Ein hochdekorierter Ökonom, ein alternder Popstar und staatliche Stellen bis hin zu Geheimdiensten befeuern ein Szenario, das vielen Deutschen als Horrorvision gilt: die Abschaffung des Bargelds.

In Schweden denkt die Politik bereits offen darüber nach. Kartenzahlungen sind dort schon sehr weit verbreitet. Gewerkschafter versprechen sich mehr Sicherheit beispielsweise für Bankangestellte oder Busfahrer. Bereits 2010 lautete der Slogan: "Bargeld braucht nur noch deine Oma - und der Bankräuber". Der frühere Abba- Star Björn Ulvaeus lebte ein ganzes Jahr ohne Bargeld. Nur im Supermarkt einen Wagen ohne Münze auszuleihen sei schwierig gewesen, berichtete der schwedische Pop-Millionär und rief seine Mitbürger auf, ebenfalls dem Bargeld abzuschwören. Wer das pikanterweise von einer Kreditkartenfirma gesponserte Stockholmer Abba-Museum besuchen will, hat gar keine andere Wahl: Barzahlung unmöglich.

Was für Ulvaeus eine Marketingaktion ist, wird unter Wirtschaftswissenschaftlern mit einer gewissen Kompromisslosigkeit diskutiert: Dem ehemaligen Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff, und dem früheren US-Finanzminister Larry Summers geht es darum, negative Zinsen festsetzen zu können. Wenn für die Notenbanken Nullzinsen nicht mehr ausreichen, um Deflation zu verhindern und den Konjunkturmotor in Schwung zu bringen, wäre der Negativzins ein zusätzliches Instrument, Konsum und Investitionen anzutreiben.

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Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Sparern und Unternehmern die Möglichkeit verwehrt bliebe, Bargeld zu horten. Andernfalls könnten sie der Zwangsenteignung durch Negativzinsen auf ihren Konten ganz einfach entgehen.

Doch was würde ein Ende des Bargelds sonst noch mit sich bringen? In jedem Fall entstünden riesige Mengen zusätzlicher Daten, wenn jeder noch so kleine Zahlungsvorgang im Supermarkt oder am Fahrkartenautomaten eine digitale Spur hinterließe. Viele Verbraucher scheint dies auf den ersten Blick nicht zu beunruhigen, wenn man sieht, wie bereitwillig sie bei den gängigen Rabattsystemen ihr Einkaufsverhalten völlig transparent machen. Allerdings dürfte das Interesse von staatlicher Seite an einem umfassenden Einblick in das Verhalten der Bürger nicht lange auf sich warten lassen - nicht nur für Datenschützer eine Horrorvorstellung.

"Wenn jede Transaktion Datenspuren hinterlässt, ist man ausgeliefert", meint dazu Rüdiger Weis, Professor für Informatik und Mitgründer des Bürgerrechtsvereins Digitale Gesellschaft. Er sieht darin einen inakzeptablen Eingriff in die Grundrechte, was auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont habe.

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Kontrollwahn bei Vater Staat

Der Fantasie, was ein Staat neben der Korrektheit der Steuererklärung noch alles kontrollieren will, sind kaum Grenzen gesetzt. Dazu zählt etwa das Gesundheitsverhalten, wie es sich auch an der Kasse des Supermarkts oder bei Freizeitaktivitäten offenbart. Formell "freiwillig" könnte im Übrigen bereits Druck aufgebaut werden, indem zum Beispiel nur bei Zustimmung zur Weitergabe von Daten vergünstigte Krankenversicherungsprämien gewährt werden. So gesehen wird verständlich, warum der frühere Chefökonom von Bundesbank und EZB, Otmar Issing, im vergangenen Jahr in Anlehnung an den russischen Dichter Fjodor M. Dostojewski erklärte: "Bargeld ist geprägte Freiheit."

Dass das Informations- und Kontrollinteresse selbst eines demokratischen Staates ständig wächst, zeigen die Zahlen über Kontoabfragen in Deutschland. Besteht der begründete Verdacht einer Straftat, können Behörden schon heute von Banken gezielt die Offenlegung von Guthaben und Geldbewegungen auf den Konten des Verdächtigen verlangen.

Und nicht nur der eigene Staat ist neugierig. "Aktuell gehen Daten vor allem an US-Kreditkartenunternehmen. Hier ist inzwischen unstrittig, dass Geheimdienste wie die NSA Zugriff haben", stellt Rüdiger Weis fest. "Die riesigen Datenmengen sind zudem oft unzureichend gegen Angriffe geschützt. Und die Sicherheit ist zuletzt deutlich geringer geworden."

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Wenn wie etwa bei Sony gleich komplette Kundendateien gestohlen werden, verdeutlicht das die Gefahren. Eine noch umfangreichere Datensammlung würde sogar weitere potenzielle Angriffspunkte schaffen und so noch mehr Interesse bei Kriminellen wecken. Kriminalitätsbekämpfung als Begründung zur Schaffung einer bargeldlosen Wirtschaft wäre damit ad absurdum geführt. Das Problem würde nur verlagert. Dass Technologien, insbesondere der Kryptografie, wie sie etwa die Digitalwährung Bitcoin nutzt, für eine ausreichende und dauerhafte Anonymisierung und Datensicherheit sorgen können, erscheint zumindest fraglich.

Da genießt das bewährte Geldsystem dann doch mehr Vertrauen - zumindest bei den älteren Generationen. "Dies ist insbesondere in Zeiten erhöhter Unsicherheit von Bedeutung, in denen die Bevölkerung physisch greifbares Geld einer Notenbank halten möchte", sagt Carl-Ludwig Thiele, Vorstandsmitglied der Bundesbank. "So ist beispielsweise die Bargeldnachfrage während der Finanzkrise im Oktober 2008 stark gestiegen." Der Schein im Geldbeutel ist eben etwas anderes als eine Forderung gegenüber einem Zahlungsabwickler.

Was die Abschaffung des Bargelds darüber hinaus hemmt, ist die Frage, ob ein solcher Schritt überhaupt effektiv umsetzbar wäre. Entscheidend ist dabei, ob es genügend Möglichkeiten gibt, bestehendes Geldvermögen in andere Werte umzutauschen - etwa in Gold, Silber oder Platin. Rohstoffe, die alle gut zu tauschen und aufzubewahren sind. Und schon hier wird deutlich, dass ein Ausweichverhalten kaum zu unterbinden wäre.

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Auf lokaler und regionaler Ebene könnten Gutscheine eine Alternative werden, die wie eine Parallelwährung bei beteiligten Unternehmen und unter Privatpersonen nutzbar wären - in Zeiten von Share Economy und sozialen Netzwerken keine abwegige Vorstellung. Funktionieren würde das aber nur, wenn die ganze Welt mitspielt. Schließlich könnten sonst ausländische Währungen diese Funktion übernehmen, wie es in Schwachwährungsländern bereits heute mit Euro oder USDollar der Fall ist. Für einen Staat dürfte es indes schwierig werden, sämtliche dieser Möglichkeiten zu unterbinden, ohne ein völliges Kontroll- und Überwachungsregime zu etablieren. Außerdem würde er mutmaßlich die Schattenwirtschaft auf diese Weise ungewollt erst so richtig vorantreiben.

Für Bargeld spricht außerdem die Funktion der Wertaufbewahrung. "Geld als Wertaufbewahrungssystem droht ausgehebelt zu werden, wenn man sich in eine komplette Abhängigkeit von der kontoführenden Bank begibt", meint Informatiker Weis. Ohnehin ist das Vertrauen in Banken angeschlagen, und es wird noch Zeit brauchen, bis es sich erholt. Gerade die Aversion der jüngeren Generation gegen das etablierte Bankensystem spielt Firmen wie Apple, Ebay, Google und Facebook in die Hände. Sie entwickeln alternative Bezahlsysteme, die ohne Bargeld auskommen sollen - und möglicherweise auch ohne Banken. Dass das Bezahlen per Mausklick oder Wischbewegung am Touchscreen kommt, steht außer Frage. Offen ist nur, ob es eines Tages die einzige Möglichkeit sein wird.

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