Herr Halver, die Eurozone macht Ernst. Am Samstag haben die Euro-Finanzminister neue Hilfen für Griechenland abgelehnt. Nun bleiben die Banken erst mal geschlossen, es gibt Kapitalverkehrskontrollen und Griechen können nur noch 60 Euro aus dem Bankautomaten abheben. Wie überrascht sind Sie von dieser Entwicklung?
Wenn man wie der ideologisch verblendete Herr Tsipras auch die ihm gebauten, goldensten Brücken nicht betritt, war diese Entwicklung schließlich zu erwarten. Tsipras hat - um sein eigenes Mütchen zu kühlen - sein Volk in Geiselhaft genommen.

Am Dienstag muss Griechenland 1,6 Milliarden Euro an den IWF überweisen. Glauben Sie, dass Athen das Geld überweisen kann, oder ist Griechenland am Dienstag auch offiziell pleite?
Ich weiß nicht, wo das Geld herkommen soll. Doch selbst wenn Griechenland nicht bezahlt, ist damit die Pleite nicht sofort da. Denn bis der IWF die Pleite offiziell durch alle Gremien bestätigt hat, dauert es noch mindestens zwei Wochen. Es wäre also zumindest inoffiziell noch Zeit zum Verhandeln dar.

Auf Seite 2: Was vom Referendeum am Sonntag zu erwarten?





Ein wichtiges Datum in allernächster Zukunft wird wohl auch das griechische Referendum am Sonntag sein. Was erwarten Sie für den Fall, dass die Griechen den Kompromissvorschlag, den es offiziell ja eigentlich gar nicht mehr gibt, doch billigen: Wird die Eurozone dann einen neuen Anlauf unternehmen, Griechenland doch im Euro zu halten?
Wenn die Griechen - sofern das Referendum tatsächlich stattfindet - mehrheitlich mit "Ja" votieren, werden die Gläubiger weiter mit Griechenland verhandeln. An dieser Vox Populi wird man nicht vorbeikommen und will es auch nicht. Es bietet eine große Chance. Es ist zu hoffen, dass es zum Referendum kommt, die gestellte Frage fair ist, und die Griechen sich bis dahin von der Ideologie der Regierung Tsipras befreit haben.

Aber die Syriza-geführte Regierung müsste dann den Weg für Neuwahl frei machen und Griechenland drohte dann wochenlanger Stillstand, den sich das Land eigentlich nicht leisten kann?
Wir haben so viel durchgemacht, das schaffen wir auch noch. Wenn das Volk besonnen reagiert, werden die Gläubiger, die ja auch die Konsequenzen eines Grexit fürchten, Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um die griechische Kuh noch vom Eis zu bringen.

Was passiert, wenn die Griechen dem griechischen Ministerpräsidenten folgen und den Kompromiss-Vorschlag der Institutionen ablehnen? "Isch dann" endgültig "over", wie Wolfgang Schäuble schon vor Wochen gesagt hat - einschließlich Grexit?
Hier gilt das Gegenteil. Dann kann man an Griechenland in der Eurozone nicht mehr festhalten. Denn das wäre die Einladung an andere Bevölkerungen, Reformen abzulehnen und dennoch die Vorteile des Euros zu genießen. Diese offene Flanke kann die Rest-Eurozone nicht zulassen. Und für die deutsche Bundesregierung würde es Ungemach bedeuten. Das verstehen die Wähler nicht mehr.

Auf Seite 3: Was bedeutet die Zuspitzung der Krise für die Börsen?





Was bedeutet die Zuspitzung der Krise für die Börsen: Erwarten Sie einen Crash oder wird sich der Markt kurz schütteln und Griechenland auch im Falle eines Grexit ad adcta legen?
Die Finanzmärkte werden abwarten, Risiken scheuen und zunächst nachgeben. An einen Crash glaube ich aber definitiv nicht, denn es fehlen die Zutaten. Die Griechen-Pleite oder der Grexit kommen im Vergleich zur damaligen Lehman-Pleite und dem Beginn der Immobilienkrise nicht über Nacht, sondern sind bereits seit Wochen in den Köpfen der Anleger vertreten.

Aus heutiger Sicht sehe ich den DAX Ende des Jahres bei etwa 12.000 Punkten.
Baader-Bank-Kapitalmarkt-Experte Robert Halver zum Kursziel für den deutschen Leitindex.


Zudem sind die Banken nicht wie damals in Immobilien heute stark in Griechenland investiert. Eine Bankenkrise ist nicht zu befürchten. Und außerdem sind die Rettungsinstitutionen präsent. Rettungsschirme und EZB sind gewappnet, das Überschwappen des griechischen Krisenvirus auf andere Euro-Länder zu verhindern. Dieses Bild vermittelt nicht zuletzt ein stabiler Euro, der gar nicht so stark nachgegeben hat.

Sollte es zur griechischen Pleite und damit unweigerlich auch zum Grexit kommen, wird das die Aktienmärkte kurzfristig zwar negativ treffen. Aber da kein Überschwappungseffekt auf andere Euro-Länder erfolgen wird, werden die Finanzmarktteilnehmer längerfristig honorieren, dass die Europäische Stabilitätsunion nicht zur griechischen Schuldenunion verkommt, die auf die Daueralimentierung durch die EZB angewiesen ist. Die Euro-Kette wird nicht schwächer, wenn das schwächste Glied entfernt wird. Im Gegenteil, sie wird stärker. Das wären dann Kaufkurse.

Aus heutiger Sicht sehe ich den DAX Ende des Jahres bei etwa 12.000 Punkten.

Welche Entwicklung erwarten Sie für die Renditen von Anleihen?
Kurzfristig sind die Renditen von deutschen Staatspapieren gefragt. Sie sind der logische sichere Hafen. Die Renditen anderer Euro-Länder, die mit Verschuldung zu kämpfen haben, sind zwar leicht angestiegen. Da der Ansteckungseffekt auch aufgrund der Anleiheaufkäufe der EZB aber ausbleiben wird, ist mit keiner radikalen Renditewende nach oben zu rechnen.

Zum Jahresende werden die Renditen insgesamt ansteigen, weil die Risikoaversion an den Finanzmärkten nachlässt. Aber grundsätzlich bleibt uns das Niedrigzinsumfeld erhalten. Die Anleihekäufe werden weitergeführt und könnten sogar noch ausgeweitet werden. Draghi will die Konjunktur um jeden Preis stützen. Eine merkliche Verteuerung der Staatsverschuldung hält die Eurozone ohnehin nicht aus: Wenn klare Renditewende, dann baldiges Finanzmarkt-Ende.

Wie dürfte sich der Außenwert des Euro, insbesondere zum Dollar in den kommenden Wochen entwickeln? Steuern wir auf die Parität zum Dollar zu?
Man muss zwei Dinge unterscheiden. Erstens: Der Euro hält sich trotz der Griechen-Misere erstaunlich robust. Bleiben die Griechen in der Eurozone, stützt das den Euro kurzfristig. Gehen sie raus, mag das den Euro zunächst schwächen, aber dann schließlich wieder stabilisieren.

Zweitens: Wenn die US-Zinswende im September stattfindet, wertet der US-Dollar wegen höherer Anlagezinsen auf.

Ich erwarte den Euro bis zum Jahresende bei ca. 1,05.

Auf Seite 4: Was passiert beim Goldpreis?





Was passiert beim Goldpreis?
Gold - Als Krisenwährung unerwünscht, aber…

Argumente für Edelmetalle gibt es genug. Europa verlässt den Boden der Stabilität, weltweit wächst die Staatsverschuldung unaufhaltsam und im Konflikt mit Russland ist selbst für außen- und verteidigungspolitische Experten die weitere Entwicklung kaum abzuschätzen.



Auf die Idee, griechische Staatspapiere zu kaufen, käme ich selbst dann nicht, wenn ich eine Flasche Ouzo geleert hätte.
Baader-Bank-Kapitalmarkt-Experte Robert Halver über den Reiz griechischer Staatsanleihen.


Absurderweise ist die lockere Geldpolitik kein Treiber für Gold, sondern eher sein größtes Handicap. Denn da die Rettung der Finanzwelt auf Geld gebaut ist, würde eine hoffähige harte, geldlose Ersatzwährung kontraproduktiv sein. Die Geldpolitik wäre zahnlos. Insofern wirken die Notenbanken einem dramatischen Preisanstieg von Gold indirekt über Short-Positionen an den Derivatemärkten konsequent entgegen.

Dennoch bleibt die physische Nachfrage hoch. Neben den Schwellenländern kaufen ausgerechnet die Notenbanken zu den von ihnen selbst subventionierten Preisen. Sie werden wissen warum! Gold wird zwar keine massive Kursbefestigung wie zwischen 2008 bis 2012 erleben, liegt im Performancevergleich seit Anfang 2014 - auf Euro-Basis - aber deutlich vor anderen Rohstoffen. Angesichts der Instabilität der Finanzwelt, für die wir irgendwann einen Preis zahlen müssen, werden die goldenen Zeiten der Goldbesitzer noch kommen.

Und was passiert mit Griechenland-Anleihen?
Selbst wenn Griechenland vorerst in der Eurozone bleiben sollte, ist die Wiedervorlage der Griechen-Krise spätestens Anfang 2016 wieder auf der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund sind griechische Anleihen höchstgefährdet. Auf die Idee, griechische Staatspapiere zu kaufen, käme ich selbst dann nicht, wenn ich eine Flasche Ouzo geleert hätte.