Frau Miller, seit Mitte Juni sind die Kurse in Shanghai und Shenzhen über 40 Prozent gesunken. Hält der Abwärtstrend an?


Magdalena Miller: Die Volatilität dürfte sicherlich noch eine Zeit lang hoch bleiben. Doch wir erkennen erste Anzeichen einer Bodenbildung. Die Bewertungen sind schon stark zurückgekommen. So entspricht das durchschnittliche Kurs-Buch-Verhältnis der in Shenzhen und Shanghai gelisteten Werte in etwa dem Niveau, welches zuletzt im Krisenjahr 2009 erreicht wurde. Auch sinkt die Zahl jener Privatanleger, die ihre Aktienkäufe auf Pump finanziert haben und nun gezwungen sind, Positionen aufzulösen, um ihre Kredite zu bedienen. Auch das dürfte die Märkte stabilisieren.

Verbessern sich auch die Fundamentaldaten der Unternehmen?


Ja, bei einer ganzen Reihe von Unternehmen zieht der Gewinn wieder an, steigen Profitabilität und freier Cashflow. Finanz- und Energiewerte ausgenommen, liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis für die nächsten zwölf Monate bei 12,3.

Warum ist die Regierung in Peking so stark an einem gut laufenden Aktienmarkt interessiert?


Das Bankensystem in China ist nicht sehr effizient, junge Unternehmen kommen nur sehr schwer an Kapital für Investitionen. Über die Börse könnten sie sich die Mittel beschaffen. Doch dazu ist es notwendig, Privatanleger für den Aktienmarkt zu gewinnen. Peking hat dafür auch massiv geworben. Chinas Haushalte verfügen meist über hohe Spareinlagen. Zudem hoffte man, dass Anleger ihre Gewinne vermehrt in den Konsum stecken würden. Allerdings sind auch die Erfahrungen chinesischer Privatanleger mit dem Auf und Ab der Kursentwicklung noch sehr gering, die Aktienkultur ist im Reich der Mitte bislang noch wenig entwickelt.

Laut Goldman Sachs haben die chinesische Notenbank und staatliche Finanzinstitute allein im August für 200 Millionen Euro Aktien gekauft. Trotzdem ging es weiter abwärts. Sind zusätzliche Stabilisierungsmaßnahmen notwendig?


Unserer Ansicht nach sind Regierung und Notenbank derzeit eher geneigt, Marktkräfte wirken zu lassen. Auch erhofft man sich in Peking eine Kursstabilisierung durch die möglicherweise früher als bislang gedachte Aufnahme chinesischer A-Aktien in den MSCI Emerging Market Index. Der Anteil von China-Werten in dem Börsenbarometer würde dadurch von bislang 23 auf 43 Prozent steigen.

Dies würde ausländische Investoren zum Kauf motivieren?


Ja, im Gegensatz zu den überwiegend auf kurzfristige Gewinne fokussierten chinesischen Privatanleger, erwerben institutionelle Investoren die Titel eher mit langfristiger Perspektive, wodurch die Volatilität sinken dürfte. Ein größeres Engagement institutioneller Anleger würde auch zur Reifung des Marktes sicher beitragen.

Schrecken die jüngsten staatlichen Interventionen am Aktienmarkt ausländische institutionelle Investoren nicht ab?


Die Regierung hat sicherlich unterschätzt, wie viel Vertrauen durch ihr Handeln verloren gehen kann. Doch staatliche Interventionen am Aktienmarkt gab es auch in anderen Ländern wie etwa in Japan oder Korea. Für institutionelle Investoren ist das also keine neue Erfahrung. Sie wissen auch, dass Chinas Autoritäten bei der Implementierung von mehr marktwirtschaftlichen Strukturen erst am Anfang der Lernkurve stehen. Den damit verbundenen Risiken stehen aber langfristige Chancen gegenüber. Ohnehin betreffen uns allgemeine Marktentwicklungen weniger stark, weil wir ausgeprägte Stockpicker sind - mein Portfolio besteht aus 35 Titeln.

Der Standard Life Investments China Equity Fund investiert bislang nur in Aktien, die in Hongkong gelistet sind. Werden Sie künftig das Portfolio auch mit A-Aktien bestücken?


Wir rechnen mit einer Genehmigung zum Einstieg noch in diesem Jahr. Wir haben bereits aussichtsreiche Unternehmen identifiziert. Diese sind nicht selten Zulieferer oder Kunden von in Hongkong gelisteten Unternehmen.

Investoren sehen aber mit Sorge die konjunkturelle Abkühlung der chinesischen Wirtschaft. Lässt sich das Wachstumsziel von sieben Prozent erreichen?


Auch wenn der Zuwachs weniger hoch ausfallen sollte als geplant, so ist die Dynamik doch weiterhin hoch. In Peking jedenfalls spürt man von einer Krise nichts. Die Konsumausgaben ziehen trotz nachlassenden Wachstums weiter kräftig an. Im vergangenen Jahr ist das real verfügbare Einkommen um acht Prozent gestiegen; stärker als das Bruttoinlandsprodukt. Der Trend hat sich im ersten und zweiten Quartal dieses Jahres fortgesetzt. Wir haben daher Konsumwerte in unserem Fonds übergewichtet. Uns gefällt zum Beispiel Best Pacific. Das Unternehmen stellt Sportkleidung für Frauen her, die immer mehr auch im Alltag getragen werden. Da Einkäufe zunehmend online getätigt werden, sehen wir auch bei Internetunternehmen wie etwa Vipshop oder JD.com Kurspotenzial.

Woran entzündet sich noch langfristige Kursfantasie für China-Aktien?


Die Regierung will China über Zentral- und Westasien mit Europa verbinden. Neben dem Ausbau der Handelsbeziehungen will man so auch die Überkapazitäten etwa im Stahlbereich exportieren. Von dem Projekt Seidenstraße profitieren beispielsweise Eisenbahnunternehmen und Eisenbahnzulieferer wie China Southern Rail oder Zhuzhou CSR Times Electric. Wir rechnen in der Branche mit einer Reihe von Übernahmen.

Chinesische Staatsunternehmen gelten als wenig profitabel und sind auch hoch verschuldet. Warum sind diese für Sie trotzdem ein Kauf?


Zum einen sind Staatsunternehmen Börsenschwergewichte und spielen eine große Rolle in Chinas Wirtschaft. Als Fondsmanager kann man diese nicht außer Acht lassen. Die Regierung aber hat den Reformbedarf erkannt und will unter anderem durch Fusionen die Effizienz steigern. Und drittens, verbessert sich auch die Corporate Governance. Wir haben in den Telekomwert China Mobile investiert. Das Unternehmen steigert die Kundenzahl rasant und ist auf einem guten Weg, seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Untergewichtet sind wir jedoch bei Finanzwerten; dort sehen wir immer noch Risiken aus nicht bedienbaren Krediten.

Im Profil



Magdalena Miller managt seit 2009 den Standard Life Chinese Equities Fund (ISIN: LU 034 375 003 9). Der Fonds stieg in den vergangenen zehn Jahren so stark wie kein anderer China- Fonds. Die Asien-Expertin begann ihre Karriere im Jahr 1986 und war unter anderem als Analystin und Portfoliomanagerin für die Gesellschaften Scottish Mutual und National Prudent Institution tätig. Miller studierte an der Universität Exeter Finanzwissenschaften. Sie spricht sowohl Kantonesisch als auch Mandarin.