Wir sind noch nicht am Ziel", warnt Baumeister David Cameron. Bei seinem Amtsantritt hatte der Premier versprochen, Großbritanniens Wirtschaft zu modernisieren. Vier Jahre später sind die Umbauarbeiten keineswegs abgeschlossen. Der Export schwächelt, die Leistungsbilanz ist in Schieflage, das Wachstum hängt weiterhin entscheidend von der Binnennachfrage ab.

Doch Cameron, Finanzminister George Osborne und Notenbankchef Mark Carney haben mit Steuersenkungen für Unternehmen, niedrigen Zinsen, Einsparungen bei den Staatsausgaben und Anreizen zum Immobilienerwerb schon mal das Fundament für eine deutliche Konjunkturbelebung gelegt. Und es ist ihnen gelungen, die Stimmung im Vereinigten Königreich zu drehen. "Während der Finanzkrise haben viele Firmen Nahtoderfahrungen gemacht", sagt Neil Finlay von der Investmentgesellschaft Threadneedle: "Nun aber schöpfen die Unternehmenschefs wieder Vertrauen."

Wachsende Zuversicht - die zeigt sich auch an der Börse in London. Insbesondere Konsum- und Immobilienwerte haben sich zuletzt gut entwickelt. Ende Mai erreichte der FTSE 100 mit knapp 6900 Punkten den höchsten Stand seit 14 Jahren.

Auf Seite 2: Druck auf Brüssel

Druck auf Brüssel

Den Aufschwung will Cameron keinesfalls gefährden. Investoren zweifeln daher, dass seine Drohung ernst gemeint ist, die EU zu verlassen beziehungsweise das für 2017 vorgesehene Referendum über den Verbleib in der Staatengemeinschaft noch in diesem Jahr abzuhalten, sollte Jean-Claude Juncker EU-Kommissionschef werden. Zu schwer wiegen die Nachteile eines Austritts. 50 Prozent des britischen Handelsvolumens werden mit der EU abgewickelt. Das Centre for Economic Performance schätzt die wirtschaftlichen Verluste eines "Brexit" auf 1,1 bis 9,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Ein Austritt würde auch die Börse nach unten ziehen und dem Finanzplatz London schwer schaden.

Der Premierminister ist sich der Folgen wohl bewusst. "Cameron sieht die Zukunft Großbritanniens weiterhin in der EU. Doch er will eine marktfreundlichere und flexiblere Gemeinschaft", erklärt Ben Ritchie von Aberdeen Asset Management. "Mit der Ablehnung Junckers will er seinen Reformforderungen mehr Nachdruck verleihen."

Die Anleger verfolgen den politischen Streit zwischen Brüssel und London zwar aufmerksam, bislang beunruhigt er sie jedoch nicht. Im Vordergrund stehen die ökonomischen Daten. Und die fallen so gut aus, dass es schwerfällt, an ein baldiges Ende des Kursaufschwungs in London zu glauben.

Die British Chamber of Commerce korrigierte vor wenigen Tagen ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr von 2,8 auf 3,1 Prozent nach oben. Das wäre nicht nur der stärkste Zuwachs seit 2007. Großbritanniens Wirtschaft würde sich auch wesentlich dynamischer entwickeln als die anderer führender Industrieländer. Die Poleposition dürfte Großbritannien noch eine Weile verteidigen. 2015 und 2016 soll das Bruttoinlandsprodukt um mindestens 2,6 Prozent zulegen.

Die Rahmenbedingungen für anhaltende Unternehmensgewinne seien gegeben, meint UK-Experte Finlay. Da eine Reihe von Unternehmen zudem über hohe Cashbestände verfügten, rechnet er mit verstärkten Übernahmeaktivitäten. Als Käufer, aber auch als Objekt der Begierde, wird derzeit British American Tobacco gehandelt.

Auch die Entwicklungen auf dem Jobmarkt sprechen für ein Engagement in britische Werte . Die Arbeitslosenrate ist von acht Prozent im Jahr 2010 auf aktuell 6,8 Prozent gefallen. Aufgrund einer deutlichen Zunahme der Selbstständigkeit haben nach Angaben des britischen Statistikamts ONS derzeit 30,4 Millionen Menschen einen Job. Es ist der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahre 1971. Zum ersten Mal seit langer Zeit weist das von der Gesellschaft für Konsumforschung gemessene Verbrauchervertrauen wieder einen positiven Wert auf. Zudem übersteigt seit fünf Jahren erstmals wieder der Lohnzuwachs die Inflationsrate.

Von der gehobenen Kauflaune der Briten profitiert beispielsweise Thomas Cook. Der Reiseanbieter steigerte in den vergangenen zwölf Monaten den Vorsteuergewinn um 39 Prozent auf umgerechnet 337 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2018 will Thomas-Cook-Chefin Harriet Green den Gewinn auf fast 500 Millionen Euro ausbauen. Die hochfliegenden Pläne gefallen den Investoren. Auf Sicht von einem Jahr verbesserte sich die Aktie um 35 Prozent.

Auf Seite 3: Jeden Tag reicher

Jeden Tag reicher

"Zum Wohlfühlfaktor der Bürger tragen auch die steigenden Immobilienpreise bei", erklärt Ritchie. Die legten in den vergangenen zwölf Monaten um 11,1 Prozent zu. Die Durchschnittsimmobilie kostet derzeit 186 512 Pfund beziehungsweise 222 471 Euro - auch das ist ein neuer Rekordwert. Noch ausgeprägter zeigt sich der Häuserboom in London. Dort zogen die Preise im Vergleich zum Vorjahr gleich um über 18 Prozent an. Nicht selten sind es russische Oligarchen, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollen und es in Luxusimmobilien steuergünstig investieren. Aber auch das von der Regierung aufgelegte Programm "Help to buy" erhöht die Nachfrage nach den eigenen vier Wänden. Es ermöglicht Privatpersonen, mit nur fünf Prozent Eigenkapital eine Immobilie zu erwerben. Die restlichen 15 Prozent Eigenkapital, die notwendig für eine Hypothek sind, garantiert der Staat. Nun aber mehren sich Bedenken, der Immobilienmarkt könne heiß laufen. Jon Cunliffe, stellvertretender Notenbankgouverneur und früherer Berater von Ex-Premier Gordon Brown, warnt vor dem Platzen einer Blase: "Das ist ein Film, den wir in UK schon mehr als einmal gesehen haben." Cameron aber kontert. "Help to buy" steigere nicht nur die Nachfrage, sondern sorge mittelfristig auch für ein erhöhtes Angebot. Seiner Meinung nach können die Hauspreise problemlos weitere vier Jahre nach oben gehen.

Auch Ritchie vermag derzeit keine Blase zu erkennen. "Außerhalb Londons hat sich der Häusermarkt lange Zeit nur sehr schwach entwickelt. Diesen zu fördern und darüber die Konjunktur zu stimulieren, ist ein vernünftiges Konzept." Für den Immobilienmarkt London will er Korrekturen allerdings nicht völlig ausschließen. Diese hätten aber kaum Auswirkungen auf die Wirtschaft und würden die Aktienkurse nicht nach unten ziehen. Auch die Banken würden nicht leiden. "Viele, die in London eine teure Immobilienanlage erwerben, zahlen bar."

Auf Seite 4: Investor-Info