Der Sohn armer Landarbeiter kam 1898 in Bonito zur Welt, einem winzigen Dorf im südlichen Apennin. Er war das elfte von 15 Kindern und verließ bereits mit neun Jahren die Schule. Schon als kleiner Junge hatte er sich oft in die Schuhwerkstatt des Nachbarn Luigi Festa geschlichen und ihm bei der Arbeit zugeschaut. Für ihn war klar, dass er auch Schuster werden wollte - zum Entsetzen seiner Eltern, denn selbst im ärmlichen Süden Italiens gab es damals keine unrühmlichere Beschäftigung als Schuhe zu flicken. Eine entscheidende Episode im Leben des jungen Salvatore Ferragamo war die Erstkommunion seiner zwei Schwestern. Die Familie war arm, neue Schuhe konnte sie sich nicht leisten. Also ging der Neunjährige zum Schuster Festa, und der gab ihm, was er brauchte: Segeltuch, Pappe, Heftzwecken und Kleber. Ferragamo arbeitete die Nacht durch, und am nächsten Morgen trugen die Schwestern in der Kirche ihre neuen weißen Schühchen.

Kurze Zeit später begann er seine Lehre bei Luigi Festa. Noch bevor er zehn Jahre alt wurde, produzierte er Schuhe für die Damen im Ort - ein Jahr später eröffnete er seinen ersten Laden neben der Küche seiner Mutter. Bald trugen dort alle Frauen seine Kreationen, während er immer noch barfuß herumlief. Drei seiner Brüder waren damals, wie viele andere junge Männer aus Süditalien, nach Amerika ausgewandert, ins "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Sie wollten der Arbeitslosigkeit und drückenden Armut in ihrer Heimat entkommen und hofften auf ein besseres Leben. "If you can dream it, you can do it" war das Motto der Auswanderer. Als einer seiner Brüder aus Amerika zu Besuch kam, drängte er Salvatore, sein Glück in Amerika zu versuchen. Noch keine 18 Jahre alt, wanderte er dann schließlich aus. Er ließ sich erst in Boston nieder, wollte aber nicht, wie von seinen Brüdern geplant, dort in einer großen Schuhfabrik arbeiten - von industrieller Fertigung mit Maschinen, die Schuhe in ein paar Minuten zusammensetzten, hielt er nichts.

Cowboystiefel und Römersandalen


Sein älterer Bruder Alfonso, der sich im kalifornischen Santa Barbara damit durchschlug, die Anzüge der Schauspieler zu bügeln, vermittelte ihn schließlich an den Kostümausstatter einer Produktionsgesellschaft. Dieser hatte sich über die schlechten Schuhe seiner Stars beklagt, und Salvatore Ferragamo war der Mann, der ihm helfen konnte: Er eröffnete eine Schuhwerkstatt, fertigte für die "American Film Company" Cowboystiefel und Römersandalen: In dem Film "Die zehn Gebote" wanderte Moses in Ferragamo-­Schuhen nach Ägypten.

Als die Filmindustrie nach Hollywood zog, ging Ferragamo mit und eröffnete am eleganten Wilshire Boulevard in Los Angeles einen Laden, den "Hollywood Boot Shop". Der charmante Italiener mit dem kantigen Gesicht, den buschigen Brauen und dem schwarz gewellten Haar avancierte schnell zum "Schuhmacher der Stars", zum ersten It-Designer der luxushungrigen Traumfabrik. Aber der Maestro konnte die große Nachfrage nach seinen Kreationen gar nicht mehr schnell genug befriedigen. Er reiste deshalb 1927 nach Florenz, in der Hoffnung, dort Spezialisten anwerben zu können, die die traditionelle Handwerkskunst "made in Italy" noch beherrschten. Es sollte nur ein kurzer Abstecher werden, aber er blieb schließlich in Florenz, wo er 1937 den Renaissancepalazzo Spini Feroni kaufte und zu seinem Firmensitz ausbaute. Der inzwischen 42-Jährige heiratete Wanda Miletti, ein 18-jähriges Mädchen aus seinem Heimatdorf Bonito.

Ferragamo wollte, dass seine Schuhe schön und extravagant, aber auch bequem sind. Er belegte deshalb an der University of Southern California einen Anatomiekurs, um die Schuhe leicht und trotzdem stabil zu gestalten. Er schaffte das, indem er eine Stahlfeder einbaute, die den Bogen zwischen Absatz und Sohle stützte, und so das Gewicht des Fußes verteilte. Diese Stahlfeder machte ein federleichtes Nichts von einem Schuh zur tragenden Säule.

Er war einer der großen Trendsetter in der Welt der Mode und hatte den Mut, immer wieder neue Dinge zu erfinden: 1936 kreierte er zum Beispiel Schuhe mit Keil­absätzen - nur zwei Jahre später hatten drei Viertel aller Damenschuhe, die in den USA verkauft wurden, einen solchen Keilabsatz. Als erster Italiener gewann er 1947 zudem den amerikanischen Mode-Oscar, den Neiman Marcus Award.

Die Hollywood-Diven folgten ihm auch nach Florenz, legten ihre Füße zur In­spektion in Ferragamos Hände. Für Audrey Hepburn entwarf er die Ballerina­schuhe, für Marilyn Monroe die Pumps mit elf Zentimeter hohen Absätzen, die sie in dem Film "Manche mögen’s heiß" trug, für Judy Garland die Schuhe mit regenbogenfarbenen Sohlen für die Premiere ihres Streifens "Der Zauberer von Oz". Zu seinen berühmten Kundinnen gehörten auch Greta Garbo, Marlene Dietrich, Sophia Loren, die Herzogin von Windsor und Kaiserin Soraya. Er fertigte auch das Schuhwerk für den Papst und den römischen Klerus: die berühmten roten Loafer aus Pferde- oder Kalbsleder.

Führendes Lifestyle-Imperium


Als Salvatore Ferragamo im Alter von 62 Jahren starb, hinterließ er 350 Patente. Seine Frau Wanda und seine sechs Kinder führten das Unternehmen weiter. Wanda teilte die Aufgaben gleichmäßig unter den Kindern auf, wobei die Töchter in der Unternehmensführung die gleiche Bezahlung erhielten wie die Söhne und auch gleich viele Anteile. "Damit dürften die Ferragamos das einzig existierende Modell einer Führungscrew hinbekommen haben, in der es weder einen Gender Pay Gap noch Alphatierzuschläge gibt", schrieb das "Manager Magazin".

2011 ging Ferragamo in Mailand an die Börse. Die sechs Kinder halten rund 70 Prozent der Anteile. Heute produziert der Familienbetrieb nicht mehr nur Schuhe. Das Sortiment umfasst Damen- und Herrenmode, Luxustaschen, Uhren, Schals, Krawatten, Schmuck, Parfums und Brillen und zählt zu den weltweit führenden Unternehmen im Luxussektor.