Sein Vater, der aus dem tiefsten Süden Italiens stammte und später in den Straßen von Mailand Obst verkaufte, starb, noch bevor Leonardo, sein vierter und jüngster Sohn, im Mai 1935 zur Welt kam. Später, in den Jahren des Krieges, war die Not zu Hause so groß, dass die Mutter den siebenjährigen Leonardo in ein Waisenhaus geben musste. In der dazugehörigen Klosterschule fiel er als kluger und wissbegieriger Junge auf. Nach dem Schulabschluss, mit 14 Jahren, fand er einen Job in einer Schlosserwerkstatt, wo er den Beruf eines Graveurs erlernte. Abends besuchte er Kurse an einer Designakademie.

Jahrelang gravierte Del Vecchio Medaillen und Pokale. Mit 23 Jahren machte er sich in Agordo, einer Berggemeinde im Veneto, selbstständig. Agordo hatte damals ein Problem: Die Minen in den nahen Dolomiten hatten den Betrieb eingestellt, viele Einwohner wanderten nach Deutschland oder in die Schweiz aus. Die Gemeinde bot deshalb jenen Firmen, die sich hier niederlassen wollten, unentgeltlich Bauland an. Del Vecchio griff zu und zog mit seiner Familie nach Agordo. Er stellte 14 Arbeiter ein und begann als Zulieferer für die Unternehmen in der Region, von denen viele Brillen herstellten.

1961 gründete er Luxottica. Er schuftete wie ein Besessener, stand bereits morgens um drei Uhr in der Werkstatt und arbeitete auch am Sonntag durch. Längst genügte ihm die Arbeit als kleiner Zulieferer nicht mehr, der von den Launen der großen Produzenten abhing, und er begann, selbst Metallgestelle für Brillen zu entwerfen. 1971 präsentierte er erstmals seine ­eigene Brillenkollektion auf der führenden Mailänder Messe Mido.

Ende der 80er-Jahre interessierten sich auch die großen Modedesigner für seine Kollektionen. 1988 schloss er einen Deal mit dem italienischen Modemacher Giorgio Armani und produzierte die erste Designerkollektion überhaupt. Die Sonnenbrillen wurden ein riesiger Erfolg, Armani sicherte sich gleich einen Anteil von fünf Prozent an Luxottica. Auf ­Armani folgten weitere exklusive Marken wie Bulgari, Chanel, Prada oder Versace.

Wachstum durch Zukäufe


Die Firma wuchs rasant zu einem globalen Unternehmen heran. Das schnelle Wachstum wäre nicht möglich gewesen, wenn sich Luxottica nicht gleichzeitig eigene Verkaufskanäle gesichert hätte. Und der weitsichtige "Padrone" expandierte rechtzeitig in die USA - für 1,8 Milliarden Dollar kaufte er die beiden größten Einzelhändler im amerikanischen Brillenmarkt, LensCrafters und Sunglass Hut, mit zusammen fast 3000 Filialen in den USA und Kanada. Bereits 1990 war die Lux­ottica Group, damals noch ein mittelständisches Unternehmen, an der New York Stock Exchange gelistet worden, zehn Jahre später auch an der Mailänder Börse.

1999 folgte der nächste Coup des medienscheuen Brillenkönigs: Er übernahm für 645 Millionen Dollar die legendäre, aber kriselnde US-Marke Ray-Ban von ­Bausch & Lomb, deren Sonnenbrillen etwa die smarten Polizisten der TV-Kult­serie "Miami Vice" trugen. "Die amerikanischen Besitzer hatten den weltberühmten Brand heruntergewirtschaftet, indem sie zum Beispiel ihre legendäre Pilotenbrille ‚Aviator‘, mit der sich reihenweise Präsidenten, Generale und Filmstars geschmückt hatten, für 19 Dollar an Tankstellen verramschten", schrieb die Presse.

Del Vecchio nahm in einem ersten Schritt die qualitativ miserablen Ray-Bans vom Markt. Erst ein Jahr später waren die "Aviators" wieder erhältlich - diesmal "Made in Italy". Auch die Preise wurden angepasst: nicht mehr 19, sondern 150 Dollar. Millionen von "Aviator"-Sonnenbrillen gingen daraufhin über den Ladentisch. Seit 2000 hat Luxottica den Ray-Ban-Umsatz mehr als verzehnfacht. Die Marge dürfte beeindruckend sein.

Der nächste Deal folgte 2007. Luxottica übernahm für 2,1 Milliarden Dollar ­Oakley, den führenden amerikanischen Hersteller von Sportsonnenbrillen, die auch Soldaten der US Army und der Bundeswehr tragen. Die Besitzer hatten sich erst gegen ein Übernahme gewehrt, jedoch schließlich eingewilligt, nachdem Luxottica kurzerhand alle Oakley-Produkte aus ihren Sunglass-Hut-Filialen verbannt hatte. Etwa 43 Prozent der Luxottica-Brillen werden heute in Italien produziert, der Rest in den USA, Brasilien, China, Japan und Indien. Das Herzstück des Imperiums ist nach wie vor die Kleinstadt Agordo. Hier arbeiten 4500 Angestellte in einem vierstöckigen Gebäude, neben dessen Eingangstor ein fünf Meter hohes Modell des Ray-Ban-Klassikers "Wayfarer" steht. Allen seinen italienischen Festangestellten bietet Del Vecchio ein spektakuläres "Wohlfahrtsprogramm": überdurchschnittliche Löhne, jährliche Gewinnbeteiligungen, Kostenübernahme für Arztbesuche, das Kantinenessen ist gratis, ebenso der Fitnessclub und das Ferienlager der Kinder.

Leonardo Del Vecchio ist verheiratet mit Nicoletta Zampillo, der Tochter eines ehemaligen Luxottica-Vertreters in Mailand. Sie haben ein gemeinsames Kind. Aus zwei vorausgegangenen Beziehungen hat er noch fünf weitere Kinder. Keines seiner Kinder arbeitet heute für ­Luxottica. Der öffentlichkeitsscheue und bescheiden auftretende "Cavaliere" meidet die ­Glamour-Events der italienischen High Society. Sein Name findet sich regelmäßig in der Wirtschaftspresse, nicht jedoch in den Boulevardblättern. Bekannt ist lediglich, dass er einen Businessjet und eine 62-Meter-Yacht besitzt.

Krönung des Lebenswerks


Bereits 2004 hatte er sich aus der operativen Führung des Unternehmens zurückgezogen. Doch 2014 übernahm er mit fast 80 Jahren erneut das Steuer - um einen neuen Mega-Deal zu stemmen, der zugleich den Schlusspunkt seines Lebenswerks bilden sollte: die Milliardenfusion mit dem französischen Unternehmen ­Essilor, dem weltgrößten Produzenten von Brillengläsern. Durch den Zusammenschluss entstand ein Weltmarktführer. Und auch der darauffolgende Machtkampf zwischen Luxottica-Chef Del Vecchio und dem Essilor-Chef Hubert Sagnières um die Führung des neuen Unternehmens ist mittlerweile beigelegt.

Ende August soll der vom Milliardär Daniel Loeb geführte Hedgefonds Third Point eine Beteiligung an EssilorLuxottica erworben haben. Mehr Details sind im Moment noch nicht bekannt. Leonardo Del Vecchio ist, je nach Börsenkurs von EssilorLuxottica, der reichste oder zweitreichste Italiener - hinter oder vor dem Nutella-Erben Giovanni Ferrero. Das Erfolgsrezept des Selfmademan: "Man muss aus seinem Schneckenhaus ausbrechen, über den eigenen Horizont blicken - und immer auf die internationale Konkurrenz achten".