Entspannt lehnt sich Uli Hoeneß im Korbstuhl zurück. Vor seinem Büro in der Säbener Straße herrscht hektisches Treiben. Später wird der Grund dafür bekannt: Kurz vor dem Start der Bundesliga-­Saison vergangenen Freitag hat der FC Bayern den kroatischen Stürmer Ivan Perisic verpflichtet. Hoeneß hingegen sorgt sich um die Attraktivität der Liga, bedauert den Abstieg von Traditionsvereinen wie Hamburg, Stuttgart und Nürnberg. Er ärgert sich darüber, dass englische Klubs viel mehr Geld für TV-Übertragungsrechte bekommen. Aber so richtig aufregen kann sich der langjährige Leser von €uro am Sonntag über Mario Draghi und die Niedrigzinspolitik der EZB. Ein Gespräch über millionenschwere Transfers, das Festgeldkonto des FC Bayern und seine privaten Finanzen.

€uro am Sonntag: Herr Hoeneß, die neue Bundesliga-Saison hat gerade begonnen. Wie sehr schadet es der Liga, dass Traditionsklubs wie der Hamburger SV, der 1. FC Nürnberg oder der VfB Stuttgart nicht dabei sind?

Uli Hoeneß:

Das ist für die Bundesliga eine Katastrophe. Ich habe höchsten Respekt vor Paderborn, die mit ihren Möglichkeiten in die Bundesliga aufsteigen. Aber es ist ein Drama, dass der HSV, Stuttgart und Nürnberg nicht dabei sind. Auch Kaiserslautern fehlt. Wenn wir diese Mannschaften dauerhaft in der Bundesliga hätten, wäre sie noch populärer und attraktiver. Aber diese Vereine haben ihren Abstieg selbst zu verantworten. Das ist oft ein Managementproblem. Der HSV hat in 25 Jahren zehn verschiedene Vereinsführungen gehabt. Dabei hätten die ein enormes Potenzial. Wenn Hamburg ernsthaft Gas geben würde, hätte ich richtig Sorge.

Viele kritisieren, dass der Kampf um die deutsche Meisterschaft langweilig ist, weil am Ende ohnehin der FC Bayern gewinnt. Würde es helfen, die anderen Vereine beispielsweise durch eine solidarischere Ausschüttungsverteilung der Fernseheinnahmen zu stärken?

Das glaube ich nicht. Selbst wenn wir die Fernsehgelder anders verteilen und diese Vereine fünf, sechs oder zehn Millionen Euro mehr bekommen, könnten sie dem FC Bayern nicht von heute auf morgen Konkurrenz machen. Bei uns hat es 25, 30 Jahre gedauert, bis wir da hingekommen sind, wo wir heute stehen. Die Voraussetzungen dafür waren bei allen Vereinen, über die wir gerade gesprochen haben, dieselben.

Das ist zu einem nicht unerheblichen Teil Ihr Verdienst. Sie stehen seit 40 Jahren an der Spitze des FC Bayern. Zu Beginn Ihrer Karriere als Manager ­haben Sie sich stark an den Vermarktungsstrategien im US-Sport orientiert. Wenn Sie heute ein Vorbild suchen, wo schauen Sie da hin?

Was das Marketing angeht, ist der FC Bayern heute im europäischen Vergleich ziemlich weit vorn, vielleicht sogar die Nummer 1. Vor 40 Jahren hat die Firma Magirus-Deutz 750.000 Mark bezahlt für das Trikotsponsoring, heute bekommen wir zwischen 30 und 40 Millionen Euro. Auch im Merchandising haben sich die Einnahmen auf bis zu 100 Millionen Euro gesteigert. Als ich 1979 hier angefangen habe, hatten wir eine Poststelle, auf der ein paar Wimpel verkauft wurden. Heute haben wir beinahe ein Kaufhaussortiment. Unser größtes Manko sind die Fernseheinnahmen.

Was ist da das Problem?

In England bekommt die Premier League drei Milliarden Euro Erlöse aus der TV-Vermarktung. In der Bundesliga ist es nur eine Milliarde. Das bedeutet, der FC Bayern startet mit einem Rück­stand von 200 Millionen Euro gegenüber Manchester United in die Saison. Wir machen dieses Jahr mehr als 700 Millionen Euro Umsatz. Mit 200 Millionen Euro zusätzlich aus dem TV-Geschäft würden wir auch bei den Einnahmen in einer Liga mit den Top-Vereinen in England oder Spanien spielen.

Woher kommen diese Unterschiede?

In Deutschland gibt es kein Wettbieten um die Übertragungsrechte. Wo keine Konkurrenz ist, kann man auch nicht mehr Geld herausholen. Wenn Sie in England Fußball schauen wollen, brauchen Sie ein Abo von Sky für 85 Euro. Oder Sie sind Kunde von British Telecom. Die haben eine Milliarde Euro für die Übertragungsrechte hingelegt. Die Konkurrenz zwischen diesen beiden Anbietern sorgt dafür, dass dort die Preise so stark steigen.

In Deutschland beginnt die neue Vermarktungsperiode 2021. Glauben Sie, dass die Erlöse da deutlich gesteigert werden können?

Das hängt ganz davon ab, ob neue Konkurrenten mitbieten. Ich habe immer gehofft, dass die Deutsche Telekom irgendwann als großer Gegenspieler zu Sky auftritt. Mit dem Internetsender DAZN ist bereits ein neuer Anbieter auf dem Markt. Vielleicht kommen eines ­Tages auch Amazon, Apple, Comcast, Disney, Google oder Netflix dazu. Das sind alles Firmen, die ihren Nutzern Inhalte zur Verfügung stellen. Wenn die den Fußball für sich entdecken, werden wir noch über ganz andere Beträge reden. Da spielt eine halbe Milliarde, eine Milliarde keine Rolle. Dann könnten wir Dimensionen erreichen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Haben Sie Hoffnung, dass es schon 2021 so weit sein könnte?

Ehrlich gesagt, es wäre mir egal, wenn die Premier League für ihre Übertragungsrechte auch nur noch eine Milliarde bekommen würde. Dann hätten wir einen Wettbewerb auf Augenhöhe und würden nicht mit dem Degen gegen Säbel fechten. Aber solange wir einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Vereinen aus Großbritannien oder Spanien haben, ist es für mich ein Problem. Was mir besonders wehtut, ist die Tatsache, dass diese Millionen praktisch eins zu eins in der Kasse landen. Die schalten das Signal frei, und wumm haben sie 200 Millionen Euro mehr. Wären das zum Beispiel 200 Millionen Euro Merchandising-Umsatz, blieben davon unter dem Strich vielleicht 30 bis 50 Millionen Euro übrig.

Einen Wettbewerbsnachteil hat der FC Bayern München auch gegenüber Vereinen wie Manchester City oder Paris Saint-Germain, die einen potenten Geldgeber im Hintergrund und deshalb sehr viel Geld zur Verfügung haben. Glauben Sie, dass die sogenannten Financial-Fair-Play-Regeln da immer eingehalten werden?

Da ich keine Beweise habe, um von unlauterem Wettbewerb zu sprechen, tue ich es auch nicht. Zuweilen ist es jedoch schwer nachzuvollziehen, woher diese Vereine plötzlich zusätzliche Marketingeinnahmen von 200 oder 300 Millionen Euro haben.

Diese Vereine haben jedenfalls dazu beigetragen, dass in den letzten Jahren Ablösesummen, aber auch Gehälter für Spieler explodiert sind. Die Frage ist etwas philosophisch, aber welcher Spieler ist 220 Millionen Euro wert?

Ich habe immer gesagt, solche Dimensionen sind undenkbar. Aber dann kam Neymar. Wenn Sie mich vor drei Jahren gefragt hätten, ob der FC Bayern jemals 100 Millionen Euro für einen Spieler ausgibt, hätte ich gesagt Nein. Und jetzt haben wir es doch überlegt. Mehr will ich dazu jetzt aber nicht sagen.

Kann der FC Bayern auf Dauer mit seiner Festgeldkonto-Politik mithalten?

Es wird in Deutschland gerade so eine depressive Stimmung verbreitet: Der deutsche Fußball sei am Boden. Tatsache ist doch, dass wir noch 2014 Weltmeister geworden sind. Der FC Bayern hat 2001 und 2013 die Champions ­League gewonnen und davor 25 Jahre nicht. Ich kann nur für mich sprechen: Die Philosophie dieses Vereins ist, dass wir nur so viel Geld ausgeben, wie wir auch einnehmen. Das kann sich natürlich in Zukunft trotzdem ändern. Aber derjenige, der hier einen russischen Oligarchen, einen US-Hedgefonds oder einen Staatsfonds aus dem Nahen Osten an Bord holen will, muss erst die Mitglieder überzeugen. Denn ihnen gehört der Verein. Und da sehe ich überhaupt keine Mehrheiten. Wenn ich heute mit so einem Investor ankäme, würde ich aus der Halle gepfiffen. Klar wollen unsere Mitglieder die Champions League gewinnen, aber nicht um den Preis eines neuen Besitzers irgendwo in Fernost.

Apropos Fernost, wie wichtig ist denn China als Absatzmarkt für Sie?

Unglaublich wichtig. Und das Potenzial ist nur zu einem Bruchteil ausgeschöpft. Stellen Sie sich nur einmal vor, wir würden einen chinesischen Spieler finden, der bei uns in der ersten Mannschaft spielen könnte. Und von den 300 Millionen chinesischen Fußballfans zahlt ­jeder nur einen Euro, um unsere Spiele zu sehen. Dann würden der Bundesliga an einem Nachmittag 300 Millionen Euro mehr zufließen. Das kann alles noch passieren.

Sie fahnden also mit Nachdruck nach einem chinesischen Spitzenfußballer?

Es ist nicht so, dass ich nachts schweißgebadet aufwache und hoffe, dass wir einen chinesischen Spieler finden. Aber wir betreiben mit örtlichen Partnern Fußballschulen und Fußballcamps in China und entsenden Trainer wie Klaus Augenthaler. Irgendwann muss ja mal einer dabei sein.

Wie wichtig sind die Auslandsmärkte schon heute für Sie?

Unsere Geschäfte in China, aber auch in den USA sind profitabel. Wir kommen gerade von der USA-Reise zurück. Da haben wir ein paar Millionen eingenommen. Aber genauso wichtig war mir ­unser Trainingslager in Rottach-Egern, bei dem wir die Einnahmen aus dem Freundschaftsspiel den Gastgebern aus der Kreisklasse überlassen haben. Die können ein Jahr davon leben. Diesen Spagat mit dem FC Bayern hinzubekommen, das bedeutet mir viel. Einer unserer Spieler hat gesagt, ein großer Verein würde so etwas nicht machen. Ich habe ihm geantwortet, wenn das so ist, dann will ich kein großer Verein sein.

Noch einmal zurück zu Ihren Umsätzen. Eine Stellschraube sind Sponsoren­einnahmen. Da ist gerade der Versuch, BMW von 2025 an als Partner anstelle von Audi zu gewinnen, überraschend gescheitert. Wie sehr schadet Ihnen das?

Die Frage ist schwer zu beantworten, weil da noch einige Dinge geklärt werden müssen. Ich muss allerdings zugeben, dass diese Angelegenheit eine der größten Enttäuschungen ist, die ich bisher erlebt habe.

Dabei klang es lange so, als wäre alles in trockenen Tüchern. Was war denn der Grund für das Scheitern?

Es sind Zusagen gemacht und dann nicht eingehalten worden. Aus heutiger Sicht bin ich sehr froh, dass wir mit Audi und VW weitermachen. Da ist der FC Bayern auch in der Zukunft bestens aufgehoben.

Müssen denn andere Sponsoren auch damit rechnen, ausgewechselt zu werden, wenn ein anderer Interessent mehr bietet? Vergangenes Jahr haben Sie ja Lufthansa durch Qatar Airways ersetzt.

Im Fall Audi und BMW war das etwas anderes. Der FC Bayern und BMW: zwei Münchner Unternehmen mit starker Strahlkraft im Ausland. Das war der Reiz. Und was das Angebot von Qatar Airways angeht: Die Differenz des An­gebots zur Lufthansa war so groß, das kann ein normaler Kaufmann einfach nicht ablehnen. So leid es mir tut. Der Fußball ist ein internationales Geschäft geworden, das können wir nicht ignorieren. Persönlich fliege ich mit der Lufthansa, wann immer es geht.

Der Drittligist Unterhaching hat gerade durch einen Börsengang 6,7 Millionen Euro eingenommen. Was halten Sie ­davon?

Das war ein mutiger, innovativer Schritt und ein riesiger Erfolg für so einen kleinen Verein. Ich hätte das ehrlich gesagt nicht für möglich gehalten. Deshalb kann ich da nur gratulieren.

Haben Sie Aktien der Spielvereinigung Unterhaching gekauft?

Nein, aber ich habe das sehr genau verfolgt. Der FC Bayern hat Unterhaching öfter ausgeholfen, wenn sie Sicherheiten brauchten. Aber das ist jetzt wahrscheinlich nicht mehr notwendig.

Sind Sie denn noch an der Börse aktiv?

Ich bin jetzt kein Spekulant mehr. Ich manage mein Vermögen. Um einen Teil kümmere ich mich selbst, und für den Rest habe ich zwei Banken beauftragt. Im Moment ist mein Aktienanteil fast bei 100 Prozent. Mit Anleihen kann man ja gerade nichts verdienen.

Wie würden Sie Ihre Investmentstrategie beschreiben?

Ich habe früher mit sehr großen Beträgen gehandelt. Aber ich habe meine Lehren gezogen …

… Sie sprechen von Ihrer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung.

Ich habe Mist gebaut. So ist es nun mal. Fertig.

Und wie legen Sie heute an?

Heute bin ich ein ziemlich konservativer Anleger. Ich habe viele Bluechips in meinem Portfolio und achte auf dividendenstarke Titel. Neue Investmentideen kommen mir oft am Sonntag, weil ich mir da zwei, drei Stunden Zeit nehme, um Zeitungen zu lesen. Ich lese übrigens gern €uro am Sonntag. Im Gegensatz zu anderen Börsenbriefen ist Ihre Zeitung nicht marktschreierisch, und man fühlt sich gut informiert. Oft diskutiere ich dann noch mit ein oder zwei Vertrauten am Telefon über meine Idee. Dann entscheide ich aus dem Bauch heraus. Montag ist meistens mein Investitionstag. Es kann aber auch sein, dass ich wochenlang gar nichts mache, wenn ich viel zu tun habe.

Was war denn Ihr bestes Investment?

Ich glaube, das war Südzucker. Die Aktie habe ich bei etwa 11,50 Euro gekauft und später bei circa 25 Euro verkauft. Das war ganz schön.

Haben Sie einen Rat für unsere Leser?

Nie eine Aktie kaufen, die man nicht kennt. Ich finde es auch wichtig, dass man in seinem Umfeld Leute hat, mit denen man über Aktien diskutieren kann.

Machen Sie sich über die aktuelle Entwicklung an den Aktienmärkten Sorgen?

Ob die Bewertungen in den USA gerechtfertigt sind, kann man durchaus hinterfragen. Aber die Kurs-Gewinn-Verhältnisse deutscher Aktien sind im Schnitt der letzten 30 Jahre doch eher im unteren oder mittleren Bereich. Das KGV von Daimler liegt bei 8,5, das der Allianz bei elf. Da mache ich mir keine Sorgen. Ich würde aber gern noch etwas anderes los werden.

Bitte.

Ich würde gern Herrn Draghi sagen, dass es nicht sein kann, dass er mit den niedrigen Zinsen die hoch verschuldeten Italiener schützt und dass die deutschen Banken und Versicherungen deshalb Einlagenzinsen bezahlen müssen. Die amerikanischen Banken werden ­gelobt für ihre Milliarden-Quartalsgewinne, und unsere Banken zahlen Milliarden. Mich ärgert, dass es da keine Proteststürme gibt.

Eine letzte Frage noch zu Ihrer Zukunft: Stimmen denn die Medienberichte, dass Sie im Herbst nicht mehr als Präsident des FC Bayern zur Wahl stehen?

Ich werde meine Entscheidung am 29. August dem Aufsichtsrat mitteilen. Vorher gibt es von mir dazu keine offizielle Erklärung.

Vita:
Vom Spieler zum Präsidenten
Uli Hoeneß wurde am 5. Januar 1952 in Ulm geboren. Nach seiner erfolgreichen Spielerkarriere (u. a. Welt- und Europameister) wechselte er 1979 ins Management des FC Bayern. 2009 wurde er Präsident des Vereins. 2010 übernahm er auch den Aufsichtsratsvorsitz der FC Bayern München AG. Aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung trat er 2014 vorübergehend von beiden Ämtern zurück. Hoeneß ist verheiratet und hat zwei Kinder.