Handelsstreit, Brexit, Schuldenkrise in Italien, hoch volatile Märkte und eine sich weiter eintrübende Konjunktur: Das Jahr 2019 birgt zahlreiche Risiken. Gottfried Heller erläutert, wie daraus Chancen werden können. Mit über einem halben Jahrhundert Börsenerfahrung gilt er als einer der besten Kenner der Finanzmärkte.

BÖRSE ONLINE: Die Börsen sind unruhig ins neue Jahr gestartet. An welchem Punkt der Korrektur an den Märkten stehen wir?

Gottfried Heller: Derzeit ist die Stimmung sehr pessimistisch. Sämtliche Konjunkturprognosen sind herunterkorrigiert. Gemessen an den Fundamentaldaten sind Aktien inzwischen aber wieder relativ günstig bewertet. So hat der US-Leitindex S & P 500 derzeit ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15. Nimmt man noch die FAANG-Aktien raus, also Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google, dann liegt das KGV bei nur noch 12,5. Das ist deutlich unter dem historischen Schnitt und fast auf dem DAX-Niveau von 11,5.

Ist die Talsohle also bereits erreicht?

Zumindest ist die Korrektur schon sehr weit vorangeschritten. Von diesem Punkt aus kann es eigentlich nur noch besser werden. Hinzu kommt: Die Notenbanken haben panische Angst vor einer Rezession, weil sie keine Munition mehr haben, um dagegenzuhalten. Sie werden alles tun, sie zu verhindern.

Ist ein solches Szenario dennoch möglich?

Sehr unwahrscheinlich. Eine Rezession wäre erst dann wahrscheinlich, wenn bei einem Konjunkturboom die Inflation stark gestiegen wäre und die Notenbanken mit hohen Zinsen dagegenhalten müssten. Das ist aber nicht der Fall, die Inflation verläuft mit unter zwei Prozent in geordneten Bahnen. Nicht nur markttechnisch, auch fundamental und monetär sieht es derzeit also eher positiv aus.

Das heißt, Sie bauen bereits Positionen auf?

Derzeit steht noch ein großer Stolperstein im Weg, und das ist der Brexit. Man wird aber eine Lösung finden, etwa indem man den EU-Verbleib der Briten zunächst verlängert. Nur bei einem abrupten Austritt ohne Abkommen könnte es tatsächlich zu einer Rezession kommen, aber das wird man nicht riskieren. Für Investments würde ich also noch warten, bis die Brexit-Hürde übersprungen ist. Aber dann kann man, glaube ich, schon mal einsammeln.

Wo würden Sie sammeln gehen?

Ich würde vor allem Value- und Nebenwerte nehmen, und die deckt man am besten über börsennotierte Indexfonds (ETF) ab. Bei den defensiven Titeln würde ich zudem auf hohe Dividendenrendite achten. Man sollte außerdem die Emerging Markets im Blick haben.

Sehen Sie dort auch eine Bodenbildung?

Außer Problemfällen wie Argentinien oder der Türkei sind viele Länder heute besser strukturiert, sie sind reifer und stabiler geworden und nicht mehr so hoch verschuldet. Vom Kapitalmarkt her sind sie aber doppelt geprügelt worden, von der Kurs- wie von der Währungsseite her. Als es abwärtsging, hatten sie einen doppelten Hebel nach unten, während es nun umgekehrt mit doppeltem Hebel wieder nach oben gehen könnte. Technisch gesehen durchlaufen die Emerging Markets tatsächlich eine Bodenbildung.

Auf welche Regionen würden Sie setzen?

Ich würde nicht in einzelne Länder investieren, in Thailand, Korea, Taiwan, Russland oder Türkei, auch wenn sie günstig erscheinen. Nur auf China zu setzen wäre wegen des Handelsstreits ebenfalls zu riskant. Ein ETF in globale Indizes wie den MSCI Emerging Markets (zum Beispiel iShares Core MSCI Emerging Markets) ist in so unsicheren Zeiten wie jetzt auf jeden Fall die bessere Wahl. Mit einem KGV von gut zehn ist dieser Index historisch günstig.

Welches Störfeuer könnte 2019 noch aus den USA kommen?

Die US-Zwischenwahlen haben eine Pattsituation geschaffen, da die Demokraten das Repräsentantenhaus mit klarer Mehrheit zurückerobert haben. Sie können also alles blockieren, und der US-Präsident kann nicht mehr schalten und walten, wie er will. Das gilt auch für den Handelsstreit mit China. Zudem waren solche Patts statistisch gesehen immer gute Börsenjahre. Ebenso waren die dritten Jahre einer Präsidentschaft immer die besten Börsenjahre. Das sind zwei Punkte, die auch noch dafür sprechen, dass sich 2019 die Börsen wieder fangen, wenn die Brexit- Hürde übersprungen ist.

Wenn Sie auf den deutschen Markt blicken: Welche Branchen oder Einzeltitel erscheinen Ihnen hierzulande interessant?

Chemieunternehmen wie BASF mit einer Dividendenrendite von fünf Prozent halte ich grundsätzlich für vielversprechend. Bei Value-Titeln kämen auch Versorger infrage, allerdings nicht die deutschen, denn die haben immer noch das komplexe Problem mit der Energiewende. Banken würde ich in Deutschland nicht anfassen, breiter aufgestellte Versicherungen dagegen schon eher. Bei Investments in DAX-Unternehmen sollte man aber grundsätzlich bedenken, dass der DAX nicht nur einer der schwankungsreichsten Indizes der Welt ist, sondern auch ein schlechter Orientierungswert. Er ist voll von Auto- und Finanztiteln, während Wachstumswerte weitgehend fehlen. Er ist zudem ein Industrieindex mit vorwiegend veralteten Industrien, deswegen sollte man bei Investments in Deutschland eher den MDAX oder den TecDAX mit ihren wachstumsstarken Titeln im Blick haben. Die Ursünde der Deutschen ist, dass sie immer nur in den DAX investieren wollen und dadurch ein völlig verzerrtes Bild von der Welt bekommen, die bei Weitem nicht so volatil ist.

Und welche konkreten Nebenwerte haben Sie im Blick?

Bei Nebenwerten würde ich ebenfalls grundsätzlich in einen ETF investieren. Denn bei diesen Werten ist die Berichterstattung sehr spärlich, im Gegensatz etwa zu großen Konzernen wie Siemens, die von Analysten rauf- und runterbesprochen werden. Wer da Stockpicking machen will, muss sich wirklich reinknien. Da würde ich eher einen MDAX- oder SDAX-ETF nehmen oder einen ETF auf internationale Nebenwerte (zum Beispiel: iShares MSCI World Small Caps).

Gehören Technologiewerte jetzt ins Depot?

Technologiewerte sind langfristig zwar wichtig und ertragreich, sie haben aber jahrelang nur Zuflüsse gehabt und sind deshalb zunehmend in schwächere Hände geraten, weshalb sie jetzt auch so stark korrigieren. Da war viel Schaum drauf. Technologieaktien würde ich derzeit nur sehr selektiv kaufen.

Gold hat zuletzt deutlich zugelegt. Was halten Sie von dieser Anlageklasse und ihrem Image als sicherer Hafen?

Angesichts der weltweiten Probleme und der verbreiteten Unsicherheit hätte Gold eigentlich noch viel stärker steigen müssen. Ist es aber nicht. Denn Gold profitiert zwar von Pestilenz und Cholera, braucht aber auch etwas Inflation, die sich in Grenzen hält. Ich betrachte Gold immer als totes Metall und bin selber nicht in Gold investiert. Gold ist riskant. Aber als letzte Art von Sicherheit, wenn alles zugrunde geht, könnten ein paar Goldmünzen für den einen oder anderen eine ähnliche Wirkung haben wie ein Aspirin im Nachtkästchen.

Buchtipp: "Die Revolution der Geldanlage" von Gottfried Heller, Finanzbuch Verlag, 2018