Euro am Sonntag: Sie arbeiten mit Hochdruck an der US-Zulassung ihres Krebs-Wirkstoffs Tafasitamab. Wie kommen sie voran?
Jens Holstein: Wir sind wirklich gut unterwegs. Daten aus einer Phase 2-Studie namens L-MIND haben von der US-Zulassungsbehörde FDA den Status Therapiedurchbruch erhalten. Es läuft auch eine Kontrollstudie mit Real-World Daten von Patienten die andeutet, dass eine Kombination mit Tafasitamab wesentlich besser wirkt, als ein bestimmtes Krebsmedikament alleine.

Ein unabhängiges Expertenkomittee forderte aber soeben die Erweiterung des Probantenkreises von 330 auf 450 Personen bei Ihrer am weitesten fortgeschrittenen Studie namens B-MIND, ihrer einzigen in Phase 3. Warum?
Wir vermuten, dass Tafasitamab bei Patienten mit einer geringeren Zahl von Antikörpern NK-Zellen in Kombination mit dem Krebsmittel, es heißt Bendamustin oder BEN, besser wirkt. Um das mit ausreichender Statistik feststellen zu können, muss man aber die Zahl der Patienten steigern. Wir hatten diese Aufstockung mit der Aufsichtsbehörde selbst besprochen, da war die Studie aber bereits am Laufen.

Das ist kein negatives Signal?
Schwer zu sagen, wir können die Daten derzeit nicht einsehen. Die Phase 2 L-MIND-Studie ist jedoch sehr gut.

Würde die Phase 3-Studie scheitern, wäre die Zulassung von Tafasitamab gefährdet?
Investoren waren hier verunsichert, als es die Daten der L-MIND-Studie noch nicht gab. Aus unserer Sicht spielt die Phase 3-Studie inzwischen aber eine untergeordnete Rolle.

Wann rechnen sie mit der FDA-Zulassung und wann geht der Wirkstoff in den Handel?
Der Antrag soll bis Jahresende vorliegen. Gewöhnlich dauert eine US-Zulassung etwa zwölf Monate, doch die FDA wird sich wegen des Status Therapiedurchbruch beeilen. Sie geht da neue Wege, weil die Ergebnisse in der Kontrollgruppe mit Patienten aus dem Real-World-Setting sehr gut sind. Wir rechnen derzeit mit einer Zulassung bis Mitte 2020.

Und in Europa?
Hier wollen wir den Antrag bis Mitte 2020 einreichen. Dann dürfte es allerdings ein Jahr bis zur Zulassung dauern.

Um welches Marktpotenzial geht es?
Wir rechnen mit etwa 10.000 Patienten mit therapieresistentem oder wiederkehrendem Krebs namens DLBCL pro Jahr in den USA und rund 6.500 in Europa. Wird Tafasitamab für weitere Indikationen zugelassen, woran wir arbeiten, dann vergrößert sich der Markt. Das ist auch der Fall, wenn sich Patienten für Tafa entscheiden, bei denen auch eine gewöhnliche Therapie möglich ist. Der Wirkstoff ist ja zunächst für Patienten gedacht, die die übliche Therapie nicht vertragen.

Um welche Umsätze geht es?
Wir nennen hier keine Zahlen. Analysten schätzen die Umsätze auf eine halbe bis eine Milliarde Dollar pro Jahr. Kommen weitere Indikationen, also beispielsweise weitere Blutkrebsarten dazu, liegt es wohl deutlich darüber.

Sie bauen gerade einen US-Vertrieb auf, das ist teuer. Steigen die Verluste im kommenden Jahr?
Wir geben noch keine Prognose für 2020. Unser Ergebnis wird aber davon abhängen, in welchen Regionen wir das Produkt mit Partnern vertreiben.

In den USA vertreiben sie selbst, woanders über Dritte?
Der US-Direktvertrieb ist eine Alternative. Auch eine globale Partnerschaft ist jedoch eine Option. Darüber ist noch nicht entschieden.

Wann erzielt Morphosys positive Cashflows und Gewinne?
Das ist unser Ziel. Wann wir das erreichen, ist schwer zu sagen. Es hängt davon ab, wie breit wir Tafasitamab entwickeln - und es macht Sinn, es für möglichst viele Indikationen zuzulassen. Diese Investitionen sind auch aus Aktionärssicht sinnvoll.

Ihr langjähriger Forschungschef geht im Februar, den Aktienkurs hat die Meldung vor wenigen Tagen unter Druck gesetzt. Was steckt dahinter?
Herr Enzelberger will ein neues Kapitel in seiner Karriere aufschlagen. Er war jetzt 17 Jahre in der Firma, und möchte sich nun neuen Aufgaben widmen.

Sie sortieren nun aber ihre gesamte Forschungsabteilung in der klinischen Entwicklung ein. Warum?
Im Ressort Forschung geht es auch darum, Partnerschaften zu schließen, mit Novartis, mit Roche und so weiter. Inzwischen liegt unser Schwerpunkt aber auf Eigenentwicklungen. So macht es Sinn, die Truppen, die die Entwicklungspläne schreiben, mit dem Research unter einer Führung zusammenzulegen.

Warum gibt es keinen neuen Forschungschef?
Es wird ein externer Forschungsleiter zu uns stoßen, der an Entwicklungsvorstand Malte Peters berichtet. Das ist eine übliche Struktur in der Branche.

Das Umfeld für die Pharmabranche wird härter, sowohl Trump als auch die demokratische Präsidentschaftskandidatin Warren wollen die Kosten im US-Gesundheitswesen senken. Trifft das auch Morphosys?
Das beeinflusst die Wahrnehmung auf dem Kapitalmarkt und möglicherweise unseren Aktienkurs. Aber wenn das so kommt, trifft es wohl eher andere Bereiche. Wir reden hier über Medikamente bei seltenen Erkrankungen, die für die Kosten der Gesundheitssysteme nicht maßgeblich sind.