Der vermeintliche Wonnemonat Mai steht vor der Tür. Und wie jedes Jahr wird es in den nächsten Tagen und Wochen reihenweise Abhandlungen in den Medien geben, ob die alte Börsenregel "Sell in May and go away" 2019 zutreffen wird oder nicht.

Prinzipiell ist sie - zumindest für den deutschen Markt - längst widerlegt. Denn: Wer saisonale Muster nutzen will, um die Performance zu verbessern, tut besser daran, Ende Juli aus- und Anfang Oktober wieder einzusteigen. Im vergangenen Jahr hat aber auch das für viel Frust gesorgt, denn die scharfe Korrektur ging erst im Oktober los. Um keinen Deut besser wäre es deshalb gelaufen, wenn man den zweiten Teil der "Sell in May"-Regel beachtet hätte: " ... but remember to come back in September" (aber vergiss nicht, im September zurückzukommen).

Hinzu kommt: Statistisch gesehen sind Mai und Juni zwar keine sonderlich guten Monate für den DAX, doch der oft starke Juli entschädigt für den zweimonatigen Durchhänger. Genau genommen müsste man also im April aussteigen, bevor der schwache Mai anfängt, um Ende Juni noch einmal für einen Monat zurückzukehren.

Das verkompliziert die Sache und hat einen weiteren Haken: Auch wenn die Statistik nicht lügt, verläuft längst nicht jedes Börsenjahr gleich. Eine frappierend simple, ebenfalls auf saisonalen Mustern basierende Handelsregel bringt deshalb auf lange Sicht mehr Rendite als Börsenabstinenz in bestimmten Monaten. Es geht einfach nur darum, die ersten neun Monate auf den MDAX zu setzen und im letzten Quartal in den DAX umzuschichten, sofern sich der Markt in einem Aufwärtstrend bewegt.

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Deutsche Indizes im Vergleich


Die Strategie basiert auf der Erkenntnis, dass sich die kleineren, wendigen Nebenwerte auf lange Sicht besser entwickeln als der DAX. Der deutsche Leitindex enthält die laut Volksmund 30 wichtigsten deutschen Aktien. Um genau zu sein, ist es eine Schnittmenge aus denjenigen mit der größten Marktkapitalisierung und dem größten Handelsvolumen. Daher beinhaltet der DAX meist die bedeutendsten an deutschen Börsen gelisteten Konzerne. In der sogenannten zweiten Reihe hinter dem DAX finden sich 60 Werte, die im MDAX gelistet sind.


Größer heißt nicht besser


Betrachtet man die Performance dieser drei Indizes in den zurückliegenden zehn Jahren, bestätigt dies, was auch der US-Analyst und Fondsmanager James P. O’Shaughnessy in seinen Tests an amerikanischen Märkten über mehrere Jahrzehnte hinweg herausgefunden hat (siehe Kasten unten). Kleinere Unternehmen liefern eine bessere Performance, neigen aber auch zu etwas höheren Schwankungen und Rückgängen wie in den Jahren 2011 und 2015 oder Ende 2018.

Für Anleger, die langfristig orientiert sind und zwischenzeitliche Verluste aushalten können, lohnt sich ein Investment in den MDAX (oder auch in den SDAX oder TecDAX) eher als in den DAX. Da etliche TecDAX-Werte seit der Indexreform im vergangenen Jahr nun auch im MDAX enthalten sind, reicht es aber, sich auf den Index der mittelgroßen Unternehmen zu konzentrieren, auf den auch mehrere ETFs angeboten werden. Denn mit diesen kostengünstigen, passiv gemanagten Indexfonds lässt sich die Jahreszeitenstrategie am einfachsten umsetzen.

Der ehemalige Fondsmanager und Tradingexperte André Stagge hat das saisonale DAX-MDAX-Phänomen eingehend untersucht und auf seiner Webseite (www.andre-stagge.de) beschrieben. In den ersten neun Monaten jedes Jahres schlägt der MDAX den DAX, und in den letzten drei Monaten ist es umgekehrt.

Von Januar bis September hat der MDAX in den vergangenen 20 Jahren im Durchschnitt fast in jedem der einzelnen Monate besser als der DAX abgeschnitten. In den saisonal guten Monaten wie März oder April brachte er höhere Erträge, während er im schlechtesten Börsenmonat September zumindest geringere Rückgänge verzeichnete. Zum Jahresende hin wurde der DAX allerdings regelmäßig stärker und ließ von Oktober bis Dezember den MDAX in jedem der drei Monate hinter sich.

Auch dabei sollte nicht vergessen werden, dass es sich um einen Durchschnitt aus der Vergangenheit und eine Wahrscheinlichkeitsbetrachtung handelt. Zwar war es im Mittel der vergangenen 20 Jahre so, trotzdem ist nie auszuschließen, dass sich der Effekt in einem Jahr einmal komplett umdrehen kann. Dafür gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Am plausibelsten erscheint, dass es für Fondsmanager das wichtigste Ziel ist, im Jahresverlauf besser als der Gesamtmarkt abzuschneiden, der stets an einem Vergleichsindex (englisch: Benchmark) gemessen wird. Dieser Vergleichsindex ist in Deutschland meistens der DAX, der in den Medien eine deutlich höhere Beachtung findet als der MDAX.

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Wenn Profis vorsichtig werden


Da viele Fondsmanager um die Überlegenheit der kleineren Unternehmen wissen, investieren sie zunächst zu Jahresbeginn verstärkt in diese Werte, um erst mal besser als der DAX zu sein. Ist die Überrendite (englisch: Outperformance) dann in trockenen Tüchern, wird gegen Ende des Jahres wieder vermehrt zurück in den DAX umgeschichtet, um das Risiko zu vermindern, doch noch vom deutschen Leitindex überholt zu werden.

Die einfache Erkenntnis aus sämtlichen Simulationen und Rückrechnungen wäre nun, vom 1. Januar bis zum 30. September einen MDAX-ETF zu halten und diesen am 1. Oktober gegen einen DAX-ETF zu tauschen, der dann jeweils bis zum letzten Handelstag eines Jahres gehalten wird.

Verlustbremse nicht vergessen


Doch um schmerzhafte Bärenmärkte wie von 2000 bis 2003 (71 Prozent Verlust im DAX) oder 2008 (in der Spitze minus 53 Prozent) zu vermeiden, empfiehlt es sich, zusätzlich eine Ampel einzubauen, die signalisiert, ob man überhaupt investiert sein sollte oder nicht. Hierzu bieten sich nach den Erkenntnissen von André Stagge zwei Gleitende Durchschnitte an, die über fast alle Börsenportale im Internet leicht zu bekommen sind.

Wenn die 50-Tage-Linie unter die 200-Tage Linie fällt, sollte die Position sofort geschlossen werden. Umgekehrt wird eine neue Position erst eröffnet, wenn die 50-Tage-Linie wieder über der 200--Tage-Linie liegt. Im Moment wäre es Zeit für den MDAX, aber die Ampel steht noch auf Rot. Daher heißt es: Abwarten, bis der Index steigt, und die 50-Tage-Linie die 200-Tage-Linie von unten nach oben schneidet. Wer die 50-Tage-Linie, die eher in den USA verwendet wird, auf seinem bevorzugten Onlineportal nicht einstellen kann, nutzt ersatzweise die 38-Tage Linie, die hierzulande populärer ist. Die Anlageergebnisse werden sich nicht groß unterscheiden. Wichtig ist aber, eine Bremse gegen große Kursrückgänge einzubauen.

Die durchschnittliche jährliche Rendite dieser Strategie liegt bei Beachtung der Durchschnittslinien seit 1999 bei 12,65 Prozent. Aus 20 000 Euro Startkapital wären bei konsequenter Einhaltung der geschilderten Regeln über 200 000 Euro geworden. Zum Vergleich: Der DAX-Performance-Index (inklusive Dividenden) stieg im gleichen Zeitraum von 5000 auf 11 000 Punkte, was etwa vier Prozent durchschnittliche Rendite pro Jahr ergibt. Der kleine Bruder MDAX schaffte es im Vergleichszeitraum immerhin von 4000 auf etwa 22 000 Punkte, was einer jährlichen Durchschnittsrendite von 8,8 Prozent entspricht (oder einem Anstieg um 20 000 auf 108 000 Euro).

Diese Strategie eignet sich für jeden Anlegertyp. In zwei Jahrzehnten hat sie insgesamt nur 35 Trades produziert. Denn mal pro Jahr und in schlechten Jahren mitunter gar nicht. Daher fallen die Handelskosten kaum ins Gewicht. Im Backtest haben wir mit Kosten von 20 Euro pro Order gerechnet. Der größte Rückgang der Strategie beläuft sich inklusive Kosten auf 31 Prozent. Das ist viel, aber immer noch deutlich weniger als die 71 Prozent, die bei einer "Buy and Hold"-Strategie auf den DAX angefallen wären. Der MDAX hatte im Untersuchungszeitraum einen zwischenzeitlichen Rückgang um 63 Prozent. Die entscheidende Frage ist natürlich, ob diese Strategie auch in Zukunft funktioniert. Statt im Oktober könnten Fondsmanager schon im August umschichten, weshalb Sie immer eine gesunde Skepsis walten lassen sollten. Denn obwohl das System gut bei den deutschen Indizes funktioniert, ist beispielsweise in den US-Märkten ein ähnlich stabiles Jahreszeitenphänomen bisher nicht auszumachen.

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Abwandlung für Fortgeschrittene


Basierend auf dem jährlichen Wechselspiel von MDAX MDAX und DAX lassen sich auch Strategien umsetzen, die in der Fachwelt als "marktneutral" bezeichnet werden und für die sich beispielsweise Manager von Hedgefonds fürstlich entlohnen lassen. Hier kauft man Anfang Januar ein Produkt auf den MDAX und setzt gleichzeitig auf einen fallenden DAX, um die Überrendite der Nebenwerte zu isolieren, wie es in der Fachsprache heißt. Am 1. Oktober dreht man den Spieß um und kauft ein DAX-Produkt, während man im MDAX auf fallende Kurse setzt.

Eine solche Long-Short-Strategie bringt jedoch nur wirklich hohe Erträge, wenn sie mit Futures, Hebelprodukten, Optionsscheinen oder CFDs umgesetzt wird. Hierzu ist einiges Fachwissen über die Funktionsweise dieser Derivate notwendig, außerdem kann das eingesetzte Kapital weitgehend aufgezehrt sein, wenn man gleich zu Anfang ein atypisches Börsenjahr erwischt. Nach Ansicht der Redaktion ist die simple Umsetzung mit ETFs deshalb für Normalanleger die empfehlenswertere Methode.

Der Autor dieses Artikels hält am Samstag, 11. Mai, ab 9 Uhr in Konstanz ein Ganztagsseminar zur ebenfalls lukrativen und für Privatanleger leicht umzusetzenden IVY-Portfolio-Strategie. Anmeldungen sind unter der Webadresse www.LP-software.de/Referenten/schulungen.aspx möglich. Die Kosten belaufen sich für Leserinnen und Leser von BÖRSE ONLINE (bei Nennung dieses Artikels) auf 329 statt 399 Euro pro Person inklusive Verpflegung.

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Was für Nebenwerte spricht


Verschiedene Untersuchungen in der Literatur zeigen, dass Aktien von kleineren Unternehmen langfristig gesehen meist bessere Renditen liefern als die von großen. Ausführlich mit diesem Thema hat sich der amerikanische Autor James P. O’Shaughnessy beschäftigt. In seinem Buch "What works on Wall Street" analysiert er über 50 Anlagestrategien auf alle gehandelten US-Aktien seit 1952. Er beschreibt dabei jeweils die erzielte Rendite, das Risiko, die maximal zu verkraftenden Verlustperioden und weitere statistische Kennzahlen. Besonderen Wert legt er auf die Marktkapitalisierung, also den Börsenwert, der betrachteten Aktien. Er unterscheidet drei Gruppen:

1. Die etwa zehn Prozent kleinsten Unternehmen, sogenannte Micro Cap Stocks mit Marktkapitalisierungen oft unter 25 Millionen US-Dollar. Diese liefern gemäß seinen Untersuchungen im Durchschnitt die besten Renditen ab. Das Problem bei diesen Aktien ist allerdings, dass die Unternehmen zu klein sind, um sie systematisch zu handeln. Mit "zu klein" meint der Autor, dass es oft nicht genügend handelbare Stücke gibt, also die Liquidität fehlt. Zum anderen sind solche Aktien wegen ihrer geringen Marktkapitalisierung leichter manipulierbar, etwa durch Insidergeschäfte oder durch Börsenbriefe. Letztlich hat man zwar als Privatanleger einen Vorteil gegenüber Institutionellen, da diese erst recht nicht mit größeren Positionen operieren können, ohne den Kurs zu beeinflussen. Die Aktien bleiben aber auch für private Anleger in der Regel zu unberechenbar, um damit auf Dauer systematisch Geld zu verdienen.



2. Mittelgroße Unternehmen, sogenannte Mid Caps. Das sind laut seiner Definition alle, außer den zehn Prozent kleinsten und größten. Diese schneiden zwar schwächer ab als die ganz kleinen, sind dafür aber besser handelbar. Verglichen mit den größten Unternehmen liefern sie im Mittel bessere Renditen, neigen allerdings zu höheren Schwankungen.

3. Die etwa zehn Prozent größten Unternehmen, sogenannte Blue Chips. Diese Dickschiffe liefern zwar etwas kleinere Renditen. Dafür entwickeln sie sich stetiger und sind nicht ganz so starken und unberechenbaren Entwicklungen wie die kleineren Werte ausgesetzt.