Jeden Morgen steht er um 4.30 Uhr auf und pilgert eine kleine Anhöhe zu der barocken Wallfahrtskirche Herrenrast hinauf, die er einst vor dem Verfall gerettet hatte. Er schließt die schwere Holztür auf, zündet Kerzen an und kniet ein paar Minuten nieder, um Zwiesprache zu halten mit seinem Herrgott. Anschließend fährt er nach Pfaffenhofen an der Ilm, in seine Fabrik. Um sieben Uhr sitzt er an seinem Schreibtisch. Mehr als ein halbes Leben lang hat Claus Hipp so den Tag begonnen.

Nach der Arbeit fährt er selten direkt nach Hause auf seinen idyllisch gelegenen oberbayerischen Bauernhof, wo er Schweine und Pferde hält. Wann immer möglich, macht er Station bei einem kleinen Forsthaus, das er sich als Atelier eingerichtet hat. Er zieht seinen Anzug aus, schlüpft in den Malerkittel um und wird zu Nikolaus Hipp (sein Künstlername), dem angesehenen und mit Preisen ausgezeichneten Maler. Seine abstrakten Bilder hängen in zahlreichen Museen und Sammlungen, sie erzielen Preise bis in den sechsstelligen Bereich.

Die Fernsehzuschauer kennen ihn als den freundlichen älteren Herrn mit weißem Haarkranz, der in seinem Trachtenjanker über saftig grüne Wiesen schreitet und für seinen Babybrei wirbt: "In bester Bio-Qualität. Dafür stehe ich mit meinem Namen". Dieser Slogan, mit dem er seit über zwei Jahrzehnten in TV-Spots seine Produkte anpreist, hat ihn berühmt gemacht. Inzwischen ist der Biounternehmer über 80 Jahre alt. Zwar will er von einem Ruhestand nichts wissen, aber sein ältester Sohn Stefan, ein studierter Landwirt und Kaufmann, soll irgendwann den Konzern leiten. Er ist bereits Mitglied der Geschäftsleitung und dort zuständig für Marketing und Vertrieb.

Gegründet wurde die Firma Ende des 19. Jahrhunderts von Joseph Hipp, der in Pfaffenhofen eine Konditorei betrieb. Seine Ehefrau Maria, Claus Hipps Großmutter, hatte 1898 Zwillinge zur Welt gebracht, die sie nicht stillen konnte. Joseph Hipp rührte deshalb in der Backstube handgeriebenen Zwieback mit Milch an - fertig war der erste Babybrei, und die Zwillinge vertrugen ihn gut.

Der Erfolg sprach sich herum, sodass sich der Konditor nun ganz auf die Produktion von Kindernahrung konzentrierte. Sein Kinderzwiebackmehl in der schwarz-gelben Verpackung wurde in Deutschland zu einer bekannten Marke.

Der Ökolandwirt

Claus Hipp, 1938 als zweites von sieben Kindern geboren, besuchte in München das Gymnasium. Sein Vater Georg übertrug ihm bereits früh Verantwortung: "Mit 16 durfte ich den Hof leiten und musste unseren Verwalter entlassen, weil er ihn nicht so biologisch führen wollte wie ich." Eigentlich hatte Claus Hipp Maler werden wollen. Diesen Traum hatte ihm sein Vater ausgeredet. Daher studierte er in München Rechtswissenschaften und promovierte mit einer Arbeit über das russische Arbeitsrecht. Nebenbei verdiente er sein erstes Geld als Stuntman bei Filmproduktionen.

Bereits 1956 hatte sein Vater mit der industriellen Herstellung von Babynahrung in Dosen begonnen. Ende der 50er-Jahre kamen dann die weltbekannten Gemüsegläschen auf den Markt. Als einer der ersten hatte er auf Ökolandbau gesetzt und die ersten Rohstoffe auf ökologisch bewirtschafteten Böden für die industrielle Produktion von Kindernahrung angebaut. Die Bauern waren damals alles andere als begeistert. "Der spinnt, der Hipp", sagten sie nur, denn sie hatten gerade die Segnungen der industriellen Landwirtschaft für sich entdeckt, mit besseren Unkrautvernichtern und leistungsfähigem Dünger, die ihre Erträge wachsen ließen.

1967 starb Georg Hipp, damit wurde Claus Hipp mit 29 Jahren Chef des Unternehmens. Viele Konkurrenten wollten damals die Firma kaufen. Hipp gab nicht auf, er stellte die Produktion schrittweise komplett auf bio um und wurde damit vom Außenseiter zum Trendsetter. Allerdings musste er noch von Hof zu Hof fahren, um die Landwirte für seine Biovision zu gewinnen. Inzwischen hat das Unternehmen ein Netzwerk von über 8000 Vertragslandwirten. Hipp zählt zu den reichsten Deutschen - dank Marktanteilen jenseits der 50 Prozent, die er mit seiner Kinderkost in Deutschland erreicht.

Auch junge Frauen, Sportler und Senioren sind zunehmend eine wichtige Zielgruppe für seine Produkte. "Erwachsene kaufen fast ein Viertel der Gläschen und Körperpflegeprodukte aus unserem Sortiment für sich selbst", sagt Hipp.

Das Unternehmen wächst zurzeit vor allem in Osteuropa, in Ländern wie Kroatien, Ungarn und Rumänien und produziert zum Teil auch dort. 1999 wurde der Konzernsitz in die Schweiz nach Sachseln im Kanton Obwalden verlegt. Eine schwere Krise erlebte die Firma in den 90er-Jahren, weil Hipp sich mit der Drogerie Schlecker, seinem wichtigsten Kunden, nicht über die Preise einigen konnte. Schlecker nahm die Hipp-Produkte damals aus dem Sortiment, 25 Prozent des Umsatzes brachen weg.

Für Schlagzeilen sorgte 2012 die Lobbygruppe Foodwatch, die den Instant-Tee von Hipp zur "dreistesten Werbelüge" des Jahres gekürt hatte. Foodwatch bemängelte, dass die Granulat-Tees umgerechnet zweieinhalb Stücke Würfelzucker pro 200-Milliliter-Tasse enthielten und damit den Ernährungsempfehlungen für Kleinkinder widersprächen. Das Unternehmen reagierte und nahm die kritisierten Kindertees vom Markt.

Der Patriarch hat drei Töchter und zwei Söhne. "Ohne eigene Kinder könnte ich dieses Unternehmen nicht glaubwürdig führen. Außerdem ist es schön zu wissen, wofür man so viel arbeitet. Die Familie ist das Wichtigste im Leben", sagte er in einem Interview mit der "Zeit".

Firmenlenker, Maler und Musiker

Hipp lebt ein christliches Arbeitsethos und ist überzeugt, dass sich ein Unternehmen erfolgreich nach den Zehn Geboten führen lässt, denn langfristig habe der Anständige mehr Erfolg als der Rücksichtslose. In schweren Zeiten half ihm neben dem Gottesglauben seine Leidenschaft für die Malerei. Er hatte parallel zum Jurastudium eine Ausbildung an einer Münchner Kunstakademie gemacht, war sogar Meisterschüler und wurde später mit dem Franz-Kafka-Kunstpreis für Malerei in Prag ausgezeichnet. Viele seiner Werke wurden von Museen aufgekauft. Doch es gibt einige Bilder, die er nie verkaufen würde.

"Als meine Mutter Anny 1989 plötzlich starb, stand ich gerade im Atelier. Wenn ich heute dieses Bild ansehe, dann erinnere ich mich an sie. Das würde ich nie hergeben." Claus Hipp ist ein Mann mit vielen Talenten. Er spielt Englischhorn und die zweite Oboe im Münchner Behördenorchester.

Seine Lebensphilosophie hat er in mehreren Büchern niedergeschrieben. Er vertritt darin die Meinung, dass die Chancen der jungen Generation auf eine gesicherte Zukunft nie so gefährdet waren wie heute, in Zeiten von Bevölkerungswandel, Wirtschaftskrise und Bildungsnotstand. Er fordert einen neuen Pakt der Generationen und warnt vor blindem Egoismus und reinem Profitdenken, die die soziale Marktwirtschaft ruinierten.

Der Biopionier steht mit seiner Verpflichtung zu Natur und Nachhaltigkeit und mit seinem werbewirksamen Slogan "Dafür stehe ich mit meinem Namen" persönlich für seine Marke wie kaum ein anderer Unternehmer in Deutschland.