Siemens-Chef Joe Kaeser hatte schon einfachere Hauptversammlungen hinter sich. Am Mittwoch demonstrierten Klimaschützer gegen die Geschäftspolitik von Siemens. Um überhaupt zur Olympiahalle in München zu kommen, mussten die Aktionäre durch einen Sitzstreik der Klima-Anhänger.

Die Aktivisten von verschiedenen Umweltgruppen zeigten Schilder mit Aufschriften wie "Siemens Klimakiller. Stop Adani" oder "Siemens geht für Kohle über Leichen". Die Demonstrationen richten sich gegen die Beteiligung von Siemens an einem umstrittenen Kohlemineprojekt in Australien. Der DAX-Konzern liefert eine Signaltechnikanlage für eine Bahnstrecke, über die der indische Energiekonzern Adani Kohle von einem geplanten riesigen Bergwerk in Australien zum Hafen transportieren wird. Die Kohle soll in Kraftwerken verfeuert werden. Es mute "schon fast grotesk an", dass Siemens durch ein Signaltechnikprojekt in Australien zur Zielscheibe geworden sei, so Kaeser am Mittwoch auf der Hauptversammlung. Der Auftrag ist mit einem Volumen von 18 Millionen Euro eher klein.

"Klimakrise ist real"


Seitdem steht Siemens im Mittelpunkt der Klimadebatte und das - wie Kaeser betonte - "leider nicht, weil wir bis 2030 klimaneutral sein wollen". Man habe das gesamte Bild des Auftrags nicht rechtzeitig gesehen. Immer wieder betont der Konzernchef den Beitrag seines Unternehmens zur Nachhaltigkeit: "Die Klimakrise ist real. Wir brauchen jetzt wirksame und zeitnahe Lösungen".

Erneut ging der Siemens-Lenker auf die Klimaaktivsten zu. Es sei wichtig, dass sich Kinder ihrer Zukunft annehmen. Dennoch: Proteste alleine brächten keine Lösungen. "Wer sich dem Dialog und der Mitarbeit an Lösungen verweigert, verliert das moralische Recht zu diskreditieren" Damit dürfte Kaeser auf das Treffen mit der "Fridays for Future"-Aktivistin Luisa Neubauer im Januar anspielen. Er hatte ihr einen Posten in einem Aufsichtsgremium von Siemens versprochen, Neubauer hatte daraufhin abgelehnt.

Das vorrangige Ziel von Siemens sei es jetzt, Emissionen schneller und umfassender an allen Stellen der Wertschöpfungskette zu reduzieren, so der Niederbayer. Dazu stellt der Technologiekonzern bis 2025 eine Milliarde Euro bereit. Das Geld soll in neue Technologie und nachhaltige Produkte fließen.

Klimadebatte auch in der Olympiahalle


Das umstrittene Kohle-Projekt war auch eines der Hauptthemen der Redner. "Ja, Sie haben gepatzt", prangerte Daniela Bergdolt, Anlegerschützerin bei der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitzer), den Siemens-Chef an. Dennoch habe der DAX-Konzern bis auf diesen Patzer sehr Vieles sehr gut gemacht. Sie trug keine rote Fliege - das bedeutet, dass die Aktionärsschützerin weitestgehend zufrieden mit dem Geschäft des Technologiekonzerns war. Bergdolt wünscht sich zudem eine sachlichere Diskussion der Klima-Thematik.

Richtig sei es gewesen, dass Siemens dennoch zu dem Vertrag gestanden habe, so Markus Poppe, Fondsmanager bei der DWS. Insgesamt 56 Redner hatten sich angekündigt. Auch Helena Marschall von "Fridays for Future" hielt eine Rede: "Alle hier im Raum haben eine große Verantwortung", sprach sie auch ganz gezielt die anwesenden Aktionäre an. Sie hoffe, dass Siemens in Zukunft Projekte mit fossilen Brennstoffen nicht mehr annehme.

Q1-Zahlen überzeugen nicht


Neben der vorherrschenden Klimadebatte gerieten die vorgestellten Zahlen zum ersten Quartal fast in Vergessenheit. Das mag dem Technologiekonzern in die Karten gespielt haben, denn Siemens war mit einem deutlichen Gewinnrückgang ins neue Geschäftsjahr gestartet.

Vor allem das stark beachtete Industriegeschäft - die bei Siemens als Kennziffer für den Erfolg gesehen wird - schwächelte von Oktober bis September. Das bereinigte operative Ergebnis brach um 30 Prozent auf 1,43 Milliarden Euro ein und verfehlte deutlich die Erwartungen. Analysten hatten im Schnitt mit 1,88 Milliarden Euro gerechnet.

Kaeser sprach von einem verhaltenen Start ins Geschäftsjahr. Der Nettogewinn ging um drei Prozent auf 1,09 Milliarden Euro zurück. Der Umsatz stieg um ein Prozent auf 20,3 Milliarden Euro, während der Auftragseingang mit 24,8 Milliarden Euro um zwei Prozent unter Vorjahr lag. Diese Kennzahlen lagen über den Analystenerwartungen. Siemens bestätigte die Prognosen für das Geschäftsjahr 2019/20 (Ende September): Der Umsatz soll auf vergleichbarer Basis moderat steigen, der Gewinn je Aktie soll zwischen 6,30 und 7,00 (Vorjahr: 6,41) Euro landen.

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Bei Börsengang von Siemens Energy im Plan


Bei dem geplanten Börsengang von Siemens Energy sei man voll auf Kurs, so Kaeser. Bis Ende März soll der Carve-Out, also die rechtliche Trennung aller Siemens Energy-Aktivitäten von den übrigen Siemens-Aktivitäten, weitestgehend abgeschlossen sein. Für den 9. Juli plant der Technologiekonzern zudem eine außerordentliche Hauptversammlung, auf der Siemens den Aktionären die Abspaltung eines Mehrheitsanteils an der Siemens Energy erläutert und zur Abstimmung vorlegt. Nach einem Kapitalmarkttag soll Siemens Energy im September an die Börse gebracht werden.

Einschätzung der Redaktion


Am Mittwoch reagierte die Siemens-Aktie kaum auf die turbulente Hauptversammlung. Seit Jahresbeginn bewegte sich der Kurs eher seitwärts.

Seit dem jüngsten Tief im August 2019 kletterte der Kurs um gut 30 Prozent, der DAX schaffte im gleichen Zeitraum nur einen Zuwachs von 15 Prozent. In den vergangenen Wochen hat die Dynamik aber spürbar nachgelassen, Sorgen um die Entwicklung der Weltwirtschaft lösten verstärkt Gewinnmitnahmen aus.

Dafür winkt eine höhere Ausschüttung: Der Dividendenvorschlag für die Hauptversammlung beträgt 3,90 Euro je Aktie, zehn Cent mehr als im Vorjahr. Die daraus resultierende Rendite von 3,5 Prozent liegt im Bereich des DAX-Durchschnitts. Zum sechsten Mal in Folge wurde die Dividende angehoben. Auf lange Sicht bleibt die Siemens-Aktie ein stabiles Investment. Aktuell drängt sich dennoch kein Einstieg auf.

Mit Material von Reuters