Herr Halver, der Dax hat im Januar einen Horrorstart hingelegt. Alleine am Mittwoch ging es um fast drei Prozent nach unten. Alleine seit Jahresanfang liegt das Minus inzwischen bei 12,5 Prozent. Was sind die Gründe für die Talfahrt?


Es ist das Trio Infernale. Es ist Chinas Konjunkturschwäche, es ist der einbrechende Ölpreis, der als Menetekel für die Weltkonjunktur im Sinne einer schwache Nachfragte der Rohstoffländer betrachtet wird, und es ist die Euro-Sklerose, also die Angst, dass sich Europa zersetzt.

Wie tief kann es noch gehen?


Die Märkte müssen sich erst austoben. Charttechnisch ist im Dax ein Rückschlag unter die Marke von 9000 Punkten theoretisch möglich.

Aber der Markt ist überverkauft, die Konjunktur in Deutschland brummt und die Bewertungen im Dax inzwischen sehr moderat. Aktuell liegen wir beim einem 2016er-KGV von 11,5.


Leider mussten wir in der Vergangenheit oft genug feststellen, dass eine miese Stimmung an den Finanzmärkten auch die Realwirtschaft handicapt. Wir sind eben alle Menschen mit Gefühlen, keine Konsum- und Investitionsmaschinen. Wäre der Aktienmarkt in China seit Jahresanfang nicht so eingebrochen, wäre die chinesische Wachstumsdiskussion nicht so massiv aufgekommen, und auch der Druck auf den Ölpreis wäre vermutlich weniger stark ausgefallen. China hat schlafende Hunde geweckt. Hier können Maos Erben vom Leid geprüften Westen durchaus noch viel lernen: Der Zweck heiligt die Mittel.

Auf Seite 2: Wie gefährlich sind die fallenden Ölpreise?





Viele Marktexperten haben die fallenden Ölpreise zunächst als Konjunkturprogramm bejubelt, jetzt sehen die ersten Beobachter die fallenden Ölpreise als Fanal für einen möglichen Rückfall in die Rezession?


In der Tat: Die wie gesprengte Hochhäuser zusammenfallenden Rohstoffpreise werden spätestens seit Jahresbeginn als apokalyptisches Omen für die Weltkonjunktur und, na klar, auch wieder für die Finanzmärkte gesehen. In der Tat, in Russland, Saudi-Arabien oder Brasilien ziehen sich Konjunktur- und Finanzlaune gegenseitig nach unten. Ich will die Bedeutung dieser Länder für die weltwirtschaftliche Kaufkraft und damit deren Prosperität sicher nicht klein reden. Aber wo Schatten ist, ist auch Licht.

Für die konjunkturzyklischen und exportstarken Aktienunternehmen der Industrieländer liegt nicht zuletzt im Rohstoffeinkauf ihr Gewinn, auch der Gewinn für die Kaufkraft der westlichen Konsumenten. Und wenn jetzt der Iran auf den Ölmärkten wieder mitspielen darf, wird das Objekt der Begierde nicht nur noch günstiger. Gleichzeitig schreit der infrastrukturell und industriell veraltete Iran förmlich nach deutschem Industrie-Know-How. Die Aufhebung der iranischen Sanktionen wird damit auch den Sanktionen gegen Russland entgegenwirken. Endlich wieder etwas mehr fundamentaler Speck an den abgenagten Konjunkturknochen.

So wird am Aktienmarkt an die Stelle des Kaufkraftverlustes der Rohstoffländer allmählich der Kaufkraftgewinn der Industrieländer treten. Daher sind Industrieländer gegenüber Emerging Markets und Rohstoffländern überzugewichten. Früher oder später wird es DAX und MDAX freuen.

Aber es gibt ja noch ein anderes Risiko: Die Frackingindustrie hat ihre Investitionen über milliardenschwere Kredite und Anleihen finanziert. Droht da eine Art Immokrise reloaded?


Klar kann man einwenden, dass der schwache Ölpreis der US-Frackingindustrie aktuell die Luft zum Atmen raubt. Verschärft wird die Lage dadurch, dass diese Industrie in den nächsten zwei Jahren ca. 80 Prozent ihrer Unternehmensanleihen refinanzieren muss. Wer traut sich da zuzugreifen? Aber wird eine US-Notenbank tatsächlich zuschauen, dass die Frackingblase ähnlich platzt wie die Immobilienblase 2008 und weiteres Öl in das Feuer der Verunsicherung gießt?

Im Extremfall werden unnötigerweise noch mehr schlafende Krisenhunde geweckt, die als bösartiges Rudel einen internationalen deflationären Stimmungsschock wie 2008 auslösen könnten. Politische Krisen wie die Euro-Sklerose könnten unbeherrschbar werden. Und wie will man dann überhaupt noch gegensteuern, wenn die Zinsen bereits de facto bei null liegen und die Staatsverschuldung bereits völlig aus dem Ruder gelaufen ist? Alle Mühe, alle aufwendige Heilung seit 2008 war dann für die Katz.



Auf Seite 3: Also sollten Anleger noch abwarten?





Also sollten Anleger noch abwarten?


Die Märkte sollen sich erst einmal austoben. Ich bin zumindest froh, dass es am Jahresanfang passiert. Was aber die Anleger unbedingt machen sollten, sind Aktienansparpläne! Nie waren sie so wertvoll wie heute!

Bei welchen Branchen bzw. Aktien sehen Sie aktuell die besten Chancen?


Wenn die stabilitätspolitischen Maßnahmen u.a in China greifen, sind die zyklischen deutschen Branchen Maschinenbau, Elektro, Chemie, Auto und Konsum gefragt.

Wo sehen Sie den Dax zum Jahresende?


Wer 2016 in der Finanz- und Geldpolitik schlechte Laune, Rezession und Deflation zulässt, begeht wirtschaftlichen Selbstmord. So grenzenlos dumm kann niemand sein. Die US-Zinswende muss mindestens ausgesetzt werden, und China muss und wird massiv und stützend eingreifen. Die Wahrheit ist, dass die Rettung unseres Finanzsystems nicht mehr mit Stabilität im ursprünglichen Sinne vereinbar ist. Ansonsten macht es knall, puff, peng! Von daher bleibe ich Optimist. Wir werden das Jahr über 11.000 Punkte abschließen.