Herr Wöhrmann, die Gespräche mit Athen zur Lösung der Schuldenkrise sind am Sonntag vorläufig gescheitert. Schon am Donnerstag hat sich der IWF aus den Verhandlungen zurückgezogen. Ist das alles nur Verhandlungstaktik, oder läuft die Zeit für eine Einigung mit Griechenland jetzt wirklich endgültig ab?

Natürlich sind die Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern von taktischen Zügen geprägt. Allein schon, weil jeder der Verhandlungspartner seine Vorgehensweise vor dem eigenen Lager rechtfertigen muss. Und gerade Syriza ließ ja von Anfang an nie einen Zweifel daran, dass sie ihren Wahlsieg als klares Mandat der griechischen Bevölkerung deuteten, ihr Wahlprogramm um jeden Preis durchzusetzen. Vom Wählerwillen in anderen Ländern hat sich die griechische Regierung dabei nicht ablenken lassen.

Ob die Zeit für die Griechen nun wirklich abläuft oder nicht, kann man als Außenstehender schwer beurteilen. Es scheint einem eher so, als spielten alle Parteien das Spiel "wer kann die Hand länger auf der Herdplatte lassen". Es wäre nur schade, wenn sich am Ende alle die Hände verbrennen.

Und der Showdown kommt am Donnerstag beim Treffen der Euro-Finanzminister?

Auch hier gilt wieder: Uns wurden schon viele Showdowns angekündigt, viele Wochen oder Monate galten als die Ultimativen, die Entscheidenden. Es ist fraglich, ob es überhaupt zu einem Showdown kommen kann, solange die EZB das griechische Bankenwesen mit ELA-Garantien weiter über Wasser hält.

Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit für eine Pleite Griechenlands aktuell ein?

Das Wesen der griechischen Regierung macht es schwer, hier mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen. Fassen wir zusammen: Hier ist eine Koalition aus einer rechts- und einer linksextremen Partei mit relativ wenig politscher Erfahrung, geschweige denn Regierungserfahrung an der Macht, die nach eigenem Verständnis ein klares Mandat ihrer Wählerschaft hat, die einen ausgewiesenen Spieltheoretiker in ihren Reihen weiß, und die zudem nicht müde wird, ihre Verhandlungspartner daran zu erinnern, dass es gar keine Handlungsalternativen gibt. Wie wollen sie als Außenstehender da beurteilen, ob diese Regierung nicht doch noch, um fünf nach zwölf, zumindest soweit einlenkt, dass Schlimmeres verhindert wird?

Bisher scheint die griechische Regierung mit ihrer Verhandlungstaktik zumindest soweit Erfolg zu haben, als dass sich die genervten Verhandlungspartner schon für die kleinsten Zugeständnisse dankbar zeigen. Allerdings zeigt ein Blick auf den im Keim erstickten Aufschwung, dass die Regierungskoalition ihr Land wirtschaftlich bereits um fast ein Jahr zurückgeworfen hat.

Was würde eine mögliche Staatspleite für die Aktienmärkte bedeuten?

Dass sich die griechischen Staatsschulden fast ausschließlich in den Händen supranationaler Institutionen befinden, dämpft zumindest schon einmal die Wirkung eines solchen Ereignisses auf die Finanzmärkte. Abhängig auch von der dann herrschenden allgemeinen Marktverfassung möchte ich aber nicht ausschließen, dass es kurzfristig zu turbulenteren Handelstagen kommen könnte, die im Zusammenhang mit geringer Liquidität in Teilmärkten und dem Zusammenbruch historischer Korrelationsmuster panische Züge tragen könnten. Erfahrene Investoren werden solche Tage als Kaufgelegenheiten wahrnehmen können. Dazu zähle ich uns.

Einige Beobachter halten mit Blick auf Griechenland sogar eine Entwicklung wie nach der Lehman-Pleite für möglich. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein. Ich würde eher sagen: Dank Lehman sind Politik, Banken und Finanzmärkte auf einen Unfall in Griechenland besser vorbereitet.

Erwarten Sie, dass Griechenland im Pleitefall auch aus dem Euro aussteigt?

Diesen direkten Zusammenhang sehe ich nicht. Inwieweit sich langfristig eine Staatspleite mit der Mitgliedschaft in einer Währungsunion vereinbaren lässt, ist eine andere Frage.

Was würde eine mögliche Pleite Griechenlands für die Zukunft des Euro bedeuten: Wäre die Gemeinschaftswährung dann noch zu retten?

Selbstverständlich. Zwar würden die konstitutionellen Rahmenbedingungen für den Euro in Frage gestellt werden. Doch würde Europa auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen und die Grundlagen für die zukünftige Ausgestaltung der Währungsunion optimieren. Mittelfristig wird ein höherer Integrationsgrad der Euroländer unvermeidbar sein, langfristig werden wir wohl eine Form der Fiskalunion sehen. All dies dürfte zu einer Wiedererstarkung des Euro führen.

Viele Politiker befürchten bei einem Zerfall des Euro auch ein Ende der europäischen Einigung. Zu Recht?

Nein. Die Meinung, dass Europa fällt, wenn der Euro fällt, teilen wir nicht. Gleichwohl warnen wir vor einem negativen Momentum, einer aufkeimenden Europa-Müdigkeit, wenn nicht sogar Europa-Feindseligkeit, wie sie sich auch in den erschreckend hohen Wahlergebnissen für extremere Parteien bemerkbar macht.

Unabhängig vom Euro braucht Europa einen neuen Schub, eine Vision, die ihm von glaubwürdigen europäischen Politikern von Format vermittelt wird. Die europäische Idee, die europäische Integration ist wohl mit das Beste, was dieser Kontinent seit über einem Jahrhundert auf den Weg gebracht hat. Sie verdient einen besseren Platz im Bewusstsein und in den Herzen der europäischen Bürger.

Neben Griechenland droht im laufenden Jahr ja noch eine andere Belastung: Viele Beobachter erwarten inzwischen, dass die Fed im September die Zinswende nach oben einleiten könnte. Wie würde sich ein solcher Schritt auf die US-Börsen auswirken und wie auf den DAX?

Der Dax wird dieses Ereignis deutlicher zu spüren bekommen als der diversifiziertere S&P 500. Auch dieses Ereignis wird von Volatilität begleitet werden. Zwar zeigt die Vergangenheit, dass Aktienbörsen auch nach einer Zinswende noch weiter laufen können. Allerdings dürfen wir hier nicht die historischen Parallelen überstrapazieren angesichts des Neulands, dass wir dank des Zentralbank-Aktivismus täglich betreten.

Wo sehen Sie den DAX also zum Jahresende?

Unsere Prognosen belaufen sich stets auf 12 Monate. Wir bleiben bei unserem DAX-Ziel von 11.100 Ende des Jahres.

Wie sollten sich Anleger auf ein solches Szenario aus Griechenland und möglicher Zinswende einstellen: in defensive Werte umschichten oder doch auf Anleihen setzen?

Kurzfristig profitieren in einem unsicheren Umfeld natürlich Anleihen erster Güte. Angesichts des Zinsumfelds sollte man sich allerdings auf kurz- und mittelfristige Laufzeiten konzentrieren. Bei Aktien, hier bleiben wir ohnehin unserer Strategie der letzten Jahre treu, sollte man weiter auf Substanzwerte mit solider Ausschüttungsfähigkeit setzen. Der wichtigste Anlagegrundsatz bleibt aber, sein Vermögen breit zu streuen.