Die Kehrseite: Wenn laut Bitkom etwa 51.000 offene Stellen für IT-Experten nicht besetzt werden können, bedeutet das für die Gesellschaft Wohlstandsverlust. Ein vollzeitbeschäftigter Informatiker trägt laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) etwa 120.000 Euro zur Wertschöpfung bei - ein Durchschnitts-Erwerbstätiger pro Jahr nur 68.000 Euro.

Mit der Eröffnung der Technologiemesse CeBIT am Sonntag in Hannover rückt auch in den Blickpunkt, welche Arbeitskräfte die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben sollen. IT-Experten werden in jeder Branche benötigt. Man kenne BMW als klassisches Ingenieursunternehmen, sagte Personalchefin Milagros Caiña-Andree im Februar bei einem Unternehmensbesuch von Arbeitsministerin Andrea Nahles in Berlin. Tatsächlich sei das Unternehmen aber längst auf dem Weg zu einer Tech-Firma: "Deshalb stellen wir bereits heute so viele IT-Spezialisten ein wie Maschinenbauer."

MANGEL ODER ENGPASS?



Doch wie gravierend ist der IT-Fachkräftemangel überhaupt? In ihrer halbjährlichen sogenannten Engpassanalyse kam die BA im Dezember zum Schluss, dass sich im IT-Bereich die Lage bei Informatikern nach Jahren des Mangels "entspannt" habe. Bitkom dagegen konstatiert: "Der Mangel an IT-Fachkräften nimmt seit 2013 beständig zu." Was wie ein Widerspruch erscheint, erklärt sich unter anderem durch unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Die BA stützt sich auf monatlich erfasste detaillierte Daten, Bitkom legt einmal im Jahr das Ergebnis einer Unternehmensumfrage vor.

Die BA vergleicht die Zahlen von Arbeitslosen und offenen Stellen und schaut darauf, wie lange diese unbesetzt bleiben. Sie kommt zu dem Schluss, dass derzeit ein Mangel an Experten für IT-Anwenderberatung sowie für Softwareentwicklung und Programmierung herrscht. Dieser Bereich umfasst mit 153.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten rund ein Fünftel aller IT-Arbeitnehmer. Bitkom hat dagegen vor allem die offenen Stellen im Blick. Diese sind laut Umfrage seit 2013 von 39.000 auf 51.000 gestiegen. Fazit des Verbandes: Der Fachkräftemangel habe sich verschärft.

GRAVIERENDE UNTERSCHIEDE ZWISCHEN STADT UND LAND



Bei genauer Betrachtung ist der Experten-Mangel vor allem ein Problem für Unternehmen auf dem Land. "Im akademischen Bereich haben wir einen deutlichen Engpass, der vor allem ländliche Regionen betrifft", sagt Oliver Koppel vom arbeitgebernahen IW in Köln. So seien im März 2016 von 10.000 Beschäftigten in den Großstädten 119 IT-Experten gewesen - in dünn besiedelten Kreisen 23. "Digitalisierung und Industrie 4.0 stehen vor der großen Herausforderungen, das stemmen zu müssen."

IW-Experte Koppel geht fest davon aus, dass es auch in den kommenden Jahren eine steigende Nachfrage nach IT-Kompetenzen geben wird. Bitkom erwartet für das laufende Jahr die Schaffung 21.000 zusätzlicher Jobs in der Branche. "Es wird unglaublich schwer, diese Arbeitskräftenachfrage künftig noch aus dem einheimischen Potenzial zu stemmen", sagt Koppel voraus.

Dabei nimmt die Zahl der Studienanfänger und Berufseinsteiger im IT-Bereich etwa seit 2013 jedes Jahr zu. Im Studienjahr 2015/2016 schrieben sich laut BA-Fachmann Beckmann knapp 69.000 Studenten erstmals für Informatik ein. Das sei ein Zuwachs um sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. Etwa 24.500 Informatiker beendeten demnach 2015 erfolgreich ihr Studium. Da sie oft eine weitere akademische Qualifizierung anstreben, standen sie dem Arbeitsmarkt nicht sofort zur Verfügung. Die BA geht von etwa 14.000 Berufseinsteigern aus.

ZUWANDERUNG ENTLASTET ARBEITSMARKT



Bitkom plädiert daher für stärkere Bemühungen um ausländische Fachleute. Sie spielen bislang schon eine wichtige Rolle. "Wir haben einen sehr hohen Anteil von Zuwanderern in der Informatik", sagt IW-Experte Koppel. "Das hilft schon ein wenig, Druck vom hiesigen Arbeitsmarkt zu nehmen." Sie kämen vor allem aus Drittstaaten außerhalb der EU. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Inder in IT-Berufen etwa habe sich in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. "Die Zuwanderer bekommen absolut marktgerechte Löhne bezahlt."

Mit dem weitaus größeren Fachkräftemangel in der Altenpflege ist die Situation bei IT-Fachleuten kaum vergleichbar. In der Altenpflege waren 2016 im Jahresdurchschnitt über 9000 Stellen frei, bei rund 3300 arbeitslosen Pflegefachkräften. Eine offene Stelle bliebt 162 Tage unbesetzt - im Mangelberuf IT-Anwendungsberatung 142 Tage. "Der Mangel in beiden Bereichen hat ganz unterschiedliche Ursachen", sagt IW-Arbeitsmarktexperte Holger Schäfer. Der Pflegeberuf erscheine vielen aufgrund der Entlohnung nicht attraktiv. Bei IT-Fachleuten sei dies anders: "Die IT-Fachkräfte sind einfach nicht da. Sie wären auch dann nicht da, wenn sie das Doppelte an Lohn erhielten."

rtr