Beginnen wir mit den nicht so schönen Fakten. Wer vor 20 Jahren bei der Allianz-Aktie eingestiegen ist, liegt ohne Berücksichtigung der Dividendenzahlungen im Minus. Während zahlreiche Aktien sowie der DAX in den vergangenen Jahren in neue Kursdimensionen vorgestoßen sind, markierten die Papiere des Indexschwergewichts ihre nach wie vor gültige Bestmarke von 441 Euro am 4. April 2000. Der Abschlag vom Rekordhoch beträgt somit rund 55 Prozent. Nur um Ausschüttungen adjustiert liegen Anleger nahezu auf Einstand. Über die vergangenen drei Jahre gesehen weist die Aktie hingegen mit plus 40 Prozent einen Vorsprung vor dem DAX (20 Prozent) auf.

Gerade in der jüngeren Vergangenheit zeigte der Wert immer wieder Relative Stärke. Auf den ersten Blick sichern zahlreiche Gründen den Kurs nach unten ab. Als größter europäischer Versicherungskonzerns hat die Allianz eine starke Marktposition. Zugleich führt das breit diversifizierte Geschäftsmodell zu einem ausgewogenen Ergebnismix.

Auch die im Branchenvergleich sehr gute Kapitalausstattung stellt gerade in unruhigen Börsenzeiten ein wichtiges Argument dar. Zwar wird das Kapitalanlageergebnis von den wohl noch lange niedrigen Zinsen belastet. Inzwischen haben die Versicherer aber gelernt, auch diese Herausforderung zu meistern. "Wenn Sie in die Allianz investieren, können Sie gut schlagen", rief Konzern-Chef Oliver Bäte den Analysten und Fondsmanagern Ende 2018 zu.

"Einfachheit gewinnt"


Die nächste Stufe des Umbaus "Simplicity wins - Renewal Agenda 2.0" könnte die Allianz maßgeblich verändern. Digitalisierung, Internationalisierung von Produkten und Prozessen und radikale Vereinfachung stehen auf der Agenda. Als Blaupause dienen hier die großen Tech-Konzerne aus den USA wie Netflix - der Streaming-Dienst bietet nur drei Abo-Modelle an. Aktuell gibt es 60 verschiedene Rechtsschutz-Verträge im Konzern. In den kommenden Jahren soll diese verwirrende Vielfalt auf wenige Varianten reduziert werden. Dazu braucht es Mut, schließlich gehen so auch Wahloptionen für den Kunden verloren.

Als eine Art Produktlabor für den Konzern im Bereich der Digitalisierung und Vereinfachung wird das neue Vorzeigemodell "Allianz Direct" dienen. Ab Jahresende sollen über den Digitalversicherer europaweit Autopolicen online gekauft werden können.

Unter dem Strich dürfte das Programm vor allem den Gewinn befeuern. In den Jahren 2019 bis 2021 wird derzeit ein Gewinnanstieg pro Aktie um jeweils mehr als fünf Prozent erwartet, davon vier Prozent ohne Zukäufe. In den vergangenen drei Jahren lag der Durchschnitt bei gut sieben Prozent. Voraussetzung dafür ist, dass keine unerwartet großen Katastrophenschäden auf die Allianz zukommen und es nicht zu einer neuen Schuldenkrise in Euroland bzw. global kommt.

Beim Thema Dividende zählt der Versicherer langfristig zu den zuverlässigsten Zahlern. In den vergangenen zehn Jahren wurde die Dividende acht Mal erhöht, die durchschnittliche Wachstumsrate (CAGR) liegt bei acht Prozent. Seit dem 1. März läuft zudem ein neues Rückkaufprogramm. Bis Dezember sollen eigene Aktien im Wert von bis zu 1,5 Mrd. Euro zurückgekauft werden. Damit verbessern sich nicht nur die Bewertungskennzahlen, zugleich wird auch der Kurs gestützt. Hingegen dürften die Zahlen für das erste Quartal am Dienstag keine große Überraschung liefern.

Ex-Strategie im Blick


Der kürzlich erfolgte Dividendenabschlag dominiert zunächst den kurzfristigen Chartverlauf, der Kurs liegt wieder unter der Marke von 200 Euro. Auf den ersten Blick wirkt die Aktie derzeit wieder günstiger und scheint attraktiver bewertet. Einige Akteure setzen gezielt auf diesen Effekt mit der Ex-Dividenden-Strategie und hoffen, dass die Kurslücke schnell wieder geschlossen wird. Da die Aktie im ersten Quartal um 196 Euro verstärkt gekauft wurde, ist auch das charttechnische Risiko gering bei gleichzeitig größeren Chancen auf der Oberseite.

Trader achten auf den Abstand zur 21-Tage-Linie als Signalgeber: Ab einer Differenz von mehr als vier Prozent sind Gewinnmitnahmen ratsam. Steht der Kurs um mehr als fünf Prozent unter dem Mittelwert, ist die Aktie überverkauft und reif für eine Erholung. Langfristig ausgerichtete Anleger folgen dem Rat von Bäte und setzen auf die guten Zukunftsaussichten. Solange der Kurs nicht unter 159 Euro fällt, besteht kein Grund nervös zu werden. Nach oben legen wir das Ziel zunächst auf 230 Euro fest.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse.

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