Heinz-Horst Deichmann kam 1926 im Essener Arbeiterviertel Borbeck als fünftes Kind des Schuhmachers Heinrich Deichmann zur Welt. Der Vater war ein frommer Mann, der seinen Kindern aus der Bibel vorlas und seinen Mitarbeitern das Evangelium predigte. In der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938, als die Nazis jüdische Geschäfte und Synagogen zerstörten und Zehntausende Juden in Konzentrationslager verschleppten, besuchte er jüdische Freunde, um ihnen beizustehen. Heinz-Horst erinnerte sich später, was sein Vater damals prophezeite: "Dass, wer die Juden antastet, Gottes Augapfel antastet, und dass ein Volk, das die Juden verfolgt, Gottes Strafe heraufbeschwört." Kurz vor seinem 14. Geburtstag starb der Vater mit nur 54 Jahren. Die Mutter führte das Geschäft weiter, Heinz-Horst half ihr nachmittags nach der Schule.

Mit 16 Jahren wurde er als Flakhelfer eingezogen. Später meldete er sich freiwillig zu den Fallschirmjägern und erhielt im März 1945 den Marschbefehl an die Ostfront. Im Jahr zuvor hatte er noch das Notabitur gemacht. In Angermünde an der Oder, wo die deutsche Wehrmacht die letzte große Abwehrschlacht gegen die vorrückenden sowjetischen Divisionen schlug, wurde er schwer verwundet. Das sollte sein weiteres Leben prägen: "Dir ist dein Leben noch einmal geschenkt worden, und wenn du hier rauskommst, dann muss dein Leben der Hilfe für Menschen gewidmet sein." Zum ersten Mal dachte er daran, Arzt zu werden. Und er begriff es bis zu seinem Lebensende als Fügung Gottes, dass er das Grauen des Krieges überlebt hatte.

Zurück im Ruhrgebiet begann er 1946 das Studium der Medizin und Theologie. Weiterhin half er im Laden mit und entwickelte pfiffige Geschäftsideen. So besorgte er sich alte Fallschirmleinen, fällte im Garten eines Freundes ein paar Pappeln und stellte damit Schuhe mit Holzsohlen und Bändern her. Die Schuhe waren zwar nicht bequem, aber sie waren ein Renner: Rund 50 000 Paar verkaufte er davon.

Arzt und nebenbei Unternehmer


Das Geschäft boomte. 1949 wurde in Düsseldorf die erste Filiale eröffnet, es folgten weitere in Düsseldorf und Oberhausen. Wenn Deichmann mit seinem alten Opel nach Düsseldorf fuhr, wo er Medizin studierte, nahm der "Unternehmer im Nebenberuf" immer neue Ware für die Filiale mit und holte abends die Einnahmen ab. Nach seiner Promotion arbeitete Deichmann erst als Orthopäde und Chirurg an der Düsseldorfer Uniklinik und entschloss sich 1956, nur noch Unternehmer zu sein. Er zahlte seine Geschwister aus und führte das Unternehmen nun alleine.

Was folgte, war eine der großen Erfolgsgeschichten der Wirtschaftswunderjahre. Deichmanns Geschäftskonzept war bodenständig. "Er fühlte sich zuständig für die Grundversorgung der Bevölkerung mit guten, preiswerten Schuhen", heißt es in der Selbstdarstellung der Firma. "Immer das bestmögliche Produkt zum bestmöglichen Preis", war eine seiner Maximen.

1963, zum 50. Firmenjubiläum, hatte das Unternehmen bereits 16 Filialen. Die 100. Filiale eröffnete 1975, elf Jahre später wurde das 1000. Geschäft in Deutschland eröffnet. Gleichzeitig expandierte er ins Ausland. Deichmann beherrschte mit der Zeit die gesamte Wertschöpfungskette, vom Design bis zum eigenen Verkaufslokal. Eigenmarken wurden hauptsächlich von Partnerunternehmen in Asien produziert. "Dieses in der Branche ‚vertikal‘ genannte Modell hat für die Essener viele Vorzüge: Sie haben zwar feste Partner, brauchen aber keine eigenen Fabriken, die Aufträge werden dorthin vergeben, wo die Produktionskosten gerade am günstigsten sind", schrieb das Handelsblatt. "Es gibt keine Zwischenhändler, die die Marge schmälern, von allen erzielten Synergien profitiert nur Deichmann."

"Das Unternehmen muss den Menschen dienen", hieß einer seiner Leitsätze. Für Deichmann, bekennender Christ und Mitglied einer freikirchlichen Brüdergemeinde, war geschäftlicher Erfolg nie Selbstzweck. "Wer viel hat, muss viel geben. Am Ende meines Lebens wird Gott mich nicht fragen, wie viele Schuhe ich verkauft habe. Er wird wissen wollen, ob ich wie ein wahrer Christ gelebt habe", sagte er in einem Interview. Mit dem Geld aus seinem florierenden Schuhimperium gründete er das Missionswerk "wortundtat", das in Indien und Tansania Krankenhäuser und Schulen betreibt. In Deutschland ist das Hilfswerk an der Betreuung von sozial benachteiligten Kindern beteiligt. Über vier Millionen Euro jährlich steckte der Patriarch in sein Missionswerk. "Es können aber auch zehn Millionen sein - je nach Bedarf."

1999 gab er die Firmenleitung an seinen Sohn Heinrich Deichmann ab. Dieser musste seinem Vater versprechen, dass Deichmann ein Familienunternehmen bleibt. Für den Junior kein Problem: "Wir wollen Wachstum weiter ohne Kredite und Börsengang finanzieren."

Deichmann mied stets das Rampenlicht und lebte sparsam, fromm und bescheiden. Er liebte klassische Musik, fuhr Ski und wanderte gern in den Bergen. Der Patriarch starb 2014. Sein Sohn führt das Unternehmen erfolgreich weiter. Für ihn arbeiten heute weltweit 40 700 Menschen in rund 4000 Filialen, er verkauft im Jahr rund 178 Millionen Paar Schuhe und erzielt dabei einen Bruttoumsatz von 5,6 Milliarden Euro. Das Unternehmen ist weiterhin Marktführer im deutschen und europäischen Schuhhandel. Heinrich Deichmann nimmt seit Jahren einen festen Platz auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt ein. Das geschätzte Vermögen der Familie Deichmann liegt laut "Manager Magazin" bei 4,5 Milliarden Euro.