BOERSE-ONLINE.de: 2019 litten die Börsen weltweit unter politischen wie auch wirtschaftlichen Unsicherheiten wie etwa dem Brexit oder dem US-Handelsstreit mit China. Welche Unsicherheiten stehen 2020 besonders im Fokus?
Stefan Bielmeier: In 2020 dürfte der Handelsstreit der USA mit China und gegebenenfalls auch mit Europa weiter bestimmend sein. Daneben sollte die Präsidentenwahl in den USA und das Freihandelsabkommen zwischen UK und der EU auch relevante Themen sein.

Ist eine Entspannung bei den aktuellen Dauerbrennern Brexit und Handelsstreit in Sicht?
Der Brexit dürfte erstmal abgeschlossen sein. Jedoch gilt es dann, das Freihandelsabkommen zu verhandeln. Der Handelsstreit wird uns sicherlich erhalten bleiben. Jedoch könnte hierbei die Diskussion zwischen den USA und Europa an Intensität zunehmen.

Aus heutiger Sicht: Welches Thema dürfte die Börsen 2020 sonst noch beschäftigen?
Politische Instabilität in den Schwellenländern.

Das schwächelnde Wachstum der chinesischen Wirtschaft bremst die Weltwirtschaft und hemmt damit auch die Aussichten für Deutschland. Wie groß wird der Einfluss dieser Entwicklung im nächsten Jahr sein?
Der Einfluss dürfte nicht kleiner werden. Jedoch sollte man in China, wie auch in Deutschland die Talsohle der Konjunktur erstmal erreicht haben.

Mit Christine Lagarde steht die Europäische Zentralbank (EZB) seit November 2019 unter neuer Führung. Ihr Vorgänger Mario Draghi hat im EZB-Rat einigen Gesprächsbedarf zurückgelassen. So sind die Ratsmitglieder im Hinblick auf die erneute Aufnahme des Anleihenkaufprogramms und dem Leitzins auf Rekordtief gespaltener Meinung. Einige fordern einen Kurswechsel der EZB. Wo sehen Sie die EZB Ende 2020?
Die Zinsen sollten unverändert bleiben. Man wird sich in 2020 eher auf die Strategiediskussion konzentrieren und geldpolitische Themen nicht unnötig in den Vordergrund stellen.

Das Jahr 2019 stand ganz im Zeichen von Niedrigzins. Mittlerweile sind nicht mehr ausschließlich Banken von Strafzinsen betroffen, sondern auch Privatanleger müssen teils ab dem ersten Cent zahlen. Auch von Krediten mit Negativzinsen ist inzwischen die Rede. Rechnen Sie mit flächendeckender Verbreitung von Negativzinsen für Privatkunden?
Je länger die aktuelle Niedrigzinsphase anhält, umso größer wird der Druck bei den Banken werden, die negativen Zinsen weiterzugeben.

Die USA befinden sich im längsten Aufschwung ihrer Geschichte. Doch es gibt auch Hemmschuhe, weiß Ulrich Stephan von der Deutschen Bank. Politische Unsicherheiten und Diskussionen über die Regulierung amerikanischer Großindustrien wie beispielsweise Finanzen, Pharma, Energie und Tech im Vorfeld der Präsidentschafts- und Kongresswahlen im November 2020 könnten das Wachstum hemmen. Wie schätzen Sie das Wachstum der USA für das nächste Jahr ein?
In 2020 fallen die Steuererleichterungen aus dem Jahr 2019 weg, damit dürfte das US BIP Wachstum etwas an Dynamik verlieren und bei etwa 1,75 Prozent gegenüber dem Vorjahr liegen.

Im November des nächsten Jahres wird in den USA wieder gewählt. Inwieweit werden sich der Wahlkampf und die Wahl voraussichtlich auf die Börsen auswirken?
Der Wahlkampf selbst dürfte keinen Einfluss haben. Bei einem überraschenden Ausgang und dem Sieg der Demokraten könnte sich dies aber negativ auf die Aktienkurse in den USA auswirken.

Strategen blicken dem neuen Börsenjahr teils nicht sehr optimistisch entgegen. In welchen Branchen sehen Sie die größten Chancen und warum?
Binnenwirtschaftlich orientierte Sektoren könnten sich gut entwickeln, genauso wie Unternehmen mit einer hohen Dividendenrendite.

Sowohl der Export wie auch die Industrie schwächeln. Die Konsumnachfrage ist aber nach wie vor gut. Bleibt der Konsum auch 2020 die Stütze der deutschen Konjunktur?
Ja, auch in 2020 sollte der Konsum die Stütze der Konjunktur bleiben.

Könnte die deutsche Wirtschaft 2020 in eine Rezession abgleiten?
Nein, aber die Wachstumsdynamik bleibt schwach.

Was ist Ihre Einschätzung? Stehen die Börsen im nächsten Jahr vor einem Boom oder vor einem Crash?
Keines von beiden, eher eine volatile Seitwärtsentwicklung.

Wo steht der DAX zum Jahresende?
Wir erwarten den Dax bei 13.200 Punkten zum Jahresende.

Ihr persönlicher Anlagetipp: Worauf würden Sie 2020 setzen?
Nachhaltigkeit dürfte auch in 2020 ein sehr starkes Thema sein. Nachhaltige Anlagen könnten daher weiterhin sehr gut performen.