Es war ein ungewöhnliches Treffen zweier alter Männer, umweht von einem Hauch Hollywood. Im historischen Trauzimmer von Schloss Benkhausen unterhielten sich im Juni 2016 der Schauspieler Mario Adorf und der Entrepreneur Paul Gauselmann, tief in Ledersessel versunken, vor laufender Kamera über ihr Leben. Gedreht wurde ein TV-Dokumentarfilm über die großen Unternehmer der deutschen Nachkriegszeit. Gauselmann, der Schlossherr von Benkhausen, und Adorf, einer der bekanntesten deutschen Schauspieler, verstanden sich auf Anhieb. Beide stammen aus einfachen Verhältnissen. Während Gauselmann nach dem Krieg Karriere als Unternehmer machte und heute zu den reichsten Deutschen gehört, studierte Adorf Philosophie und ging an die Schauspielschule.

Gauselmann, dessen Vermögen das Magazin "Forbes" auf 3,6 Milliarden Euro schätzt, ist Europas ungekrönter Glücksspielkönig. Die Gauselmann-Gruppe setzte 2018 mit der Produktion und dem Vertrieb von Glücksspielautomaten sowie dem Betrieb von Spielhallen und Casinos weltweit rund 3,6 Milliarden Euro um. Aber er ist nicht unumstritten. Die ­Medien gaben Gauselmann viele, nicht immer schmeichelhafte, Namen: Daddel-Monopolist, Automaten-Papst, Kasino-Kapitalist, Glücksspiel-Baron. Man warf ihm vor, mit dem Geld der Spielsüchtigen reich geworden zu sein. Aber moralische Bedenken hat er nicht. Er sei schließlich kein Sozialarbeiter, sondern Unternehmer und müsse Gewinne machen, erklärte er in ­einem Interview.

Gegenüber der "Bild"-Zeitung verteidigte er sich: "Unsere Gäste spielen mit und um kleines Geld. Im Schnitt geben sie 10,89 Euro pro Stunde aus. Um an meinen Automaten zum Beispiel 40 000 Euro zu versenken, müsste man ein Jahr lang täglich zehn Stunden spielen. Im Internet und in der staatlichen Spielbank kann das Geld bei einem Besuch weg sein."

Gauselmann lebt in Espelkamp in der westfälischen Provinz. Er gilt als patriarchalischer Familienmensch, tritt in der Öffentlichkeit stets im korrekten Dreiteiler auf und sagt von sich: "Ich bin sparsam, habe nur ein Auto und nur ein Privathaus." Keine Skandale, keines der üblichen Statussymbole der Superreichen. Er habe das Geld immer wieder in die Firma gesteckt. Er fährt S-Bahn und U-Bahn, fördert Kultur und Sport und sponsert mit jährlich 3,5 Millionen Euro das Stadion des Bundesligavereins Fortuna Düsseldorf, das seit 2018 "Merkur Spiel-Arena" heißt. Seine Heimatstadt machte ihn zum Ehrenbürger und benannte eine Straße nach ihm. Der 85-Jährige hält sich - nach zwei Hüftoperationen und einem Herz­infarkt - mit Schwimmen und Tennis fit und spielt erfolgreich in der Seniorenliga. Politiker jedweder Couleur schmücken sich gern mit dem populären Unternehmer. Zum 50. Firmenjubiläum kamen Guido Westerwelle und Kurt Biedenkopf zum Gratulieren. Und der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement verschaffte Gauselmann für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Zur Feier seines 60. Geburtstags kamen 12 000 Menschen ins beschauliche Espelkamp. Der Fußballstar Lukas Podolski sprach ein Grußwort, und der ehemalige Wirtschaftsminister von NRW, Garrelt Duin, lobte den Unternehmer in seiner ­Festrede als "Teil der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik". Seine Angestellten schenkten ihm eine Bronzestatue, die den Chef in lesender Position zeigt.

Gauselmann, der Sohn eines Heizers, kam 1934 in Borghorst bei Münster zur Welt. Als er zwei Jahre alt war, starb seine Mutter - er, der jüngste von fünf Brüdern, kam zu seiner kinderlosen Tante nach Münster. Er litt unter Heimweh, war "unglaublich einsam". Später sagte er: "Das war sicher auch der Grund, warum ich mit 21 schon eine Frau und zwei Söhne hatte. Ich wollte einfach einen Ort haben, wo ich hingehöre, zu Hause bin."

Streng genommen begann seine ­Zocker-Karriere in den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs. Um die Angst zu verdrängen, spielte er in den Luftschutzkellern mit seinen Brüdern Skat und Doppelkopf, Schach und Halma. "Da habe ich schnell gemerkt, dass ich ein Talent für alles Strategische habe." Nach dem Kriegsende lag Münster in Trümmern. "Diese Zeit hat mich geprägt", erinnert er sich. "Wir haben alles zu Geld gemacht, was ging." Er holte Blumentöpfe und Schrott aus den Ruinen und verkaufte die Sachen. Die bittere Erfahrung des Krieges und die großen Entbehrungen der Nachkriegszeit lehrten ihn aber auch, zu improvisieren und sich durchzusetzen. "Ich lernte, dass Mittelmaß nicht genug für mich ist. Ich wollte im Leben mehr erreichen als Normalmaß." Und schon bald erkannte er: "Als Lusche kommt man nicht durch", wie Gauselmann in einem Interview mit der Zeitung "Welt am Sonntag" sagte.

Musikboxen und Spielautomaten


Die Volksschule in Münster schloss er 1950 als Jahrgangsbester ab. Da ihn die Technik schon immer fasziniert hatte, machte er bei der Firma "Telefonbau und Normalzeit" eine Ausbildung zum Fernmeldetechniker und übernahm mit erst 21 Jahren einen eigenen Bezirk in Lengerich. Er hatte Personalverantwortung für zwei Monteure, besaß einen eigenen VW und hatte ein Einkommen von 370 DM. Für die damalige Zeit ein guter Lohn. 1956 wechselte er zum Generalimporteur für amerikanische Wurlitzer-Musikboxen nach Coesfeld. Die Faszination für die amerikanischen "Juke Boxes" und die Erkenntnis, dass man in der Nachkriegszeit damit Geld verdienen konnte, waren die Auslöser für seine Geschäftsidee: 1957 begann er neben seiner regulären 48-Stunden-Woche, nebenberuflich Musikboxen aufzustellen und tüftelte nach Dienstschluss an technischen Neuerungen.

1964 wagte er schließlich den Schritt in die unternehmerische Selbstständigkeit, baute zusammen mit 15 Angestellten aus den USA importierte gebrauchte Musikboxen in ein neues Gehäuse ein und passte sie an die Bedürfnisse des deutschen Markts an. Die Geschäfte liefen gut, aber der ehrgeizige Unternehmer wollte mehr Geld verdienen und wechselte ins Automatengeschäft. Von 1972 an baute er eigene Geldgewinnspielgeräte und eröffnete zwei Jahre später in Delmenhorst seine erste Merkur-Spielothek.

Innerhalb von fünf Jahrzehnten formte er die Gauselmann-Gruppe zu einem Weltkonzern. Gauselmann besitzt in Deutschland über 300 eigene Merkur-Casinos. Der Chef daddelt auch heute noch gern selbst an seinen Automaten - und spielt jeden Abend vor dem Schlafengehen Backgammon. Er ist überzeugt: "Letztlich ist das Spiel eine der schönsten Sachen, die der Mensch machen kann."