Joe Kaeser weiß genau, was hier auf dem Spiel steht. Der Humor ist dem Niederbayern an der Spitze des Industriekonzerns Siemens trotzdem nicht vergangen. "Ich bin sicher, dass auch in diesem Geschäftsjahr etwas schief geht", scherzt Kaeser am Rande der Bilanzpressekonferenz in Berlin. Es geht um die Prognose des Konzerns für die Anfang Oktober angelaufene Periode. Nur zur Erinnerung: Kaesers Vorgänger, Peter Löscher, musste im Sommer 2013 abtreten, weil er die Vorhersage, seinerzeit zwölf Prozent Gewinnmarge, zurücknehmen musste.

Kaeser nimmt das persönliche Risiko gelassen. Und baut vor. Denn mit den zehn bis elf Prozent Gewinnmarge im industriellen Geschäft fällt der Ausblick für das neue Jahr vorsichtig aus. Siemens will beim Umsatz moderat wachsen. "Fünf Prozent Wachstum sind dabei wohl die Obergrenze für das Jahr", sagt der Konzernchef auf Nachfrage von Börse Online. Beim Auftragseingang soll es dafür schwungvoller vorwärts gehen. Kaeser spricht von "starkem Wachstum", hält aber hier die Marke von zehn Prozent für eher unrealistisch. Zu weit sollte man sich eben nicht aus dem Fenster lehnen. Sonst fällt man bei Siemens leicht mal raus.

Im Geschäftsjahr zum Ende September ist jedenfalls nochmal alles gut gegangen. Gerade noch. Kaeser spricht zwar von einem "sehr soliden Quartal" und einem gelungenen Schlussspurt im vierten Quartal der abgelaufenen Berichtsperiode. Dabei hatte der Industriekonzern in den Monaten Juli bis September das erlebt, was schon oft in der Vergangenheit der Fall war: eine plötzliche Panne. Abschreibungen aus einem Gemeinschaftsunternehmen mit Mitsubishi in Höhe von 138 Millionen Euro hatten den Nettogewinn im Jahresviertel um ein Drittel gedrückt. Der Nettogewinn blieb damit auch im Gesamtjahr ein Stück weit unter den Erwartungen.

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Vorzeigbares Zahlenwerk



Alles in allem aber hat Kaeser doch ein vorzeigbares Zahlenwerk präsentiert. Denn trotz des Gewinneinbruchs auf den letzten Metern hat Siemens das angepeilte Renditeziel im Geschäftsjahr zum Ende September erreicht - und der Chef damit geliefert. Die operative Marge im industriellen Geschäft lag bei 10,1 Prozent. Der Vorstand hatte mindestens zehn Prozent versprochen, das Unternehmen war noch nach neun Monaten bloß bei 9,6 Prozent gelegen.

Rückenwind erhielt der Konzern dabei von der Währungsseite. Rund 0,4 Prozentpunkte bei der Marge seien auf das Konto des schwächeren Euro gegangen, rechnete Finanzchef Ralf Thomas vor. "Darin enthalten sind aber auch rund 800 Millionen Euro an Sonderkosten, die die Restrukturierung des Konzerns gekostet hat", ergänzte Kaeser. Er wolle schließlich nicht lesen, dass Siemens sein wichtigstes Ziel bloß wegen der Euro-Entwicklung geschafft hätte. Spricht’s - und lacht.

Noch so ein Späßchen - aber mit ernstem Hintergrund: Schließlich will der Manager mit dem Geschäftsjahr auch das größte Umbauprogramm seit 25 Jahren bei Siemens abschließen. Rund 13000 Jobs wurden abgebaut, zahlreiche Geschäfte veräußert, neue erworben. Kaeser wollte den Konzern stringenter auf den strategischen Kern, die "Elektrifizierung" der Industriekunden, ausrichten. Nach diesem "Jahr der Konsolidierung" will der Chef aber auch endlich wieder vorwärts kommen.

Dass der Nettogewinn im Gesamtjahr um 39 Prozent auf 7,4 Milliarden Euro sprang, lag zunächst vor allem an Einmalerlösen, aus Verkäufen etwa des Hörgeräte- oder des Haushaltsgerätegeschäfts. Rund drei Milliarden Euro kamen hier zusammen. Der Umsatz kletterte um sechs Prozent auf 75,6 Milliarden Euro, hier verpasste der Konzern knapp die Schätzungen.

Dass die Aktie nach Bilanzvorlage um rund drei Prozent ansprang, lag vor allem am starken Auftragseingang. Die Orders stiegen im Gesamtjahr um sechs Prozent auf 82,3 Milliarden Euro - das war deutlich mehr, als Analysten erwartet hatten. Mehreres kam hier zusammen: Die Windkraftsparte fuhr im vierten Quartal ein Plus von 50 Prozent ein, Grund waren große Offshore-Aufträge. Und der US-Öl- und Gasausrüster Dresser Rand, von Kaeser vor gut einem Jahr für fast acht Milliarden Dollar übernommen, war erstmals konsolidiert worden. Auch hieraus stammte in Teil des Auftragsplus.

Die gute Nachricht: Siemens hat für das laufende Jahr noch einiges auf Lager. Der Auftragsbestand umfasst 110 Milliarden Euro. Noch nicht verbucht sind dabei Geschäfte im Kraftwerksbereich, die Kaeser im Sommer persönlich mit der ägyptischen Regierung einfädelte. Die Bayern sollen mehrere Gaskraftwerke liefern. Insgesamt rund acht Milliarden Euro sollen die Deals wert sein - wobei laut Kaeser noch nicht klar ist, wieviel des Volumens Siemens in seine Bücher nehmen will. Aus Gründen der Risikovorsorge könnten etwa bauliche Maßnahmen außen vor bleiben. Der Konzern will sich schließlich auf margenstarke und risikoarme Aufträge konzentrieren - um plötzliche Pannen künftig zu vermeiden.

Der Deal mit Ägypten soll bis zum zweiten Geschäftsquartal verbucht werden. Treiber der Geschäfte sollen darüberhinaus die Auftragsbücher der Windkraftsparte oder der Verkehrstechnik werden. Auch das Öl- und Gasgeschäft soll den Tanker im laufenden Jahr beim Geschäftsvolumen anschieben.

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Probleme in China



Das Bild, das der Konzernchef von seiner Vorstellung der Weltwirtschaft des kommenden Jahres malte, hatte indes einen großen dunklen Fleck: China. Kaeser ist nicht gerade optimistisch für die Entwicklung des wichtigen Absatzmarktes, auf dem Siemens rund acht Prozent des Umsatzes einfährt und der bislang für ordentliches Wachstums stand. "Die Industrieproduktion war zuletzt so schwach wie seit der Finanzkrise nicht mehr", sagte der Chef.

Wichtige Sparten wie die Industrieautomatisierung sowie Industrieantriebe sind von der Schwäche betroffen. Noch geht Kaeser von einer Belebung in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres aus. Bleibt ein Aufschwung ab März 2016 aus, dann wackelt womöglich auch die soeben abgegebene Prognose. Kaeser würde dann wohl spätestens im April nachjustieren.

Auch bis die Öl- und Gasdivision ein Gewinner wird, das dürfte angesichts des dauerhaft niedrigen Ölpreises noch dauern. Die Energiekonzerne wie Exxon oder BP sparen bei den Investitionen viele Milliarden ein. Kaeser will ihnen künftig mit effizienter Ausrüstung helfen, kostengünstiger zu produzieren - und vorerst vom Servicegeschäft der Übernahme Dresser Rand profitieren.

Siemens zahlte einen hohen Preis für die bis bislang größten Übernahme in der Konzerngeschichte. Im Quartal wurde Dresser erstmals bilanziert. Die gesamte Öl- und Gassparte mit Dresser wies im Quartal 6,5 Prozent Marge auf. Die hier integrierten eigenen Aktivitäten liefen bislang alles andere als gut. Im laufenden Jahr soll die Profitabilität hier wegen Sparmaßnahmen in den hohen einstelligen Bereich klettern.

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Höhere Dividende



Siemens-Chef Kaeser weiß um all diese Unwägbarkeiten. Und er äußert deshalb - neben Scherzen - gerne Dinge, die die Laune der Aktionäre nachhaltig heben: Der Konzern will die Dividende für das abgelaufene Geschäftsjahr auf 3,50 Euro pro Aktie erhöhen, zuvor wurden 3,30 Euro ausgezahlt. Zudem will der Industrieriese innerhalb der nächsten drei Jahre Aktien im Wert von bis zu drei Milliarden Euro zurückkaufen.

Weitere Dividendenerhöhungen sind wohl nicht ausgeschlossen, wenn Siemens in der Spur bleibt. Beim um Verkäufe bereinigten Nettogewinn erwartet der Konzern schließlich einen Zuwachs von mindestens 14 Prozent auf die in 2015 erreichten 5,18 Euro pro Aktie. Laut Kaeser könnte das Plus auch wesentlich höher ausfallen.

Unser Fazit:



Trotz der Schwäche beim Gewinn im vierten Quartal kann sich das Zahlenwerk sehen lassen. Der Ausblick für die Aktie bleibt durchwachsen: Mit hohem Wachstum wird Siemens einstweilen zwar nicht glänzen. Dafür ist der Auftragsbestand hoch, das Orderbuch schiebt an. Von der Weltwirtschaft erwartet der Konzern Gegenwind, vor allem in China kühlt sich das Umfeld weiter ab. Bleibt ein Aufschwung hier ab März aus, wackelt wohl auch die Prognose. Die Aktie bleibt wegen der soliden Dividendenrendite haltenswert.