"Selbst wenn die Werkzeuge noch unkonventioneller ausschauen, sollte die EZB sie zumindest untersuchen für den Fall, dass sie diese später einmal nutzen muss", rät Gregory Claeys vom Brüsseler Forschungshaus Bruegel. Eine Idee dabei sind direkte Geldspritzen an alle Bürger, "Helikoptergeld" genannt. In Deutschland wird der Vorschlag allerdings sehr kritisch gesehen. So wird unter anderem bezweifelt, ob die Notenbank überhaupt zu einem solchen Instrument greifen darf.

"Die EZB könnte zum Beispiel veranlassen, jedem Bank-Konto in der Euro-Zone eine bestimmte Summe gutzuschreiben", sagt Bruegel-Experte Claeys. Es bestünden zwar Umsetzungshürden, diese ließen sich aber lösen. Die Euro-Wächter sollten auch solche ungewöhnlichen Strategien in der Hinterhand haben, falls es nicht gelinge, das Inflationsziel von knapp zwei Prozent zu erreichen. Die Summen wären gewaltig: Erhielte jeder der rund 340 Millionen Einwohner im Währungsraum 1000 Euro, wären das immerhin 340 Milliarden Euro an zusätzlicher Kaufkraft - zumindest theoretisch.

Das Bild des Geldregens aus dem Helikopter stammt vom berühmten US-Wissenschaftler Milton Friedman. Er entwickelte die Idee bereits 1969. Der Grundgedanke dahinter ist, dass die Bürger das Geld sofort ausgeben und so Konjunktur sowie Inflation anschieben. "Das wäre eine ganz neue Kategorie, da damit Geld nun einfach verschenkt wird", erklärt Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert. Bisher habe die EZB bei ihren Geldspritzen für die Banken Mittel stets nur verliehen. Ein Geldregen ohne Gegenleistung könne aber gefährliche Begehrlichkeiten wecken, warnt Schubert. "Wie will man es verhindern, dass dies bei der nächsten Problemlage nicht wieder gemacht wird?" Der Experte bezweifelt zudem grundsätzlich, dass ein solches Werkzeug mit den EU-Verträgen vereinbar ist. Ähnlich skeptisch hatte sich EZB-Chef Mario Draghi schon einmal in einem Brief an einen EU-Abgeordneten geäußert.

WÜRDE HELIKOPTERGELD ZU OFT GESPART WERDEN?


Aktuell hat die EZB die Tür hin zu einer erneuten Lockerung ihrer Geldpolitik weit aufgestoßen. Kurz vor der im Oktober ablaufenden Amtszeit Draghis prüft sie, ob sie der Wirtschaft wegen der gestiegenen Konjunktursorgen erneut unter die Arme greifen soll. Geldpolitik-Experten blicken deshalb genau auf den Werkzeugkoffer der EZB und stellen Überlegungen an, ob die Währungshüter in der Zukunft nicht womöglich auch ganz neue Instrumente ausloten sollten.

Direkte Geldgeschenke der Notenbank an die Bürger werden allerdings aus gleich mehreren Gründen als heikel eingestuft. Denn sie dringt damit dann tendenziell in die Wirtschafts- und Sozialpolitik vor, die eigentlich gewählten Regierungen vorbehalten ist. Als vor drei Jahren die Debatte schon einmal hochkochte, hatte Bundesbank-Präsident Jens Weidmann der Idee deswegen eine klare Absage erteilt. Sein Argument damals: Es sei eine politische Entscheidung, ob und auf welche Art Geld an Bürger verschenkt werde. Sie zu fällen, obliege Regierungen und Parlamenten - Notenbanken hätten dazu kein Mandat.

Bei den deutschen Einzelhändlern und im Mittelstand wird Helikoptergeld noch aus einem anderen Grund kritisch gesehen. "Neben der Frage des Umfangs und der Art möglicher Helikopter-Leistungen besteht das Risiko, dass die Bürger das Geld nicht ausgeben, sondern überwiegend sparen", warnt der Chefvolkswirt des Einzelhandelsverbands HDE, Olaf Roik. Geldpolitisch wäre dann aber nichts gewonnen. Der Verband hält Helikoptergeld für den Konsum auch nicht erforderlich. Die Handelskonflikte, die Brexit-Unsicherheit und die schwächere Weltkonjunktur dämpfen zwar die Exportwirtschaft, der private Konsum zeigte sich dagegen zuletzt aber noch vergleichsweise robust. Die deutschen Einzelhändler steuern auf ihr zehntes Wachstumsjahr in Folge.

Der Präsident des Bundesverbandes der mittelständischen Wirtschaft, Mario Ohoven, rechnet sogar damit, dass in Deutschland nur jeder Vierte das Geld auch wirklich ausgeben würde. Sein Fazit: "Die EZB muss dem Helikoptergeld-Konzept eine unmissverständliche Absage erteilen." Mit der Unabhängigkeit der EZB dürfe kein Schindluder getrieben werden. "Diese gilt nur im Rahmen ihres gesetzlich gegebenen Mandats, wozu die Wirtschaftspolitik nicht zählt."

Für den CSU-Finanzexperten Hans Michelbach zeigt die Diskussion vor allem, dass sich die Geldpolitik in eine Sackgasse manövriert hat. "Die negativen Folgen sehen wir jeden Tag: Banken und Versicherungen leiden. Sparer haben das Nachsehen." Wichtig sei vielmehr, dass der Wirtschaftsraum leistungsfähig und die Staatsfinanzen in der Euro-Zone nachhaltig gestaltet würden - auch bei einem langfristig wieder normalen Zinsniveau. Seine wirtschaftspolitische Forderung: "Dazu sind entschlossene Strukturreformen notwendig."

rtr