Wer aktuell mit dem Auto auf der Rosenheimer Straße in München unterwegs ist, muss Zeit mitbringen. Sowohl stadteinwärts als auch stadt­auswärts können die Autos auf einer der meistbefahrenen Straßen der Landeshaupt­stadt nur noch eine Spur nutzen. Und das liegt ausnahmsweise nicht an Baustellen, die den Weg versperren. Markiert sind hier sogenannte Pop-up-Radwege, die vorübergehend ausschließlich von Fahrrädern genutzt werden dürfen. In vielen deutschen Städten entstehen Radwege dieser Art.

Zunächst führte der Corona-Lockdown dazu, dass komplette Innenstädte verwaist waren. Menschen blieben zu Hause, die U-Bahn fuhr fast leer, Städte waren nahezu autofrei. Mit den Corona-Lockerungen kamen wieder etwas mehr Autos auf die Straßen. Doch laut einer Studie der Landesbank Baden-Württemberg sind die Stauquoten in den Großstädten Chinas und Europas längst nicht auf altem Niveau - außer vielleicht auf den Pop-up-Wegen.

Vor allem in den Städten führt am Fahrrad mittlerweile kein Weg mehr vorbei. Aktuell steigen immer mehr Leute, die bislang den Öffentlichen Personennahverkehr oder das Auto nutzten, auf den Drahtesel um. Laut aktueller Umfrage des ADAC gaben 21 Prozent an, ihn künftig häufiger nutzen zu wollen.

Ketten wieder geschmiert


Ein Trend, der sich in absoluten Zahlen schon im vergangenen Jahr abzeichnete: So kletterte der Umsatz mit Fahrrädern in Deutschland auf 4,23 Milliarden Euro - ein Plus von 34 Prozent. Grund dafür waren jedoch nicht die höheren Stückzahlen, im Gegenteil, bei den klassischen Fahrrädern gab es sogar ein Minus: Insgesamt verkauften Produzenten und Händler knapp acht Prozent weniger. Bei den batteriebetriebenen Pedelecs gab es hingegen ein deutliches Plus. Das Wichtigste: Der Verkaufspreis lag im Schnitt um 30 Prozent über dem Vorjahr, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass sich die Radler die kostspieligen Elektroräder zulegten. Vorteil für die Unternehmen: Nicht nur die Preise, auch die Margen sind bei diesen höher. Einer der größten Hersteller von Pedelecs ist die niederländische Accell-Gruppe. Zu ihr gehören Marken wie Haibike, Winora, Ghost oder Batavus. Im vergangenen Jahr verkaufte Accell knapp eine Million Räder. Dennoch ist es nicht so, dass die Pandemie spurlos vorbeigegangen wäre: Im März und April sackte der Umsatz um 27 Prozent ab. Das Problem: Globale Lieferketten waren unterbrochen, seit Herbst große Teile der Produktion stillgelegt. Auch die Kunden hielten sich zurück. Sie blieben zu Hause, anstatt sich nach Rädern umzuschauen.

Gerade die Frühjahrsmonate sind aber für die Fahrradindustrie wichtig. Doch mit den Lockerungen hellte sich auch die Stimmung auf. Deutlich mehr Teile konnten geliefert werden, die Produktion zog an, Menschen stiegen wieder auf ihre Zweiräder. Im Mai lag das Plus bei Accell bei 23 Prozent. "Die starke Erholung ist eindeutig eine positive Entwicklung", sagt CEO Ton Anbeek. Andererseits sind die Auswirkungen von Covid-19 für die Niederländer noch nicht absehbar. Auf Jahressicht könnte das Ergebnis vor Zinsen und Steuern deutlich fallen. Doch letztlich stimmt der Trend. Der Anbieter sollte sich auch weiterhin am Markt behaupten können. Seit dem Tief legte der Titel wieder kräftig zu. Wir erhöhen unseren Stopp- und Zielkurs.

Einen deutlich geringeren Umsatz mit Rädern macht die in Österreich beheimatete Pierer Mobility AG - einst KTM Industries AG. Bekannt ist sie vor allem für ihre Motorräder. Der umtriebige Sanierer, CEO und Großaktionär Stefan Pierer kaufte die Firma Anfang der 90er-Jahre aus der Insolvenz und baute sie sukzessive auf. Heute fahren die Motorräder von KTM wieder ganz vorn mit. Gemessen an der Stückzahl zog KTM an Harley Davidson vorbei. Nicht dazu gehört die Fahrradmarke KTM. Die Firmen trennten sich nach der Insolvenz. Dass Pierer die Firma damals nicht komplett kaufte, dürfte ihn heute ärgern: Bei der KTM GmbH, ebenfalls in Mattighofen ansässig, läuft es wie geschmiert. Pierer musste anders in den Fahrradmarkt kommen. Er übernahm den Schweinfurter Hersteller von Pedelecs, Pexco, mit den Marken Husqvarna und R Rayman. In diesem Jahr wollen die Österreicher über 60 000 Räder verkaufen und einen Umsatz von rund 100 Millionen Euro erwirtschaften. Zum Vergleich: Der gesamte Konzern kommt 2020 voraussichtlich auf einen Umsatz von etwas mehr als 1,5 Milliarden Euro. Jedoch sind die Wachstumsraten im Radgeschäft höher.

Zubehör-Dino mit Potenzial


Trotz guter Aussichten musste auch Shimano seine Jahresprognose zurücknehmen. Im ersten Quartal sank der Umsatz um etwas mehr als zwölf Prozent. Mit Schaltungen, Bremsen und anderen Komponenten haben die Japaner auf dem Weltmarkt eine nahezu unangefochtene Marktstellung. Dazu kommt ein eher ungewöhnliches zweites Standbein: Shimano gehört zu den wichtigsten Herstellern von Angelgeräten. Am Gesamtumsatz macht die Sparte immerhin etwas mehr als 20 Prozent aus. Sie dürfte ebenfalls ein Krisengewinner sein. Wann, wenn nicht jetzt gehen Angler zum Fischen? Zudem ist die Branche konjunkturell unabhängig.

Zwar ist auch der Aktienkurs von Shimano bereits steil gestiegen und einiges an positiven Nachrichten dürfte eingepreist sein. Dennoch setzen wir auch hier auf höhere Kurse. Anders als Firmen, die nur kurzfristig von der Krise profitieren, sollte es bei den Japanern nachhaltig aufwärtsgehen. Im kommenden Jahr werden sie 100 Jahre alt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist der Konzern marktführend. Der Trend zum Fahrradfahren sollte anhalten, vor allem der zum E-Rad. Qualitativ hochwertige Materialien werden dann gefragt sein. Selbst wenn die Pop-up-Wege irgendwann wieder von den Straßen verschwinden.