Fernsehen via Internet ist einfach. Auf hochauflösenden Smart-TVs mit Soundbar ist Streaming längst wie gutes Kino. Was stört, sind hier und da lästige Hänger, wenn die Server der Streamingdienste überlastet sind oder Engpässe im Funknetz oder in der Breitband­datenleitung die Übertragung bremsen.

Vielfach aber ist die Qualität dem Empfang per Kabel ebenbürtig. Und die Vielfalt der Serien, Filme und Dokumentationen in den Mediatheken von An­bietern wie Amazon Prime Video oder Netflix nimmt beständig zu. Via App ­mischen auch die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender mit. Private Anbieter wie RTL (TVNow) oder ProSiebenSat.1 (Joyn) bieten Inhalte sogar werbefrei in monatlich kündbaren App-Abos an. Die Programme dafür gibt es im App-Store, wie vom Handy gewohnt.

Die TV-Revolution per App ist in vollem Gang. "Dieser Medienumbruch überrollt uns alle", sagt Susanne ­Marschall, Direktorin des Zentrums für Medienkompetenz an der Universität in Tübingen. "Viele Menschen, jüngere und zunehmend auch ältere, schauen im klassischen linearen Fernsehen nur noch Nachrichtensendungen", sagt die Medienwissenschaftlerin.

Wie schnell die Welle geworden ist, die lukrative Geschäftsmodelle für werbefinanziertes TV hierzulande und auch das meist kabelgebundene Pay-TV in den USA wegspült, zeigt das Debüt ­eines der jüngsten Einsteiger im Streamingmarkt: Am 12. November startete Disney+ in den USA, Kanada und den Niederlanden. Walt Disneys Streaming­angebot meldete einen Tag nach dem Start bereits zehn Millionen Abos. Nun wird dem US-Medienriesen mittelfristig schon Platz 2 hinter Marktführer Netflix zugetraut, der weltweit auf 158 Millionen Abonnenten kommt. Hierzulande startet Disney+ Ende März 2020.

100 Milliarden pro Jahr


Das Rennen um attraktive Inhalte führt inzwischen zu immensen Aus­gaben für die Produktion von eigenen Filmen und TV-Serien. Analysten der UBS Bank taxieren diese Kosten der 16  US-Medienkonzerne für 2019 bereits auf 100 Milliarden Dollar. Das entspricht den Investitionen der amerikanischen Ölbranche im laufenden Jahr. Marktführer Netflix allein gibt in diesem Jahr 15  Milliarden Dollar für eigene Inhalte aus - ebenfalls ein Rekord.

Diese Milliarden machen das neue Fernsehen attraktiver und, vor allem in Amerika, günstiger als die bislang gewohnten Kabel- oder Satelliten-Abos, die pro Monat bis zu 80 Dollar kosten und zudem nicht flexibel kündbar sind. Medienanalysten der US-Bank JP Morgan erwarten, dass der Anteil dieser Pay-TV-Abos bis 2025 von jetzt knapp 70 auf unter 40 Prozent sinken wird. Zum Vergleich: 2009, zwei Jahre nach dem Start von Netflix als Onlinedienst, hatten noch knapp 90 Prozent der US-Haushalte ein Pay-TV-Abo.

Einer der Profiteure der Streaming- Revolution ist der größte Hersteller von TV-Streaming-Boxen in den USA, Roku. Über die Softwareplattform der Kali­fornier verkaufen Anbieter wie Netflix, ­Apple und der inzwischen von Disney kontrollierte Anbieter Hulu Streaming- Abos und platzieren ihre Werbung.

Harte Auslese


Die Budgets der Kunden für Inhalte sind noch lange nicht erschöpft. Ame­rikaner sind bereit, bis zu vier Dienste für insgesamt 44 Dollar pro Monat zu abonnieren, so eine Umfrage des "Wall Street Journal". Bisher werden für Netflix und Co im Schnitt 14 Dollar im Monat bezahlt. Gleichwohl erwartet Alexia Quadrani, Medienanalystin der US-Bank JP Morgan, während der nächsten Jahre eine harte Auslese unter den Streamern: "Viele werden nicht überleben, weil ihre Geschäftsmodelle nicht ausreichend profitabel sind", sagt die Expertin.

Ein wichtiger Grund dafür sind die sehr hohen und weiter steigenden Investments in eigene Produktionen. Selbst Primus Netflix könnte langfristig unter die Räder kommen. Denn Technologie- und Medienriesen wie Amazon, Apple oder Disney sind im Gegensatz zu Netflix nicht abhängig vom ­Streaming-Geschäft. Sie könnten bei den Investitionen in Inhalte, wenn nötig, einen Gang runterschalten. Amazon Prime Video etwa ist für Kunden des Lieferdiensts Prime kostenlos - es dient dem weltgrößten Onlinehändler primär zur Kundenbindung.

Dagegen investiert Netflix schon fast seinen gesamten Umsatz aus 2018 von 15,8 Milliarden Dollar in die Produktion eigener Filme. Zwölf Milliarden Dollar Schulden und eine schmale operative Gewinnmarge (Ebitda) von 15 Prozent im vergangenen Jahr zeigen, wie dünn das Eis ist, auf dem der Revolutionär des TV-Geschäfts seine Führung verteidigt.

Für Netflix-Chef Reed Hastings könnte vor allem der Einstieg des Branchenurgesteins Disney eine Phase einläuten, deren Ende offen ist. Denn der neue Rivale hat einen großen Vorteil: Disney+ kann auf weltbekannte Inhalte zurückgreifen. Zum Portfolio des Giganten zählen neben der "Star Wars"-Reihe von Lucasfilm und den Superhelden aus dem Marvel-Imperium ("Avengers") auch die berühmte Trickkiste der Pixar-Studios ("Toy Story") sowie seit Kurzem auch die 21st-Century-Fox-Studios in Hollywood. Chef Bob Iger hat die Zuflüsse aus den Sparten des Medienkonzerns überdies geschickt genutzt, um das Unternehmen auf einen schnellen Aufstieg im Streaming-Business vorzubereiten.

Günstiger als ein Kinoticket


Schon der Preis ist eine Kampfansage: Für knapp sieben Dollar pro Monat, weniger als der Preis einer Kinokarte, haben US-Abonnenten Zugang zu 7.500 ­Serienepisoden und 500 Filmen. Die US-Bibliothek von Netflix ist zwar laut Marktforscher Ampere Analysis mit 47.000 Episoden und 4.000 Filmen noch erheblich größer, doch falls Disney+ weiter Kunden wie zum Start gewinnt, könne der Konzern sein Fünfjahresziel von 60 bis 90 Millionen Abos bereits zwei Jahre früher erreichen. Überdies wäre Disney+ dann auch früher in den schwarzen Zahlen, so die Analysten.

Der Techriese Apple, seit 1. November auch hierzulande mit dem Streamingdienst Apple+ am Start, dürfte sich dagegen langfristig mit einem Platz in den Top fünf der Branche begnügen. Entscheidend ist für den Konzern, dass die Abhängigkeit vom iPhone geringer und das Medienportal der Kalifornier einer breiten Masse bekannt wird - und künftig noch mehr Nutzer auf Apple-­Geräte umsteigen.

Investor-Info

Walt Disney
Gut gestartet


Disney+ erweitert das Portfolio des Medienriesen, der in den USA die populären Dienste Hulu und seit April ESPN+ online für Sport kontrolliert. Damit sind die Kalifornier in der Branche gut aufgestellt. Disney kann mit seiner breit gestreuten Inhaltsbibliothek punkten. Finanziell sind der Aufbau des Strea­minggeschäfts und der Kauf von 21th Century Fox vorübergehend eine Belastung. Das Debüt des neuen "Star Wars"-Films im Dezember sollte den Kurs beflügeln. Auch wegen des hohen Cashflows Favorit der Redaktion.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 160,00 Euro
Stoppkurs: 95,00 Euro

Netflix
Kampf um die Spitze


Für den Primus geht es um alles, deshalb gibt Netflix Vollgas. Der Konzern warb die Macher von "Game of Thrones", David Benioff und D. B. Weiss, die bei Disney "Star Wars"-Blockbuster entwickeln sollten, ab. Mit der Bibliothek und weltweit 158 Millionen Abos ist der Vorsprung groß. Die anhaltend hohen Aus­gaben und der geringe Spielraum für Preiserhöhungen schwächen die Abwehrstrategie der hoch bewerteten Nummer 1. Halten.

Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 220,00 Euro
Stoppkurs: 290,00 Euro

Roku
Heimlicher Profiteur


Die Softwareplattform der Kalifornier, auf der Streamingdienste wie Netflix und Hulu ihre Abos vermarkten und Werbung platzieren, ist der stärkste Wachstumstreiber der Firma, die auch Konsolen für das Streaming an TV-Geräten liefert. Für 2019 erwarten Analysten rund 1,1 Milliarden Dollar Umsatz und damit knapp 50 Prozent mehr. Bei einem geschätzten Umsatz von zwei Milliarden Dollar soll Roku 2021 erstmals schwarze Zahlen schreiben. Teuer, aber aussichtsreich. Für Risikofreudige.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 175,00 Euro
Stoppkurs: 90,00 Euro