Als Grete Schickedanz 1994 im Alter von 82 Jahren starb, kondolierten Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundespräsident Roman Herzog und der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Sie hatte eines der größten Unternehmen Deutschlands mit aufgebaut - unmittelbar nach Kriegsende, und somit in einer Zeit, in der das Frauen- und Mutterbild noch stark von nationalsozialistischen Vorstellungen geprägt war.

Grete Schickedanz kam 1911 als Grete Lachner in Fürth zur Welt. "Mein Vater war Fabrikarbeiter und Kleinbesitzer von zwei Kühen", sagte sie später. "Meine Mutter arbeitete öfter als Tagelöhnerin, um die Familieneinnahmen zu verbessern. Ich musste daher oft per Hand die Kühe melken, von deren Milch Käse zum Eigenverbrauch und Verkauf produziert wurde." Sie und ihre vier Geschwister waren nicht selten gezwungen, im Umland bei den Bauern um Brot zu betteln. Aber statt eines Stücks Brot oder eines Bechers Milch gab es oft nur böse Worte.

In der Volksschule war sie Klassenbeste, ein Studium hätten die Eltern jedoch nicht finanzieren können - auch nicht die Ausbildung zur Kindergärtnerin, ihrem Traumberuf. Stattdessen nahm sie mit 15 Jahren eine Stelle als Lehrmädchen bei "Gustav Schickedanz, Kurzwaren en gros" in Fürth an. Als Lohn erhielt sie 21 Reichsmark, von denen sie 15 zu Hause abgab. "Die Arbeit begann um sieben und endete oft erst abends um neun, zehn", ­erinnerte sie sich.

Gustav Schickedanz, ihr Chef, gründete 1927 ein zweites Unternehmen, das er "Quelle" nannte. Er träumte vom Aufbau eines Versandhauses, dessen Kunden die Möglichkeit haben sollten, ohne Zwischenhandel, also an der Quelle, einzukaufen. Eine große Chance für das ehrgeizige Lehrmädchen Grete, das bereits nach kurzer Zeit Kisten packte, Pakete verschickte und die Buchhaltung der neuen Firma führte. Bald leitete sie den gesamten Einkauf. Schickedanz’ Konzept ging auf, schnell wurde Quelle zu einem bedeutenden Wolleversender. 1938 machte das Unternehmen rund 40 Millionen Reichsmark Umsatz.

1929 musste Gustav Schickedanz einen Schicksalsschlag verkraften: Bei einem Verkehrsunfall wurden seine Frau Anna und sein fünf Jahre alter Sohn Leo getötet, sein Vater erlag wenige Tage später den schweren Verletzungen. Gustav Schickedanz selbst konnte die Klinik erst nach Wochen verlassen. Lediglich die vier Jahre alte Tochter Louise überlebt die Katastrophe unverletzt. Grete wurde nun zur rechten Hand des Chefs, kümmerte sich auch um die kleine Tochter, begleitete ihn auf Geschäftsreisen. Es war die Zeit der großen Wirtschaftskrise.

In den 1930er-Jahren kaufte sich das "Fräulein Grete" ein Haus in Fürth, das zum Treffpunkt ihrer Familie wurde. Dort fuhr auch Gustav Schickedanz öfter vor. Mit Rücksicht auf seine Tochter Louise wartete Schickedanz mehr als ein Jahrzehnt, ehe er Anfang Juni 1942 seine große Liebe Grete ehelichte. Ein Jahr später brachte Grete im Luftschutzbunker der Nürnberger Frauenklinik die Tochter ­Madeleine zur Welt. Das Firmengebäude von Quelle fiel 1943 den alliierten Bombenangriffen zum Opfer. Nach Kriegsende wurde Gustav Schickedanz von den Amerikanern mit einem Berufsverbot belegt und zu Hilfsarbeiten verpflichtet. Allein in der ersten Phase der "Arisierung" zwischen 1933 und 1937, die ohne rechtliche Grundlage erfolgte, habe Schickedanz zehn Firmen und Grundstücke übernommen, so der Historiker Eckart Dietzfelbinger, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dokumentationszentrum Reichs­parteitagsgelände in Nürnberg.

In dieser dunklen Zeit wohnte die Familie Schickedanz in einer Zweizimmerwohnung, die Freunden gehörte. In ihrer schicken Villa in Fürth und in ihrem Wochenendhaus waren Amerikaner einquartiert. Aber Grete ließ sich nicht entmutigen, schließlich kannte sie Hunger und Armut bereits aus ihrer Jugend. Sie packte an - wie die vielen anderen Frauen, deren Männer im Krieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft geraten waren, die verwundet oder traumatisiert nach Hause zurückkehrten.

Die Jahre des Wirtschaftswunders


Grete Schickedanz eröffnete damals in Hersbruck ein kleines Textilgeschäft. "Meine Mutter hat uns über Wasser gehalten", erinnerte sich Louise Schickedanz später. "Wir hatten noch Stoff- und Wollreste, mit denen sie angefangen hat zu handeln. Die hat sie bei Bauern eingetauscht gegen Lebensmittel. Sie war immer die Bodenständige, während mein Vater wie gelähmt dasaß."

Mit einem klapprigen Fünftonner fuhr sie durch die zerbombten Städte und Dörfer und sammelte an Ware ein, was sie kriegen konnte. Das Geschäft boomte: Jeden Morgen standen Menschenschlangen vor ihrem "Lädele": Hemden, Hosen oder Unterwäsche wurden ihr förmlich aus den Händen gerissen. Schon 1950, also im ersten Geschäftsjahr nach seiner Rückkehr in den Betrieb, setzte Schickedanz über 40 Millionen Mark um und stellte damit das Rekordjahr 1938 in den Schatten. 1952 betrug der Jahresumsatz bereits 103 Millionen Mark. Es begann eine Erfolgs­geschichte, wie sie, zumal im Handel, nur einmal geschrieben wurde.

Das Erfolgsgeheimnis? Mit entscheidend war die bahnbrechende Integration von Automatisierung und elektronischer Datenverarbeitung in die Unternehmens­abläufe. Ein ehemaliger Wehrmachts­general entwickelte damals in Nürnberg mit einem Heer von Ingenieuren eine Versandstraße mit kilometerlangen Förderbändern. Das Sortier- und Versandsystem konnte täglich 100 000 Pakete bewältigen.

Grete Schickedanz kümmerte sich auch um die Internationalisierung des Unternehmens. "Sie jettet von Fürth nach New York, nach Hongkong, Paris und Taipeh.Sie fühlt sich zu Hause in den Handelszentren der Welt, Termine bestimmen ihr Leben, jagen sie von Verhandlungen zu Empfängen, ihre Unterschrift wiegt Mil­lionen", heißt es in einer Firmendokumentation.

1977 starb der Patriarch. Nach dem Tod von Gustav Schickedanz übernahm Grete zusammen mit ihren beiden Schwiegersöhnen die Firmenleitung und arbeitete bis nach ihrem 80. Geburtstag im Unternehmen mit. Sie galt als harte Verhandlungspartnerin, entschied über millionenteure Investitionen und suchte persönlich die Pullover für den nächsten Katalog aus.

1993 legte sie ihre Führungsämter nieder, nachdem sie an Parkinson erkrankt war. Im darauffolgenden Jahr starb sie an einer Herz-Kreislauf-Schwäche. Den Niedergang von Quelle, die Insolvenz des späteren Mutterkonzerns Arcandor samt Tochterfirmen miterleben zu müssen, blieb ihr erspart.