Die ehemalige Außenministerin der USA Madeleine Albright warnt vor einer weltweiten Zunahme populistischer und faschistischer Tendenzen. Sie sieht die multilaterale Nachkriegs­ordnung in Gefahr. Von Sabine Gusbeth, Euro am Sonntag

Madeleine Albright macht sich Sorgen. Große Sorgen. Es entstehe gerade eine neue Weltordnung und "die USA sind abwesend", sagt die ehemalige US-Außenministerin Mitte Februar während der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Stimmung auf der internationalen Tagung sei "angespannt", findet sie. Und das habe vor allem damit zu tun, dass keiner weiß, welche Rolle die Vereinigten Staaten künftig in der Weltpolitik spielen wollen. Länder wie China und Russland stünden bereit, den Platz der USA einzunehmen.
"Ich wünsche mir keine Welt, in der die USA abwesend sind", stellt Albright klar und verweist auf die Vorstellung Chinas von Menschenrechten. Aus ihrer eigenen Vergangenheit weiß die 81-Jährige, "was passiert ist, als die USA nicht eingriffen, und was, als sie es taten". Kurz vor ihrem zweiten Geburtstag war sie mit ihrer Familie vor den Nazis aus ihrer Heimatstadt Prag geflohen. In den USA gelang ihr der Aufstieg von der tschechoslowakischen Asylsuchenden zur Außenministerin.

Der Siegeszug Hitlers, der im Zweiten Weltkrieg endete, war auch ein Resultat des Isolationismus nach dem Ersten Weltkrieg, als sich die USA von der internationalen Bühne zurückzogen. Anders als nach 1918 haben die USA nach 1945 aber "Verantwortung übernommen", sagt die promovierte Politologin. Um zu verhindern, dass sich Geschichte wiederholt, entstanden nach 1945 unter Federführung der USA eine Vielzahl multilateraler Organisationen, wie die Vereinten Nationen (UN), der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und das nordatlantische Verteidigungsbündnis NATO. Doch diese Nachkriegsordnung wankt, auch weil sich die USA zunehmend als Ordnungsmacht zurückziehen.

Gegner statt Partner

"Die Amerikaner mögen das Wort Multilateralismus nicht, es hat zu viele Silben", scherzt Albright, um kurz darauf ernst hinzuzufügen: "Wir müssen nicht der Weltpolizist sein, aber wir sollten mit unseren Partnern gut zusammenarbeiten." US-Präsident Donald Trump aber stellt die transatlantische Partnerschaft immer wieder infrage. Er bezeichnete Europa in Handelsfragen als "Gegner" und die NATO als "ver­altet".

Die versierte Außenpolitikerin dagegen wünscht sich ein Verhältnis auf Augenhöhe, fordert aber auch mehr Anstrengung der Europäer. Nach dem Krieg sei Europa lange Zeit krank gewesen. Das Verhältnis zu den USA war damals vergleichbar mit dem eines Kindes zu seiner Mutter. Als es aufwärts ging, habe sich das Verhältnis zu einer Eltern-Teenager- Beziehung verändert. "Aber wir brauchen eine Beziehung wie zwischen zwei Erwachsenen", sagt sie in München.

Europa sei lange Zeit das Problem gewesen. "Jetzt seid ihr Teil der Lösung", habe sie bereits während ihrer Zeit als US-Außenministerin zwischen 1997 und 2001 stets betont. Sie gibt zu, dass sie sich damals "mit den Europäern nicht immer leicht getan hat". Doch es gebe "keine bessere Partnerschaft, weil sie auf gemeinsamen Werten, Eigenschaften und der gleichen Geschichte basiert", findet sie.

Deshalb hasse sie zu sehen, was in der EU gerade passiert: der bevorstehende Brexit, die Risse zwischen Ost- und Westeuropa, das fehlende Verständnis über die Bedeutung der NATO. "Ich möchte ein Europa, das zusammenhält", lautet ihr Appell. Schließlich ist sie selbst Europäerin. "Und ich möchte, dass dieser Kontinent eine wichtige Rolle spielt", um die gemeinsamen Werte zu verteidigen, fügt die gebürtige Pragerin hinzu.

Verachtung demokratischer Werte

Doch diese Werte werden derzeit auf beiden Seiten des Atlantiks immer häufiger infrage gestellt. Donald Trump habe von Anfang an "seine Verachtung für die demokratischen Institutionen zur Schau gestellt, für die Ideale der Gleichheit und der sozialen Gerechtigkeit, den bürgerlichen Diskurs, die bürgerlichen Werte und Amerika selbst", schreibt Albright in ihrem Buch "Faschismus. Eine Warnung". "Er ist der undemokratischste Präsident, den wir in der modernen amerikanischen Geschichte hatten", sagt sie im Februar bei einer Diskussion über ihr Buch im Münchner Literaturhaus.

Trump bediene sich faschistoider Methoden, um seine Macht zu sichern. "Ich glaube nicht, dass er ein Faschist ist", stellt sie klar. Doch er verwende Methoden, die auch Faschisten nutzen: Ein faschistischer Führer mache sich mit einer oft nationalistisch orientierten Gesellschaftsgruppe gemein auf Kosten einer anderen, die zum Opfer degradiert werde. Dieser Sündenbock seien in den USA unter Trump die Einwanderer.

Als typisch wertet sie auch seine Verachtung für die unabhängige Justiz und seinen Feldzug gegen die freie Presse, die er als Feind des Volkes denunziert. Es sei spannend gewesen, wie Trump im Wahlkampf mit Menschen und Medien umgegangen ist, findet Albright, die 2016 die demokratische Kandidatin Hillary Clinton unterstützt hat: "Ein Meister der Propaganda zu sein und mit den Massen zu spielen - Trump beherrscht das."

Die Politologin, die bis heute an der ­renommierten Georgetown Universität unterrichtet, sieht in vielen Ländern historische Parallelen zur Entstehung des Faschismus unter Benito Mussolini in Italien. Auch ihr Lieblingszitat aus dem Buch stammt von dem Diktator: "Man muss dem Huhn die Federn nur einzeln ausrupfen, dann fällt es lange nicht auf", soll der Duce gesagt haben. "Im Moment werden an sehr vielen Orten sehr viele Federn gerupft", warnt sie.
Als Beispiele nennt sie Erdogan in der Türkei, Duterte auf den Philippinen, al-Sisi in Ägypten, Kim Jong-un in Nord­korea, Putin in Russland, Orbán in Ungarn, Kaczynski in Polen und eben Trump. Sein Aufstieg sei auch möglich gewesen, weil es eine gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich in der amerikanischen Gesellschaft gebe. "Ein anderer politischer Führer hätte vielleicht die Spaltung erkannt und versucht sie zu schließen", glaubt die Demokratin.

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Zerbrechlich und widerstandsfähig

Als sie und ihre Familie 1948 politisches Asyl in den USA beantragten, waren diese ein Land der Mittelschicht. Doch schon damals habe ihr Vater, der an der Universität von Denver lehrte, davor gewarnt, dass die Amerikaner ihre Demokratie für selbstverständlich halten, erinnert sich Albright. Heute zeige sich, wie zerbrechlich, aber auch wie widerstandsfähig die Demokratie sei. Sie hofft, dass das System nach den Zwischenwahlen, in denen die Demokraten im Repräsentantenhaus die Mehrheit zurückerobert haben, nun beweist, wie widerstandsfähig es ist. Und dass mehr darüber diskutiert wird, wofür Amerika steht und wohin es will.

Wie Entscheidungen im Weißen Haus derzeit zustande kommen, beobachtet die Grande Dame der US-Außenpolitik mit einer Mischung aus Faszination und Entsetzen. Anders als unter früheren Präsidenten scheine es keine Beratungen mit den zuständigen Ministern mehr zu geben. Als Beispiel nennt sie Trumps Ankündigung Ende Dezember, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen. Verteidigungsminister Jim Mattis hatte daraufhin sein Amt niedergelegt. "Selbst für Amerikaner ist es schwer zu verstehen, was da passiert", sagt sie.

Als Außenministerin sei es ihr immer wichtig gewesen, Kontakt zu den wichtigsten Partnern zu halten. Während des Kosovo-Kriegs habe sie etwas für damalige Verhältnisse komplett Neues eingeführt: die tägliche Telefonkonferenz mit Briten, Franzosen, Italienern und Deutschen. Der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer habe dabei "manchmal nebenher Fußball gehört", lacht sie und spricht von "einer Beziehung, geprägt von Respekt und Freundschaft". Ein gegenseitiger Respekt, der bis heute anhält: Fischer arbeitet auch für das einflussreiche Politikberatungsunternehmen, das Albright nach dem Ende ihrer politischen Laufbahn gegründet hat (siehe unten).

Gerade weil Beziehungen zu anderen Staatslenkern in der Politik so wichtig sind, beunruhigt es die transatlantische Netzwerkerin, wie Trump mit Partnern und Verbündeten umspringt. Jeder Präsident müsse lernen, dass "unser Land Teil eines internationalen Systems ist, das wir anführen, von dem wir aber auch profitieren und bei dem uns keiner ausnutzen will", betont die Politikberaterin auf der Sicherheitskonferenz in München. Gerade die Kombination von Souveränität und internatio­naler Verpflichtung schließe weder das eine noch das andere aus.

Informationen als Waffe

Trotz aller Kritik an Trump ist es Albright wichtig festzuhalten, dass er der rechtmäßig gewählte Präsident der Vereinigten Staaten ist. Es stört sie, dass ­immer noch zu viel darüber diskutiert wird, ob er die Wahl wirklich gewonnen hat. Stattdessen sollte der Frage nachgegangen werden, wer ihn gewählt hat und warum. Sie habe es sich selbst zur Aufgabe gemacht, Leuten zuzuhören, mit denen sie nicht einer Meinung ist: "Nicht um sie umzustimmen, sondern um zu verstehen, was sie antreibt."

Außerdem sei es wichtig herauszu­finden, ob Russland den Wahlkampf manipuliert habe. "Ich bin davon überzeugt, dass an unseren Wahlen herumgepfuscht wurde", sagt Albright. Und dann wird sie deutlich: "Putin ist ein KGB-Agent. Er weiß, wie man Propa­ganda nutzt und wie man Informationen als Waffe einsetzt." Er wolle "uns und unsere Verbündeten auseinandertreiben. Und er macht das systematisch." Auf diese Weise wolle Russland das multilaterale System zerstören, das in den vergangenen Jahrzehnten auf­gebaut wurde.

Vita:

Vom Flüchtling zur
US-Außenministerin

Madeleine Albright wurde am 15. Mai 1937 in Prag als Marie Jana Körbelová geboren. 1939 floh ihre jüdische Familie vor der Wehrmacht nach London. 1945 kehrten sie in ihre Heimat Tschechoslowakei zurück. Doch als die Kommunisten sich dort 1948 an die Macht putschten, beantragte die Familie politisches Asyl in den USA. 1997 wurde die promovierte Politologin in der Regierung Bill Clinton als erste Frau zur US-Außenministerin ernannt. Albright ist geschieden und hat drei Töchter. Als Markenzeichen gelten ihre auffälligen Broschen.

Unternehmen
Einflussreiche Berater

Nach ihrer politischen Karriere gründete Albright 2001 ein Beratungsunternehmen. Heute gilt die Albright Stone­bridge Group (ASG) als eine der einflussreichsten Politikberatungen der Welt. Sie ist nach eigenen Angaben in über 110 Ländern aktiv. Unter den Beratern finden sich hoch­rangige Ex-Politiker wie der ehemalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne). Zur ASG gehört auch die ­Investmentfirma Albright Capital, die auf Schwellenländer spezialisiert ist. Sie verfügt über einen Kapitalstock von umgerechnet rund 760 Millionen Euro.