Der Brexit war seit Monaten beschlossene Sache, als Berkshire-Hathaway-Chef Warren Buffett und sein langjähriger Geschäftspartner Jorge Lemann von der Investmentgesellschaft 3G Capital vor gut einem halben Jahr beim Konsumgütergiganten Unilever anklingelten und lässig mit 143 Milliarden US-Dollar winkten. Die beiden Investmentkoryphäen sind nicht berühmt dafür, leichtsinnig Geld auf den Tisch zu legen. Unilever, 1929 aus der Fusion der holländischen Margarinefabriken Unie und der britischen Seifensiede Lever Brothers hervorgegangen, schien ihnen offenbar ein Schnäppchen zu sein - zu einem Zeitpunkt wohlgemerkt, als der Brexit längst beschlossen war, als Londons Politelite einen May-Day nach dem anderen inszenierte.



Um die 2,5 Milliarden Menschen konsumieren Tag für Tag ein Produkt aus dem Hause Unilever, dessen breites Markensortiment rund um den Globus Abnehmer findet. Weit mehr als die Hälfte des Geschäfts erzielt der traditionell sowohl in Großbritannien als auch in den Niederlanden verankerte Konzern in Schwellenmärkten. So gilt der Zweidrittelanteil an Hindustan Unilever, der in Mumbai börsennotierten Indien-Tochter, als eine der Wachstumsperlen im Portfolio. Doch die Elefantenhochzeit zwischen Unilever und Buffetts Kraft Heinz Company musste abgesagt werden. Erst mauerte das Unilever-Management, dann zierte sich Buffett selbst. Das Signal jedoch, das von dem Übernahmeangebot ausging, war unüberhörbar: In Großbritannien gibt es selbst nach dem Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 gute Firmen zu vernünftigen Preisen. Eine Reihe von Unternehmen, allen voran die Global Players, könnte demnächst geschluckt werden.



Politisch ist das Vereinigte Königreich heute angeschlagen wie seit Generationen nicht. Nach dem Brexit-Votum, einem Fiasko für die regierenden Tories, setzte die Konservative Partei unter Premierministerin Theresa May im Juni dieses Jahres auch noch die Parlamentswahlen in den Sand. Anstatt wie erhofft die dünne Mehrheit im House of Commons auszuweiten, ging sie prompt verloren.

Theresa May, nunmehr auf einen nordirischen Koalitionspartner angewiesen, gilt seitdem als Regierungschefin auf Abruf, auch in ihrer eigenen Partei. Noch schwerer wiegt, dass der 2019 stattfindende EU-Austritt mit enormen Risiken behaftet ist.

Das Wirtschaftswachstum jenseits des Ärmelkanals schwächelt bereits, demnächst könnte das Land in die Rezession rutschen. Das seit der Brexit-Entscheidung schwache Pfund hat die britischen Importpreise und damit die Inflation deutlich auf zuletzt fast drei Prozent anziehen lassen. Die reale Kaufkraft vieler Haushalte sinkt - und damit verpufft die Konsumlust.



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Interesse an Großbritannien bleibt



Für Weltuntergangsstimmung besteht jedoch kein Anlass. Das trudelnde Pfund hat zugleich britische Unternehmen und ihre Produkte und Dienstleistungen im Ausland billiger gemacht, ein idealer Ausgangspunkt für eine anziehende Geschäftsdynamik. Der Leitindex FTSE 100 stieg entsprechend, zumal viele Londoner Bluechips den Großteil ihrer Umsätze fern der Heimat machen. Zugleich sitzen einige Rivalen in der EU und in Nordamerika auf hohen Bargeldreserven oder können sich Liquidität angesichts weiterhin niedriger Zinsen billig organisieren, um Kaufgelegenheiten wahrzunehmen.



Schon 2016 konnte keine Rede davon sein, dass Großbritannien für ausländische Firmen plötzlich uninteressant geworden wäre. Nach Angaben des nationalen Statistikamts kauften sie für stolze 190 Milliarden Pfund ein. Dabei muss zwar berücksichtigt werden, dass mehrere große Deals - so die Übernahmen der Brauerei SAB Miller und des Rohstoffkonzerns BG Group - vor dem Brexit-Referendum eingefädelt worden waren. Neueste Regierungszahlen legen aber nahe, dass das Interesse an britischen Firmen keineswegs nachgelassen hat.



Das für Handelsbeziehungen zuständige Department for International Trade zählte im Zwölfmonatszeitraum per Juli dieses Jahres 2265 Foreign Direct Investments (FDI), also Investitionen nicht britischer Unternehmen - zwei Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum und 45 Prozent mehr als vor vier Jahren. Die Beratungsgesellschaft EY bescheinigte Großbritannien im Mai 2017, bei FDI weiterhin die Nummer 1 in Europa zu sein und weltweit die Nummer 2 hinter den USA. Insbesondere der Konsumgütersektor, längst ein durchglobalisiertes Geschäft, dürfte auf Interessenten stoßen.

So könnte neben Unilever vielleicht bald auch Diageo im Rampenlicht stehen. Der größte Spirituosenhersteller der Welt mit Marken wie Johnnie Walker und Tanqueray hat eine Marktkapitalisierung von aktuell gut 72 Milliarden Euro.

Ein weiterer britischer Konsumgüterriese, Reckitt Benckiser, gilt traditionell als aktionärsfreundlich gemanagte Firma, die an der Börse entsprechend hoch bewertet wird. Zuletzt schlitterte der Weltmarktführer bei Geschirrspülmitteln und Kondomen allerdings unerwartet in eine Krise. Im Juni dieses Jahres legte die Erpressersoftware Petya ganze Unternehmensteile lahm; der Umsatzausfall soll sich auf mehr als 100 Millionen Pfund belaufen. Der Reckitt-Aktienkurs brach zuletzt um etwa 15 Prozent ein, was eine Einstiegschance bieten könnte. Zwar schluckte Reckitt gerade für gut 16 Milliarden US-Dollar den Babynahrungsspezialisten Mead Johnson und trennt sich im Gegenzug vom Lebensmittelbusiness. Doch angesichts des extrem starken Markengeschäfts sind das Nebenkriegsschauplätze, die Kaufinteressenten allenfalls kurzfristig abhalten dürften.

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AstraZeneca, Vodafone und weitere Übernahmekandidaten



Ein Börsensegment, das in absehbarer Zeit Fusionsgespräche oder Übernahmen sehen dürfte, ist Pharma. AstraZeneca, das zweitgrößte Unternehmen der Branche auf den britischen Inseln, hat sich als führender Krebsforscher profiliert, insbesondere im Bereich Immuntherapie. Dieses Know-how war neben steuerlichen Anreizen in Großbritannien der Hauptgrund, warum der US-Pharmagigant Pfizer schon vor drei Jahren 120 Milliarden Dollar für AstraZeneca auf den Tisch legte. Dieser Coup scheiterte, doch der nächste Versuch könnte in Kürze anlaufen.

Auch an GlaxoSmithKline (GSK), bei Pharma die Nummer 1 im Lande, wurde Pfizer vor Jahren bereits Interesse nachgesagt. Doch während GSK einst Weltmarktführer mit einem breit aufgestellten Produktportfolio war, spielt das Unternehmen heute eher in der zweiten Liga und sieht sich in der Pflicht, seine hohe Dividende zu verteidigen, während gleichzeitig die Schulden steigen: Allerdings ist GSK weiterhin Weltmarktführer bei Atemwegserkrankungen und mit einer Marktkapitalisierung von gut 86 Milliarden Euro immer noch ein Schwergewicht. Ein Käufer könnte GSK durchaus verlockend finden und den schwächelnden Konzern kurzerhand einer Rosskur unterziehen - also das Gute behalten und das weniger Gute weiterverkaufen.

Im Telekommunikationssektor dürfte wohl Vodafone im Mittelpunkt des Interesses stehen, das mit mehr als 400 Millionen Kunden zweitgrößte Mobilfunkunternehmen der Welt. So wird dem Medien- und Telekomunternehmen Liberty Global seit Langem Interesse an Vodafone nachgesagt. Der Zeitpunkt für einen Deal wäre nicht schlecht: Der Vodafone-Aktienkurs hat auf Eurobasis in den vergangenen zwei Jahren um etwa ein Drittel nachgegeben, auch infolge hoher Abschreibungen in Indien.

Jenseits der drei genannten Branchen - Konsumgüter, Pharma, Telekom - könnten britische Unternehmen ebenfalls liquide Bieter auf den Plan rufen. Dies gilt nicht zuletzt für Banken und Finanzdienstleister, darunter die London Stock Exchange, die inzwischen so oft zum Übernahme- oder Fusionsziel auserkoren wurde, dass keiner mehr mitzählen mag.

Im Auge behalten sollten Anleger auch den Rohstoffsektor, selbst nach der erfolgten Übernahme der BG Group durch Royal Dutch Shell. Schon 2015, als die Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko den Öl- und Gaskonzern BP über Jahre in seiner Existenz bedrohte, ließ der damalige britische Premier David Cameron vorsichtshalber verlauten: No take-over, please, we are British! Gerüchten zufolge stand der US-Rivale ExxonMobil bereits kurz davor zuzuschlagen. Exxon, heute nach Börsenwert ungefähr dreimal so groß wie BP, könnte den einst "British Petroleum" genannten Traditionskonzern problemlos schlucken. Die Folge wäre dann ein Brexit der etwas anderen Art: Brexit Petroleum.