Immer mehr deutsche Unternehmen mit Geschäft in Großbritannien kalkulieren mit einem ungeordneten EU-Austritt des Landes im kommenden Frühjahr. Bankkonzerne wie Commerzbank oder Deutsche Bank ziehen Geschäft aus London ab. Der Autohersteller BMW will im April kommenden Jahres unmittelbar nach dem Brexit sein Mini-Werk in Oxford vier Wochen lang schließen, "um Risiken einer Unterbrechung der Teilelieferung durch einen Brexit ohne Folgeabkommen zu minimieren", wie er mitteilte.

Ein Brexit ohne Deal gilt zwar als Worst-Case-Szenario für die deutsche Wirtschaft, wird aber angesichts des politischen Streits über die Brexit-Ausgestaltung immer wahrscheinlicher. Laut Industrie- und Handelskammertag DIHK stellen sich viele Betriebe bereits notgedrungen auf einen ungeordneten Brexit ein, also auf "Grenzkontrollen, Zölle, mehr Bürokratie und deutlich höhere Kosten", so der DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier.

Auch bei ThyssenKrupp laufen die Vorbereitungen. Der Industriekonzern spricht derzeit mit seinen Geschäftspartnern, um Brexit-Risiken zu erfassen und einzugrenzen. Exakte Auswirkungen auf das eigene Geschäft seien derzeit zwar schwer kalkulierbar, sagte eine Thyssenkrupp-Sprecherin. "Klar ist aber, dass ein harter Brexit-Warenverkehr oder Zollabfertigung negativ beeinflusst. Das ist schlecht für integrierte Wertschöpfungsketten."

Siemens wiederum verweist darauf, dass es für den Konzern wichtig sei, dass Produkte, Dienstleistungen und Mitarbeiter relativ leicht zwischen Großbritannien und der EU hin und her pendeln könnten, wie ein Sprecherin erläutert. "Wenn die Brexit-Gespräche endgültig scheitern sollten und es kein Abkommen gibt, würde das diese Prozesse sehr beeinträchtigen", sagte eine Sprecherin. "Dadurch käme es bei Siemens zu erhöhten Kosten sowie zu einer verringerten Wettbewerbsfähigkeit."

Besonders betroffen wären Banken. Einem Commerzbank-Sprecher zufolge könnte das Geldhaus notfalls weitere Kapazitäten aus London abziehen. "Wir sind auf alle Szenarien vorbereitet und reagieren flexibel", sagte der Sprecher gegenüber BÖRSE ONLINE. Bereits seit 2015 verlagert das Geldhaus Bereiche aus dem Front- und Back-Office sowie der IT von London vorwiegend nach Frankfurt.

Die Deutsche Bank wiederum bereitet sich darauf vor, wegen des Brexit wesentliche Teile ihres bisher in London gebuchten Geschäfts nach Deutschland bringen. Der "Financial Times" zufolge soll es um rund drei Viertel von insgesamt 600 Milliarden Euro gehen, die in den nächsten drei bis fünf Jahren von London nach Frankfurt transferiert werden. Die Bank reagiere damit auf entsprechende Forderungen der Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank.

Gut vorbereitet sieht sich dagegen der Versicherungskonzern Allianz, der im Vereinigten Königreich (UK) mit verschiedenen Gesellschaften vertreten ist, unter anderem der Landesgesellschaft Allianz UK, dem Industrieversicherer AGCS und dem Allianz Global Corporates & Specialty (AGCS) und der Fondsgesellschaft Allianz Global Investors. "Es gibt keine Pläne für eine Verlagerung des UK Geschäfts, beispielsweise nach Kontinentaleuropa", sagte eine Allianz-Sprecherin. Man habe Vorkehrungen getroffen, um auch nach einem dem Brexit weiter zu wachsen, unter anderem mit neuen Joint-Venturs.