Es ist eine der größten Pleiten der Bundesrepublik, die das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland erschüttert. Die Wirtschaftsprüfer von EY, die die Zahlen von Wirecard seit Jahren testiert hatten, sprachen von einem ausgeklügelten, weltumspannenden Betrugssystem, mit dem sie und Anleger hinters Licht geführt worden seien. Erstmals in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Dax kollabiert damit ein Mitglied des deutschen Leitindex. Die Aktien stürzten um fast 80 Prozent auf 2,50 Euro ab. Vor einer Woche kosteten sie noch rund 100 Euro.

"Es gibt klare Anzeichen dafür, dass das ein aufwendiger und ausgeklügelter Betrug war, in den unterschiedlichste Parteien rund um die Welt aus verschiedenen Institutionen involviert waren, mit dem Ziel der Täuschung", erklärte die Deutschland-Tochter von EY. Solche betrügerische Absprachen, die mit hohem Aufwand und Dokumenten falsche Fährten legten, ließen sich auch mit den besten Prüfmethoden nicht aufdecken, rechtfertigte sich das Unternehmen, das zu den vier größten Wirtschaftsprüfern in Deutschland gehört. EY droht eine Klagewelle und ein massiver Reputationsschaden. Die Prüfer hatten erst bei der Prüfung der 2019er-Bilanz bemerkt, dass Bankbestätigungen zu Treuhandkonten auf den Philippinen gefälscht waren. Auf den Konten sollten 1,9 Milliarden Euro liegen - ein Viertel der Bilanzsumme.

Erst nachdem EY vor einer Woche das Testat unter der Bilanz verweigerte, brach das Kartenhaus zusammen. Wirecard hatte sich jahrelang gegen Vorwürfe der Bilanzfälschung gewehrt. Die 1999 gegründete Firma hatte in den vergangenen Jahren angeblich ein rasantes Wachstumstempo hingelegt und vor knapp zwei Jahren die Commerzbank aus dem Dax verdrängt. Zu den besten Zeiten war Wirecard an der Börse fast 25 Milliarden Euro wert. Doch die Geschichte vom erfolgreichen Fintech aus Deutschland erwies sich als Illusion. "Es war schockierend zu sehen, dass zwei Drittel der Umsätze nur auf dem Papier existierten", sagte ein Insider. "Da ist ein gesunder Kern, aber es gibt keine Chance, damit die Schulden von 3,5 Milliarden Euro zurückzuzahlen."

"DAS GELD IST WEG"


Nach Angaben von Wirecard hätten die Gläubigerbanken bis Ende des Monats 1,3 Milliarden Euro an Krediten kündigen oder nicht verlängern können. Doch die Gespräche darüber wurden wegen Aussichtslosigkeit abgebrochen. "Das Geld ist weg", hieß es bei einer Bank. "In einigen Jahren bekommen wir vielleicht ein paar Euro zurück, aber wir müssen den Kredit jetzt abschreiben." Ein anderer Gläubigervertreter sprach von "krimineller Energie, die jahrelang am Werk" gewesen sei. Was von Wirecard übrig bleibt, ist offen. Wettbewerber bräuchten die Wirecard-Technologie wohl nicht - und könnten die Kunden, zu denen Firmen wie Aldi und Ikea gehören, einfach auf ihre Plattform herüberziehen.


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Die Finanzaufsicht BaFin versucht wenigstens die Tochter Wirecard Bank aus der Insolvenz herauszuhalten, auf deren Konten zuletzt 1,4 Milliarden Euro Kundeneinlagen liegen. Sie ist aber im Vertrieb eng mit der Mutterfirma verflochten. Nach dem Regelwerk der Deutschen Börse bleibt die Aktie wohl noch bis September im Dax.

"FIASKO FÜR DEN FINANZPLATZ DEUTSCHLAND"


Die Behörde, die erst spät gegen Wirecard vorgegangen ist, steht massiv in der Kritik. "Besonders die BaFin und Abschlussprüfer müssen umfassend erklären, warum diese Entwicklung zu keinem Zeitpunkt vorhergesehen und verhindert werden konnte", sagte etwa der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz kündigte Veränderungen an. Sein Haus werde dazu ein Konzept ausarbeiten. "Die BaFin muss künftig in der Lage sein, Sonderprüfungen möglichst kurzfristig, schnell und effizient durchführen zu können." Wirecard sei ein Skandal, der seinesgleichen suche. Das müsse ein Weckruf sein.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Sie hat den ehemaligen Vorstandschef und Großaktionär Markus Braun, der fast 20 Jahre an der Spitze von Wirecard stand, im Visier. Braun ist gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro auf freiem Fuß. Ex-Vorstand Jan Marsalek hält sich möglicherweise auf den Philippinen auf. Auch die Insolvenz selbst könnte ein Fall für die Strafverfolger werden.

rtr