"… but remember to come back in September" - lautet der zweite Teil der bekannten "Sell in May"-Regel. Demnach wäre es vorteilhaft, im September wieder in den Aktienmarkt zu investieren, nachdem man sich im Mai von seinen Positionen getrennt hat. In diesem Jahr hätte sich ein Ausstieg im Mai allerdings als schlechter Ratschlag erwiesen. Immerhin hat der DAX von Anfang Mai bis Anfang September rund fünf Prozent hinzugewonnen. Auf eine ähnlich positive Entwicklung blickt auch der US-Leitindex S&P 500 in diesem Zeitraum zurück.

Börsensprüche sollten daher mit Vorsicht genossen werden: Was sich in der Vergangenheit als richtig erwies, muss nicht zwangsläufig auch für die Gegenwart gelten. Zurückzuführen ist die Mai-September-Regel auf die These, dass die Sommermonate vergleichsweise umsatzschwach und damit anfälliger für Kursrückschlage sind, weil sich viele Börsianer im Urlaub befinden. Früher mag das tatsächlich der Fall gewesen sein, doch mittlerweile ist die Finanzwelt eine völlig andere. Institutionelle Investoren mit ihren computergestützten Handelssystemen bestimmen, wohin die Richtung geht. Und Computer brauchen bekanntlich keinen Urlaub. Tatsächlich sind die großen Börsenplätze auch im Sommer hochliquide.

Auf Studien ist kein Verlass



Auch die unzähligen Studien, die sich mit dem Börsenspruch "Sell in May" beschäftigt haben, kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Allein schon deshalb, weil die Parameter von Untersuchung zu Untersuchung abweichen. Zu den wichtigsten Größen gehört zum Beispiel der Zeitpunkt des Wiedereinstiegs. Und schon hier variieren die Studien ganz erheblich. Mal erfolgt dieser Anfang September, mal am St. Leger Day, dem Tag des berühmten Pferderennens oder ein anderes Mal erst im Oktober. Weitere Punkte sind: Werden Transaktionskosten wie An- und Verkaufsgebühren berücksichtigt? Welcher historische Zeitraum wurde betrachtet? Werden Zinserträge (während der Auszeit) oder Dividenden angerechnet?

Die Experten der CXO Advisory Group haben sich die Mühe gemacht, diese Faktoren in unterschiedlichen Szenarien für den amerikanischen Aktienmarkt im Zeitraum von 1871 bis 2012 durchzuspielen. Das Ergebnis: In allen Fällen hätte sich eine Buy-and-Hold-Strategie mit einem durchschnittlichen Plus von 5,0 Prozent pro Jahr als die bessere Alternative erweisen. Wer dagegen nur von Oktober bis April investiert war, also der "Sell in-May"-Regel folgte, hätte je nach Szenario nur eine Rendite zwischen 2,0 und 3,8 Prozent erzielt.

Der Rest des Jahres wird spannend



Anleger sind gut beraten, solchen Börsenregeln nicht stur zu folgen. Stattdessen sollten sie die Lage und die Perspektiven selbst prüfen und einschätzen. Gerade in diesem Jahr stehen in den kommenden Monaten einige Ereignisse an, die für die Kursentwicklung relevant sein könnten. So dürfte es Ende Dezember in Spanien zu Neuwahlen kommen, nachdem eine Regierungsbildung in diesem Jahr bereits zwei Mal gescheitert ist. In Italien wiederum wird es im Herbst ein Verfassungsreferendum geben. Beide Ereignisse könnten den Europa-Skeptikern Auftrieb geben und zu Turbulenzen an den europäischen Aktienmärkten führen, wie es auch schon nach dem Brexit-Votum der Briten der Fall war.

Eine mit Spannung erwartete Richtungsentscheidung steht auch in USA an. Dort wird am 8. November der neue Präsident gewählt. In weiten Teilen der Bevölkerung sind weder die demokratische Kandidatin Hillary Clinton mit ihrem "Weiter so" noch der unberechenbare Republikaner Donald Trump besonders beliebt. Auch die Wall Street hat keinen klaren Favoriten. So will Clinton die Finanzmarktakteure mit einer verschärften Regulation kürzer an die Leine nehmen ("Put an end to quarterly capitalism"). Trump wiederum verschreckt die Investoren mit seiner auf Protektionismus getrimmten Rhetorik ("Fighting for american business and workers"). Obwohl die frühere First Lady in Umfragen führt, gilt der Wahlausgang als offen. Für Anleger ist es daher möglicherweise ratsam, zumindest die US-Wahl abzuwarten, bevor man sich an der Börse neu positioniert.