Nur wenigen Anlegern in Deutschland ist die State Bank of India (SBI) überhaupt ein Begriff - und falls doch, klingt der Unternehmensname erst einmal suspekt. Manch einer vermutet einen maroden Staatsapparat dahinter. Andere glauben, es handele sich um die indische Zentralbank.

Ein Irrtum: Indiens Notenbank ist die Reserve Bank of India, kurz RBI. Richtig ist, dass die Regierung in Delhi ihre Finger bei SBI im Spiel hat, und nicht zu knapp. Der Staat ist bis heute Mehrheitsaktionär beim mit Abstand größten Finanzinstitut des Subkontinents. SBI ist jedoch seit Langem börsennotiert. Im Kern ist die Aktie eine interessante Wette auf den langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung Indiens.

Im Jahr 1806 als Bank of Calcutta gegründet, befindet sich die SBI-Zentrale heute in Mumbai. Der Geldgigant verfügt konsolidiert über mehr als 80 000 Filialen und Geldautomaten in Indien und betreut mit gut 270 000 Mitarbeitern mehr als 300 Millionen Kunden - annähernd so viele, wie die Eurozone Einwohner zählt.

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Ein Bankengigant entsteht



Und zum Imperium der SBI gehört ein milliardenschweres, durchwachsen erfolgreiches Beteiligungsportfolio. Der von der 60-jährigen Arundhati Bhattacharya geführte Konzern hält 75,1 Prozent an der State Bank of Bikaner and Jaipur (im Bundesstaat Rajasthan), 90 Prozent an der State Bank of Mysore (im Bundesstaat Karnataka), 79,1 Prozent an der State Bank of Travancore (Kerala) und jeweils 100 Prozent an der State Bank of Hyderabad (Telangana) und der State Bank of Patiala (Nordwestindien). Soeben gaben SBI und das indische Finanzministerium bekannt, dass Mutter und Töchter im Zuge einer Großfusion verschmolzen werden. Damit steigt die SBI-Gruppe nach Bilanzsumme unter die 50 größten Banken der Welt auf und lässt die führenden indischen Privatbanken weit hinter sich (siehe Grafik). "Die Fusion wird zu deutlich größerer operativer Effizienz führen", versprach Indiens Finanzminister Arun Jaitley. "SBI wird eine sehr große Bank werden, nicht nur aus Sicht des Heimatmarkts."



Die Kennzahlen des Unternehmens sind kurioserweise sowohl für Value- als auch für Growth-Investoren interessant. Die Langfristperformance von SBI ist beeindruckend, getrieben vom hohen Wirtschaftswachstum in Indien, das in den vergangenen zehn Jahren für durchgehend schwarze Zahlen sorgte. Der Buchwert je Aktie kletterte allein in den vergangenen 18 Monaten um 15 Prozent, das Kurs-Buch-Verhältnis notiert aktuell um fünf - also auf niedrigem Niveau. Die Eigenkapitalrendite lag 2015 bei über zwölf Prozent, sackte zuletzt aber auf unter acht Prozent ab.

Das größte Problem bei SBI - und im gesamten indischen Finanzsektor - sind zurzeit die faulen Kredite. Sie schlummerten bis Ende 2015 versteckt in den Büchern, als die RBI die Banken verpflichtete, alle zweifelhaften Posten offenzulegen. Kurzfristig ist das hässlich, längerfristig aber eine vertrauensbildende Maßnahme, erhöht sie doch die Transparenz des Finanzsektors. Der Anteil der problematischen Kreditausreichungen liegt landesweit bei ungefähr zwölf Prozent, Tendenz steigend, wobei die Quote bei Staatsbanken deutlich höher liegt, bei Privatbanken erheblich niedriger. SBI kam im Januar auf 7,2 Prozent - nicht toll, aber auch nicht katastrophal.

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Gute Gründe für den Aufstieg



Nicht vergessen sollte man dabei drei Aspekte. Erstens liegt der Anteil fauler Kredite damit deutlich niedriger als in mehreren Peripheriestaaten der Eurozone; Italiens Banken etwa stehen weit schlechter da als insbesondere die überwiegend hervorragend geführten Privatbanken in Indien. Zweitens befindet sich das Land auf einem Wachstumspfad von etwa sieben Prozent im Jahr. Und mit der Wirtschaft wachsen die Banken, sodass sie die Sünden der Vergangenheit relativ schnell sühnen können. Drittens kann SBI de facto nicht pleitegehen, weil die Firma zu gut 60 Prozent dem Staat gehört.

Dies liegt auch an der von Premierminister Narendra Modi am 8. November 2016 über Nacht losgetretenen Entmonetarisierung, die in ganz Indien (sowie in den Nachbarländern Nepal und Bhutan) auf einen Schlag 86 Prozent des Bargelds aus dem Verkehr zog. Diese Währungsreform führte dazu, dass die SBI-Kunden - wie praktisch alle Inder - ihr ungültig gewordenes Bargeld auf ihre Konten einzahlten. Die Bank verfügt nun über "noch nie dagewesene Liquidität", wie SBI-Vorstandschefin Bhattacharya Anfang des Jahres sagte. Ein großer Teil dieses Geldes soll jetzt ausgereicht werden und die Ertragskraft der Bank stärken.

Das rasche Wachstum dürfte weitergehen. Vor diesem Hintergrund heben wir Ziel- und Stoppkurs an. Deutsche Anleger können den Wert über einen Hinterlegungsschein handeln, einen sogenannten Global Depository Receipt (GDR). Ein GDR entspricht in diesem Fall zehn Aktien. Aufgrund geringer Umsätze und hoher Spreads in Deutschland sollten Investoren ihre Orders streng limitieren.