Bei den Anlegern des Technologiekonzern Siemens ist die Stimmung seit Freitag gedämpft. Der Konzern ging mit fast drei Prozent Minus als Dax-Schlusslicht ins Wochenende. Ursache hierfür dürften die schwachen Zahlen zum Auftragseingang der deutschen Industrie im Mai gewesen sein.

Die Industrie kämpfte mit einem Auftragsschwund. Das Neugeschäft im Verarbeitenden Gewerbe sank im Mai um mehr als zwei Prozent zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Neben den Zollkonflikten und der angeschlagenen Autoindustrie belasteten auch die Unsicherheiten in Politik und Wirtschaft. "Die Bestellungen aus dem Ausland sinken deutlich", sagte Kevin Heidenreich vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag.

Das setzt auch dem weltweit aktiven Konzern aus München zu. Vor allem für die wichtige Sparte Digitale Industrie dürfte das abgelaufene Quartal schwierig gewesen sein, schreibt Analyst Gael De-Bray von der Deutschen Bank in seinem Branchenreport. Er rechnet zwar nicht damit, dass die Investitionsgüter-Unternehmen wie Siemens die Gewinnerwartungen deutlich verfehlten. Allerdings gebe es viele Risiken für die Branche.

Dennoch gehen nahezu alle Konjunkturprognosen davon aus, dass die Wirtschaft im zweiten Halbjahr ihre aktuelle Schwäche überwinden könnte. So geht beispielsweise die Bundesregierung von einem BIP-Wachstum von 0,5 Prozent aus. Von einer Wende zum Besseren sei bisher allerdings nichts zu sehen, so Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Auch Carsten Brzeski, Volkswirt von der Direktbank ING, schlägt skeptische Töne an: "Die verheerenden Auftragsdaten lassen die Hoffnung auf eine konjunkturelle Wende in der Industrie platzen."

Gewinnwarnung vom Branchenkollege


Besonders der Handelsstreit sorgt für schlechte Konjunkturaussichten. Das spürt bereits der schwedische Messtechnik-Konzern Hexagon. Der Branchenkollege warnte vergangenen Freitag die Anleger, dass der Gewinn im zweiten Quartal unter den Erwartungen liegen dürfte. Der Zollkonflikt drücke auf die China-Umsätze. Die Hexagon-Aktie brach daraufhin um knapp 15 Prozent ein. Das brachte europaweit die Industriekonzerne unter Druck - so auch Siemens.

Das schürte die Angst der Anleger, dass die anstehenden Quartalszahlen der Industriekonzerne enttäuschen könnten. Viele Zykliker hatten bereits ihre Prognose nach unten korrigieren müssen, was diese Befürchtung der Börsianer noch bestärkt. Unter Zyklikern versteht man Titel, die mit dem Zyklus der Konjunktur schwanken, wie beispielsweise die Automobilbranche.

Bloomberg-Analysten rechnen bei Siemens für das dritte Quartal (per Ende Juni) mit einem bereinigten Nettoertrag von knapp 1,3 Milliarden Euro, nach 1,8 Milliarden Euro im vorherigen Quartal - das wäre ein Minus von mehr als 27 Prozent. Beim Umsatz rechnen die Experten mit einem Plus von gut fünf Prozent auf knapp 22 Milliarden Euro. Den Betriebsgewinn dürfte Siemens im dritten Quartal auf 2,4 Milliarden Euro gesteigert haben.

Das ist sonst noch los bei Siemens


Neben dem Handelsstreit und den Sorgen um eine Abschwächung der Weltkonjunktur hat Siemens auch mit anderen Baustellen zu kämpfen. Der geplante Umbau des Unternehmens ist kosten- und zeitintensiv. Siemens-Chef Joe Kaeser will die kürzlich neu formierte Energie- und Gassparte ausgliedern und bis September 2020 an die Börse bringen.

Denn die Energiewende und die Überkapazitäten bei Gasturbinen machen der Energiesparte seit längerem zu schaffen. Der Umsatz in dem Bereich sank im vergangenen Quartal um vier Prozent auf 2,8 Milliarden Euro. Mitte Juni kündigte Siemens zudem an, 2.700 Arbeitsplätze in der Sparte zu streichen - davon 1.400 in Deutschland. Die Standorte Erlangen und Berlin seien am stärkten betroffen, wie der Konzern mitteilte.

Für langjährige Aktionäre nichts Neues: Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat sich Siemens immer wieder von wackelnden oder nicht mehr ins Konzept passenden Geschäften getrennt: So die Börsengänge von Infineon und Osram, die Trennung vom Telekommunikationsgeschäft und der Ausstieg aus dem Haushaltswarengeschäft. Zudem schloss Siemens das Windgeschäft mit dem spanischen Konkurrent Gamesa und brachte die dem Medizintechniksparte Siemens Healthineers an die Börse.

Einschätzung der Redaktion


Die Nachrichten über den schwächelnden Auftragseingang der deutschen Industrie und die Gewinnwarnung von Hexagon belasten die Siemens-Aktie. Bereits am vergangenen Freitag sackte das Papier um drei Prozent ab. Am Montag notierte der Wert zum Nachmittag gut 1,5 Prozent im Minus.

Charttechnisch betrachtet kommt die Aktie seit dem Hoch Anfang Mai bislang kaum vom Fleck. Mit einem Kursplus von rund vier Prozent seit Anfang des Jahres belegt das Siemens-Papier einen Platz im unteren Dax-Mittelfeld. Der Index gewann im gleichen Zeitraum fast 19 Prozent.

Nach den jüngsten Rücksetzern notiert der Kurs knapp über der viel beachteten 200-Tagelinie bei 101 Euro. Fällt dieser Widerstand, könnte die Aktie den etablierten Seitwärtskurs nach unten verlassen und auf 94 Euro zurückfallen.

Auf lange Sicht bleibt die Siemens-Aktie dennoch ein stabiles Investment. Vor allem die Aussichten in den Geschäftsfeldern Gebäudetechnik und Netze und Digitale Industrie überzeugen langfristig. Bereits investierte Anleger halten die Aktie, mutige Investoren nutzen die Korrektur, um einzusteigen.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 132,00 Euro
Stoppkurs: 89,00 Euro

Mit Material von Reuters