Fiktive Steuern zahlen - diese absurde Pflicht kann entstehen, wenn nur ein Ehepartner in der Kirche ist. Ein BÖRSE ONLINE-Leser will nun gegen die Abgabe klagen. Von Stefan Rullkötter

Achim Götz (Name von der Redaktion geändert) staunte nicht schlecht, als er vor einigen Wochen Post vom Kirchensteueramt bekam. Für 2014 soll der verheiratete Freiberufler ein "besonderes Kirchgeld" von 1100 Euro nachzahlen, obwohl er seit vielen Jahren keiner Konfession mehr angehört. Götz ist kein Einzelfall: Ein Kirchenaustritt kann bei allen Verheirateten, die Hauptverdiener sind und sich steuerlich zusammen veranlagen lassen, einen vergleichbaren fiskalischen Bumerangeffekt auslösen: Bleibt der geringer verdienende Ehepartner weiterhin Mitglied einer Kirche und geben beide Partner eine gemeinsame Steuererklärung ab, verlangen alle evangelischen Landeskirchen, die römisch-katholischen Bistümer Hamburg, Osnabrück, Hildesheim, Berlin, Dresden-Meißen, Erfurt, Fulda, Görlitz und Mainz sowie die jüdischen Gemeinden in Hessen und Hamburg das sogenannte besondere Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe.

Finanzämter setzen das besondere Kirchgeld fest, indem sie auf ein Drittel des zu versteuernden Gesamteinkommens einen besonderen Steuertarif anwenden. Nach einer 13-stufigen Tabelle fallen dabei jährlich mindestens 96 Euro in der Einkommensstufe zwischen 30 000 und 37 499 Euro an, höchstens aber 3600 Euro besonderes Kirchgeld bei einem gemeinsam zu versteuernden Einkommen von 300 000 Euro und mehr.

Der Zweck heiligt die Mittel



Mit der Abgabe sollen Kirchenmitglieder, deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sich durch eine Eheschließung mittels des Einkommens ihrer konfessionslosen Ehegatten erhöht hat und die mangels eigenen Einkommens im Sinne des Einkommensteuergesetzes kirchensteuerfrei bleiben würden, einer "angemessenen Besteuerung" unterworfen werden.

Denn wird die Einkommensteuer nach dem Splittingtarif berechnet, kann Kirchensteuer grundsätzlich nur auf das Einkommen eines Kirchenmitglieds erhoben werden. Der Fiskus berechnet daher für beide Ehepartner jeweils eine fiktive Einkommensteuer nach dem Singletarif. Das Verhältnis der "fiktiven Einkommensteuern" beider Partner überträgt es auf die tatsächliche Einkommensteuer des Paares. Die Kirchensteuer wird schließlich auf den Anteil des Kirchenmitglieds berechnet.

Auch konfessionslose Anleger können vom besonderen Kirchgeld betroffen sein, wenn Kapitaleinkünfte den Sparerpauschbetrag (1602 Euro für zusammen Veranlagte) überschreiten. Seit 2015 führen Finanzinstitute als "Zahlstellen des Fiskus" neben Abgeltungsteuer und Soli-Zuschlag auch die Kirchensteuer auf Kapitalerträge ab, sofern Kunden nicht widersprechen. Weil Banken und Versicherungen im Rahmen des automatisierten Einzugsverfahrens aber nicht das besondere Kirchgeld einziehen dürfen, merken "Abtrünnige" zunächst nichts von der Festsetzung der Abgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat dieser Besteuerungspraxis seinen Segen erteilt (Az. 2 BvR 816/10). Das besondere Kirchgeld sei nur dann verfassungswidrig, wenn der Ehegatte, der der Kirche angehört, kein eigenes Einkommen hat. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatten Betroffene 2016 keinen Erfolg. Die Erhebung der Abgabe sei kein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, so die Richter. Die klagenden Steuerzahler machten eine Verletzung ihres Rechts auf "negative Religionsfreiheit" geltend, da sie Steuern an eine Kirche zahlen müssten, der sie nicht angehörten. Der EGMR erkannte aber keine Verletzung dieses Grundrechts und wies die Klage ab (Az. 10138/11, 16687/11, 25359/11 und 28919/11).

Getrennt Veranlagte zahlen drauf



Das europäische Gericht wies auch darauf hin, dass nach deutschem Recht die Wahlmöglichkeit besteht, sich gegen eine Zusammenveranlagung mit dem Kirchenmitglied zu entscheiden. Steuern sparen konfessionslose Hauptverdiener mit dieser Option aber nicht. Da das Ehegattensplitting so entfällt, zahlt das Paar unterm Strich sogar höhere Abgaben.

Wer über die weitere Entwicklung bei dem Thema informiert bleiben möchte, kann sich auf dem Onlineportal Kirchgeldklage.info mit vergleichbar betroffenen Steuerzahlern austauschen. Es wird von Betroffenen auf privater Basis betrieben. Zu finden sind dort die Rechtslage auf Bundes- und Landesebene, Analysen entsprechender Urteile und Tipps für rechtliche Schritte, zum Beispiel Mustereinsprüche beim Finanzamt und Hinweise zum Aufbau einer Klageschrift.

BÖRSE ONLINE-Leser Götz will sich von den bisherigen Gerichtsentscheidungen zugunsten der Kirchen nicht abschrecken lassen - und hat gegen die Erhebung des besonderen Kirchgelds inzwischen selbst Einspruch eingelegt. "Der Austausch mit vergleichbar Betroffenen ist auch in meinem Fall sehr hilfreich - nicht zuletzt zeigt er vielen konfessionslosen Steuerzahlern, dass sie nicht alleine dastehen."