Stall speed ist ein Begriff aus der Luftfahrt. Er bezeichnet die Mindestgeschwindigkeit, mit der ein Flugzeug gerade noch fliegt. Fällt die Geschwindigkeit unter diesen Wert, reißt die Strömung über den Flügeln ab und es kommt zum Absturz.

Für Joachim Fels läuft die Weltwirtschaft aktuell auf stall speed. Das verkündete der Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Pimco jüngst auf einer Veranstaltung in London. Seine Botschaft: US- und Weltwirtschaft seien an einem neuralgischen Punkt angekommen. "Wenngleich eine Rezession nicht unserem Basisszenario entspricht, braucht es nicht viel, um eine Volkswirtschaft, die die Mindestgeschwindigkeit unterschreitet, zu kippen", so Fels. Die Anfälligkeit für externe Schocks würde zunehmen. Deshalb sei es derzeit ungewiss, ob es zu einer Rezession kommt oder sich die Wirtschaft erholt. Fels und die Pimco-Strategen gehen davon aus, dass sich das weltweite Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) über die nächsten Quartale weiter verlangsamt. Für die USA prognostizieren sie eine Abschwächung im ersten Quartal 2020 auf magere ein Prozent. Eine zaghafte Erholung sehen sie erst wieder im zweiten Halbjahr 2020. Bis dahin durchlaufe die US- wie die Weltwirtschaft eine Schwächephase - mit der allgegenwärtigen Gefahr des Abgleitens in eine Rezession.

Beunruhigende Aussichten. An den Märkten spiegelt sich diese Sicht der Dinge aber nicht wider. US-Aktienindizes wie der bekannte Dow Jones Industrial oder der breit gefasste S & P 500 notieren nah ihrer Allzeithochs. Der europäische Aktienindex Stoxx 600 erklomm in der abgelaufenen Woche den Jahreshöchststand, ebenso der deutsche Standardwerteindex DAX.

Dabei sind die Zeichen einer wirtschaftlichen Abkühlung nicht zu übersehen. Der globale Handelsstreit belastet - vor allem Exportnationen wie Deutschland. Nach Einschätzung der Deutschen Bundesbank dürfte die Konjunktur hierzulande ihre Talfahrt im Sommer fortgesetzt haben. Bereits im Frühjahr war das BIP um 0,1 Prozent ­gesunken. Auch für das dritte Quartal erwarten die Bundesbank-Volkswirte ­einen geringfügigen Rückgang der Wirtschaftsleistung.

Trifft die Prognose zu, steckt die deutsche Wirtschaft in einer technischen Rezession. Davon ist die Rede, wenn das Bruttoinlandsprodukt zwei Quartale hintereinander schrumpft. Nach Ansicht der Bundesbank gebe es derzeit wenig Anzeichen für eine nachhaltige Belebung der Ausfuhren und eine Stabilisierung in der Industrie.

Auch in China, ein Hauptakteur im Handelskonflikt, verdüstert sich das konjunkturelle Bild. So ist die Wirtschaft dort im dritten Quartal "nur" um sechs Prozent gewachsen - so langsam wie seit fast drei Jahrzehnten nicht mehr. In den USA sorgt die politische Unsicherheit für einen spürbaren Rückgang der Unternehmensinvestitionen. Der Einkaufs­managerindex für die Industrie sank im September auf den niedrigsten Stand seit der Rezession 2008/09. Zugleich hat sich die Laune der US-Konsumenten überraschend deutlich abgekühlt, und auch im Dienstleistungssektor zeigt der Stimmungstrend nach unten.

Läuft der Zyklus noch normal?


Dass die weltweiten Börsen trotz der vielen Hiobsbotschaften weiterhin auf Rekordjagd sind, hat vor allem mit dem Einfluss der mächtigen Notenbanken zu tun. Deren ultralockere Geld­politik lässt zunehmend Zweifel aufkommen, ob der normale Wirtschaftszyklus mit Aufschwung, Boom, Abschwung und Rezession heute noch funktioniert. In der Vergangenheit reagierten die Währungshüter - je nach Wirtschafts- und Inflationsszenario - mit Zinserhöhungen und Abschöpfung von Liquidität ­restriktiv beziehungsweise mit Zinssenkungen und Ausweitung von Liquidität stimulierend.

Doch dann gab es mit dem Platzen der US-Immobilienblase 2008 eine harte Zäsur. Die anschließende Finanzkrise konnte nur mit beispielloser Neuverschuldung und der bedingungslosen Unterstützung durch die westlichen Notenbanken bewältigt werden. Mit den gleichen Mitteln bekam man auch die Eurokrise in den Griff. Damals schlitterte die Finanzwelt nur knapp am Kollaps vorbei. So eine Situation soll künftig um jeden Preis vermieden werden.

Mit der Konsequenz, dass die Geld­politik seit Jahren auf jegliche Krisen­symptome äußerst sensibel reagiert und sie schnellstmöglich ausmerzen möchte. Doch damit verhindert sie auch die Phasen Abschwung und Rezession, die zu einem gesunden Konjunkturkreislauf gehören.

So spielen die Notenbanken derzeit die wichtigste Rolle für die Stabilität der Aktienmärkte. Denn zum einen stemmen sie sich mit allen Mitteln gegen einen Konjunkturabschwung. Zum anderen sorgt ihre Politik der anhaltend niedrigen und vielfach negativen Zinsen für eine starke Nachfrage bei rentierlichen Wertpapieren. "Der Aktienmarkt wird von Alternativlosigkeit getrieben", sagt deshalb der Ökonom Michael Heise. Er gibt aber auch zu bedenken, dass die Macht der Notenbanken begrenzt sei und nur die Politik durch sichere Rahmenbedingungen für Wachstum sorgen könne.

Anleger sollten die Risiken ernst nehmen und checken, inwieweit ihr Depot von einem ernsthaften Abschwung betroffen wäre. Konkret: Stammen viele Titel aus konjunkturabhängigen Branchen wie Chemie, Industrie oder Rohstofferzeuger? Wenn ja, sollte dieser ­Anteil verringert und in defensivere Investments umgeschichtet werden, wie sie die Redaktion im Folgenden vorstellt. Aber auch wer neue Positionen aufbauen will, findet unter den Vorschlägen etwas Passendes und muss nicht auf die aktuell immer noch attraktiven Renditen der Aktienmärkte verzichten.

Fonds:
Mix für Krisenzeiten


Eine einfache Möglichkeit bieten beispielsweise Fonds. Sie investieren das Geld in eine Vielzahl an Wertpapieren, und ein Portfolioverwalter kümmert sich fortlaufend um die "richtige" Aufstellung des Vermögens. Das kostet Gebühren, die etwa bei Aktienfonds 1,5 bis zwei Prozent pro Jahr ausmachen können. Doch wenn das Portfolio es schafft, dem Anleger einen ruhigen Schlaf zu bescheren, ist das gut investiertes Geld.

In diesem Sinne könnte sich der Kauf von Fondsanteilen des Investec Global Franchise lohnen. Der Fonds investiert in Anteilscheine internationaler Weltmarktführer, sogenannter Qualitäts­unternehmen. Diese zeichnen sich durch starke Marken, meist sehr loyale Kunden und eine geringe Verschuldung aus. Das macht sie in konjunkturellen Abschwungphasen stabiler. Kapital­intensive oder hoch verschuldete Unternehmen aus den Sektoren Grundstoffe, Versorger oder Banken finden keinen Eingang ins Portfolio. Hoch gewichtet sind dagegen Unternehmen aus den Bereichen nichtzyklische Konsumgüter, Informationstechnologie und Gesundheitswesen. Die Fondsmanager setzen bevorzugt auf strukturelles statt auf konjunkturelles Wachstum und bekräftigen im aktuellen Monatsbericht: "Wir glauben, dass ein krisenfestes Portfolio angesichts der Herausforderungen und exogenen Risiken wichtiger ist denn je."

Die Anleger gut durch die verschiedenen Konjunkturzyklen zu bringen - dieses Ziel verfolgt explizit der Fonds UBS All-Rounder. Er kombiniert vier Szenarioportfolios, von denen jedes auf eine Phase des Wirtschaftszyklus ausgerichtet ist. Das Szenarioportfolio mit der höchsten Eintrittswahrscheinlichkeit wird übergewichtet, jenes mit der niedrigsten untergewichtet. Im Fall eines Abschwungs setzt der Fonds auf Aktien aus Sektoren wie Gesundheitswesen, auf Staatsanleihen und Edelmetalle. Die Strategie wird hauptsächlich durch passive Anlageinstrumente wie ETFs oder durch Derivate umgesetzt. Der Fonds fällt durch seine niedrigen Wertschwankungen auf. Das schwierige Börsenjahr 2018 hat er mit einem Plus von 2,5 Prozent hervorragend gemeistert.

Das Vermeiden von Verlusten hat auch höchste Priorität für Klaus Kaldemorgen, der den nach ihm benannten DWS Concept Kaldemorgen managt. Das Portfolio strebt einen kontinuierlichen Ertrag in allen Marktphasen an und zählt damit zur Gruppe der sogenannten Absolute-Return-Fonds. Kaldemorgen gehört zu den erfahrensten Fondslenkern Deutschlands und setzt mit diesem Portfolio auf eine breite ­Mischung an Anlageklassen. Neben ­Aktien, Staats- und Unternehmensanleihen kommen bei ihm auch Währungs- und Absicherungsstrategien zum Einsatz. Aktuell ist er außerdem mit rund sechs Prozent in Gold investiert. Bei den Aktien dominiert derzeit der Sektor ­Gesundheitswesen.

Zertifikat:
Schutz vor Verlusten


Wer sich dezidiert gegen Kursverluste wappnen will, kann zu einem Cap-­Bonuszertifikat greifen. Wird hier eine individuelle untere Barriere während der Laufzeit nie berührt, erhalten Anleger bei Fälligkeit des Papiers ihren Einsatz plus eine vorher festgelegte Rendite zurück. Das ist etwa beim Cap-Bonus­zertifikat (ISIN: DE 000 DF6 7J3 5) der DZ Bank auf den Euro Stoxx 50 der Fall.

Die Barriere liegt hier bei 2.600 Indexpunkten, was einem Risikopuffer von gut 28 Prozent beim aktuellen Euro-Stoxx-50-Niveau von 3.590 Punkten entspricht. Berührt der Index bis zum Laufzeitende Mitte Juni 2021 nie die Barriere, erhalten Anleger den Gegenwert der Obergrenze, des Caps, ausgezahlt. Der befindet sich bei 4.100 Euro-Stoxx-50-Punkten. Das entspricht dann einer sogenannten Bonusrendite von 8,2 Prozent bis zur Fälligkeit oder 4,83 Prozent per annum.

Höhere Erträge sind nicht möglich, da diese durch den Cap gedeckelt sind. Wird dagegen nur einmal während der Laufzeit die Barriere touchiert, entfällt die Schutzfunktion und die garantierte Bonusrendite. Das Papier wird zum normalen Indexzertifikat auf den Euro Stoxx 50 - mit dem zusätzlichen Nachteil der Gewinnlimitierung. Dann sind auch hohe Verluste möglich. Das Papier eignet sich für Seitwärtsphasen sowie moderate Auf- und Abwärtsperioden - aber nicht für einen Crash.

Gold:
Guter Risikopuffer


Eine Situation wie die aktuelle ist kein Grund für einen Radikalumbau des Depots. Doch spricht nichts dagegen, Teilgewinne mitzunehmen und einen Puffer für einen eventuellen Abschwung aufzubauen. Gold ist so eine bewährte Risikobremse. "Wenn die Märkte ihre aktuelle Selbstzufriedenheit verlieren und die Risikobereitschaft abnimmt, wird der Goldpreis durchstarten", sagt Joe Foster, Portfoliostratege beim ETF-Anbieter VanEck. "Es gibt global erhebliche geopolitische Unsicherheiten. Wir stecken in einer weltweiten Rezession der verarbeitenden Industrie, die sich zu einer vollständigen Rezession auszuwachsen droht. An irgendeinem Punkt wird die Stimmung drehen."

Phasen wie aktuell mit eher positiver Stimmung an den Märkten stellen für Anleger, die Positionen in dem Edelmetall aufbauen wollen, gute Einstiegszeitpunkte dar. Zuletzt haben sich spekulativ orientierte Finanzanleger aus dem Markt zurückgezogen. "Damit sollte der Verkaufsdruck von dieser Seite nachlassen", erklärt Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank.

Neben der Funktion als sicherer ­Hafen für verschiedenste Situationen - Rezession, Handelskonflikt, Brexit - sprechen auch die anhaltenden Niedrigzinsen für Gold. Denn wenn festverzinsliche Papiere kaum Rendite abwerfen, kann man auch auf Gold setzen, das bekanntlich gar keine Zinsen bringt.

Als Depotbeimischung eignen sich für Anleger am ehesten Gold-ETCs, da sie niedrige Gebühren haben und jederzeit ge- und verkauft werden können. Xetra-Gold (siehe Tabelle unten) ist das bekannteste Produkt, das die Entwicklung des Edelmetallpreises abbildet und zu 100 Prozent mit Gold hinterlegt ist, das man sich zu bestimmten Bedingungen auch liefern lassen kann. Steuerlich wird Xetra-Gold wie physisches Gold behandelt: Nach einem Jahr Haltedauer sind etwaige Gewinne steuerfrei. Es gibt keine Managementgebühr, einige Banken geben jedoch die Verwaltungskosten an ihre Kunden weiter, sie entsprechen rund 0,36 Prozent pro Jahr.

Defensive Branchen:
Sichere Häfen


Eine Alternative zu Gold ist eine Depotposition in konjunkturunabhängigen Branchen. Zwei rücken dabei stets in den Blickpunkt der Anleger: die Konsumgüterindustrie und der Gesundheitssektor. Denn auch wenn die Wirtschaft schlecht läuft, kaufen die Menschen Nahrungsmittel sowie andere Dinge des täglichen Bedarfs, und auf Medikamente werden sie ebenfalls nicht verzichten. Dieser Zusammenhang hat den Aktien vieler Konsumgüterkonzerne seit Jahresbeginn zu außergewöhnlichen Zuwächsen verholfen: Nestlé ist seit ­Anfang Januar gut 20 Prozent im Plus, Pepsi­co fast 30 Prozent, Procter & Gamble knapp 40 Prozent. Mit ihren in der Regel verlässlichen ­Dividendenzahlungen und der tendenziell stabilen Kurs­entwicklung bieten Konsumgüteraktien auch eine Alternative zu mickrigen Bondrenditen. Zudem schüren Innovationen wie vegane Fleisch- und Milch­alternativen das Interesse - sie verhelfen Nahrungsmittelherstellern zu höheren Margen. Der Nachteil: Der Sektor ist, nicht zuletzt nach den starken Kursanstiegen der vergangenen Monate, recht hoch bewertet.

Um kurzfristig ein stabilisierendes Element ins Depot zu bringen, eignen sich ETFs besonders gut. Der Xtrackers MSCI World Consumer Staples (siehe Tabelle) bildet beispielsweise die Entwicklung von 121 Konsumaktien aus 19 Ländern ab, darunter alle großen Namen aus der Nahrungsmittelbranche.

Wer sich längerfristig in dem Sektor engagieren will, für den lohnt sich oft auch ein aktiv gemanagter Fonds mit höheren Gebühren. Denn hier fassen Portfoliomanager den Konsumbegriff etwas weiter und erzielen so im Idealfall eine bessere Wertentwicklung als der Index. Dem Robeco Global Consumer Trends gelingt dies seit Jahren sehr erfolgreich. Aktuell setzt er beispielsweise auf Mastercard, Visa, Amazon, Adidas und Sony als größte Positionen im Portfolio.

Im Gesundheitssektor agierten Anleger zuletzt eher vorsichtig. In den USA, dem wichtigsten Markt, kündigt Präsident Trump immer wieder Pläne an, mit denen er die Medikamentenpreise drücken will, eines seiner zentralen Wahlversprechen. Bisher ist kein Vorhaben über das Planungsstadium hinausgekommen, doch die Radikalität der Vorschläge hat viele Investoren dazu bewogen, lieber abzuwarten. Dadurch bietet sich, gerade für längerfristig orientierte Anleger, eine gute Einstiegsgelegenheit. Denn die Geschäfte laufen gut.

Mit Novartis, Roche, Lilly und Astrazeneca haben in den vergangenen Tagen gleich vier große Pharmakonzerne ihre Prognosen erhöht. Und auch wenn es in den kommenden Jahren wohl Veränderungen im US-Gesundheitssystem geben wird, scheinen stark industriefeindliche Lösungen doch nicht mehrheitsfähig zu sein, weder bei Republikanern noch bei Demokraten.

Im MSCI World Health Care, den Anleger sich beispielsweise mit einem ETF von Lyxor ins Depot holen können, sind alle großen Pharma- und Medizintechnikkonzerne enthalten. Wem das Hin und Her um Medikamente zu aufreibend erscheint, der findet im Nova Steady Healthcare eine Alternative. Seine Fondsmanager machen einen großen Bogen um Biotech- und größtenteils auch Pharmakonzerne. Stattdessen legen sie in - vielfach kaum bekannte - Firmen des Gesundheitssektors an, die schwankungsarme Geschäftsmodelle haben und verlässlich stark wachsen. Einer der besten Gesundheitsfonds der vergangenen Jahre.