAR-T-Therapien spezialisierte Firmen wie Kite Pharma oder Bluebird Bio feierten vor zwei Jahren ihre Börsendebüts - und brannten danach Kursfeuerwerke ab. Umso kräftiger fiel die Korrektur bei diesen Titeln im Zuge des Abschwungs aus, der seit Sommer 2015 die Kurse der Biotechbranche kräftig drückt. In deren Folge rutschten einige Empfehlungen von BÖRSE ONLINE, etwa Celgene oder Cellectis, unter die Stoppkurse.

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Big Pharma als Produktvorreiter



CAR-T-Produkte zählen zur Immuntherapie. Diese steht wie schon im Vorjahr im Mittelpunkt der ASCO-Präsentationen. Sogenannte Checkpoint-Inhibitoren schalten dabei von mehreren Seiten genau die Proteine aus, welche die Identifizierung der Krebszellen durch die körpereigene Immunabwehr blockieren. Brancheninformationsdienste wie IMS Health beziffern das Umsatzpotenzial von immun-therapeutischen Arzneien für die nächsten zehn Jahre auf bis zu 35 Milliarden US-Dollar im Jahr. Pioniere mit bereits zugelassenen Produkten sind bislang die Pharmakonzerne Merck & Co. und Bristol-Myers Squibb. Deren Präparate Keytruda und Opdivo sind gegen Lungenkrebs und bösartigen Hautkrebs zugelassen - und sollen in Zukunft auch gegen andere Krebsarten wie Nieren- und Blasenkrebs sowie Lymphome angewendet werden. Andere Pharmakonzerne wie Pfizer, Eli Lilly und Novartis ziehen mit eigenen Produktkandidaten nach.

Risiko im Portfolio breit streuen



Klar ist aber auch: Nicht einzelne Megaseller werden die Krebsmedizin dominieren, die besten Heilungsraten verspricht ein Cocktail aus verschiedenen Heilmitteln. Neu zugelassene Arzneien aus der Immuntherapie werden gegenüber der klassischen Chemotherapie an Bedeutung gewinnen, ohne diese ganz zu verdrängen.

Dieser Therapiemix sollte sich auch in Anlegerportfolios widerspiegeln. Einen spekulativen Kick bringen Newcomer wie Juno oder Cellectis aus Frankreich. Die letztgenannte Firma greift bei ihrem Therapieansatz nicht auf körpereigene, sondern auf fremde T-Zellen zurück. Diese erkennen das Antigen CD19 - ein typischer Oberflächenmarker bei akuter lymphatischer Leukämie - und bekämpfen die Tumorzellen. Die Aktie ist wieder kaufenswert. Dank der vergleichsweise niedrigen Bewertung in Verbindung mit einer wachsenden Medikamentenpipeline im Krebsbereich und einer stattlichen Dividende ist Merck & Co. zusammen mit Roche in der Onkologie erste Wahl bei den "Big Pharma".

Unter den Biotechriesen, die mit Krebsmedikamenten Geld verdienen, favorisieren wir wieder die Celgene-Aktie, die derzeit attraktiv bewertet ist. Celgene lieferte auf der ASCO überzeugende Daten für Abraxane bei Bauchspeicheldrüsenkrebs. Incyte ist dank der Umsätze mit seinem ersten Produkt auf dem Sprung in die Gewinnzone.





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