Jost Kobusch sucht das Extreme und versucht, seine Grenzen immer weiter zu verschieben. Bei seinen Bergexpeditionen - oftmals unter harten Winterbedingungen - verzichtet der 26-jährige Solobergsteiger nicht nur auf Seilpartner, sondern auch auf künstlichen Sauerstoff. Seit der Besteigung des 8.091 Meter hohen Annapurna in Nepal im Mai 2016 zählt Kobusch nicht nur zu den jüngsten 8.000er-Bezwingern Deutschlands, sondern gilt auch als eines der vielversprechendsten Bergsteigertalente weltweit. €uro am Sonntag sprach mit Kobusch über den Aufbruch ins Unbekannte, wie ihm ­Donald Trumps Shutdown einen Strich durch seine Projekte macht und wie er seine Expeditionen als Profibergsteiger finanziert.

€uro am Sonntag: Sie sind in Borgholzhausen aufgewachsen, weit weg von den Bergen. Wie kommen Sie zum Bergsteigen? Liegt das in der Familie?
Jost Kobusch:
Nein, in meiner Familie geht keiner bergsteigen oder klettern. Das ist ziemlich trivial. In der Schule musste ich eine AG wählen. Malen, Volleyball, Computer - und da gab es auch die Kletter-AG. Das hat mich fasziniert. Vielleicht auch, weil ich früher Höhenangst hatte. Ich konnte nicht mal vom Dreimeterbrett springen.

Wann haben Sie Ihre erste Bergtour ­unternommen?
Das war viele Jahre später. Die erste Tour, die ich jemals gemacht habe, war etwa mit 17 Jahren auf die Zugspitze. Ich bin aber nicht hoch gewandert, ich bin mit der Seilbahn rauf. Mein erster Berg, den ich bestiegen habe, war ein 5000er.

Sie waren noch nie auf einem Berg und wollten sofort einen 5000er besteigen?
Ja, das war der Mount Kenia und ich wollte auf den Hauptgipfel, den Batian. Da hast du viele Seillängen Felsklettern. Als ich das geplant und organisiert habe, war ich 18. Mit 19 war ich dann am Berg. Ich hatte natürlich null Erfahrung. Erst mal wollte ich Tipps von Bergführern haben. Die haben aber alle gesagt: Du hast eine Schraube locker. Dann habe ich mir vor Ort in einer lokalen Agentur einen Träger und für 50 Euro einen Bergführer organisiert. Da hab ich mir den schlimmsten Sonnenbrand geholt, den ich jemals hatte. Ich bin auf der Tour höhenkrank geworden. Ich hatte schlimme Kopfschmerzen und ­Appetitlosigkeit. Ich habe mich richtig elend gefühlt. Damals dachte ich, das muss so sein in der Höhe. Ich bin ­zum Lenana, einem Nebengipfel auf 4.985 Metern. Dabei war ich erst seit vier Tagen unterwegs. Dann wollte ich auf den Hauptgipfel und es hat angefangen zu schneien und die Route war vereist. Mein kenianischer Bergführer wollte da noch weitergehen.

Der hat nicht gesagt, wir brechen ab?
Nein, den habe ich ja bezahlt. 50 Euro - das ist viel Geld in Kenia. Mir wurde das dann aber zu heikel. Ungefähr auf 5.000 Meter Höhe - 200 Höhenmeter unter dem Gipfel - sind wir umgedreht.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie den Gipfel nicht erreicht haben? Waren Sie froh, noch am Leben zu sein?
Nein, da ging es überhaupt nicht um ­Todesangst. Ich musste aber feststellen, dass Grenzen erreicht wurden. Wenn ich das Gefühl habe, alles gegeben zu haben, bereue ich auch nichts.

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie ­Profibergsteiger werden?
Nach dem Abitur dachte ich noch, ich besteige einen 8.000er und danach studiere ich Medizin. Erst mit der geplanten Lhotse-Expedition 2015 in Nepal und dem schlimmen Lawinen­unglück im Everest Base Camp (bei dem Unglück starben 19 Menschen, die Video-Aufnahmen von Kobusch gingen damals um die Welt, Anm. d. Red.) wurde mir klar, das ist nicht mein Weg. Damals hatte ich das Gefühl, ich werde sterben. Ich habe überlebt - das war wie eine Wiedergeburt. Danach habe ich mich gefragt: Was willst du wirklich machen? Das war nicht das Medizinstudium, sondern das Bergsteigen. Erst dann habe ich mich mental auf meine Profikarriere eingelassen. Das Studium - Sports Engineering - mache ich heute nebenbei.

Wie haben Sie spätere Expeditionen finanziert?
Das ist natürlich ein Prozess. Ich habe schon mit 14 kleinere Jobs gemacht. Später habe ich etwa als Trainer im Hochseilgarten und mit 20 das erste Mal als Guide in der Arktis gearbeitet. Das Ersparte gab ich in Billigländern wie ­Nepal oder Kirgistan aus. Die Pik-Lenin-Winterbesteigung (7.134 Meter), die ich versucht hatte, hat mich mit allem Drum und Dran ohne Flüge 400 Dollar gekostet. Soloexpeditionen sind eben auch minimalistisch vom Preis her. Die Solobesteigung der Ama Dablam (6.814 Meter) in Nepal habe ich noch vollkommen aus eigener Tasche bezahlt. Die Expedition war ein gewisser Durchbruch. Ich habe angefangen, mit Sponsoren zu arbeiten. Die folgende Expedition auf den 8.516 Meter hohen Lhotse in Nepal - der vierthöchste Berg der Erde direkt neben dem Everest - hatte ich zur Hälfte durch Sponsoren finanziert. Ich wusste aber nicht, wie ich die fehlenden 5.000 Euro aufbringen sollte. Das Schicksal half ein wenig nach.

Inwiefern?
Einen Monat vor Abflug fuhr ich mit dem Motorrad zum Klettertraining. Eine Fahranfängerin nahm mir die Vorfahrt. Die Maschine, eine BMW F800 GS - gekauft vom Sold bei den Gebirgsjägern -, flog mit mir drauf weit durch die Luft und war völlig deformiert. Mir ist zum Glück nichts passiert. Ich hätte die BMW nie freiwillig abgegeben. Durch die Zahlung der Versicherung wurde aber das Problem mit der Finanzierung der Expedition gelöst. Seitdem habe ich allerdings kein Motorrad mehr.

Der Annapurna war Ihre erste erfolg­reiche 8000er-Besteigung.
Der Berg hat mich Demut gelehrt. Allein wegen dieser Zahl: Ein Drittel aller Bergsteiger kommt bei dem Versuch, den Gipfel zu erreichen, ums Leben. Viele der erfahrenen Bergsteiger im Base Camp sind bei den herrschenden Be­dingungen abgereist. Ich war der Einzige im Base Camp, der noch nie einen 8.000er bestiegen hatte. Der Faszination von diesem relativ unberührten Berg konnte ich aber nicht widerstehen. Ich habe immer wieder gedacht: Du gehst so weit, wie du dich wohl damit fühlst und nicht weiter. Durch diese Einstellung war ich super entspannt. Seitdem ist der Gipfel für mich zu einem Bonus geworden.

Wie kommt man darauf, die höchsten Berge der Welt solo, also ohne jegliche Hilfe und ohne Partner, und ohne zusätzlichen Sauerstoff zu besteigen?
Zusätzlicher Sauerstoff ist für mich Schummeln, und Solobergsteigen ist für mich Meditation. Primär geht es mir aber darum, herauszufinden, wozu ich in der Lage bin. Diesen Minimalismus auszuleben ist aber auch eine größere Herausforderung und hinterlässt we­niger Spuren, schont Ressourcen und schützt die Natur, in der ich nur ein Besucher bin. Für mich ist ein Solo eben die reinste Form des Berg­steigens.

Sie hatten schon einige brenzlige ­Situationen. Wie verändern Sie diese Erfahrungen im Lauf der Zeit?
Nehmen wir diese Lawine im Eve­rest Base Camp. Da habe ich diese riesige Lawine auf mich zukommen sehen, konnte eigentlich nicht einordnen, was es überhaupt ist. Aber ich hatte gerade so genügend Zeit zu denken, verdammt, ich werde sterben. Genau deshalb war das so intensiv mit dieser Lawine, weil da dieser kleine Moment der Klarheit war. Deswegen war das wie eine Wiedergeburt. Ich habe mein Leben grundsätzlich hinterfragt. Was willst du eigentlich wirklich mit deinem Leben anfangen? Damals hatte ich mein ganzes Leben noch geplant. Du hast in ganz jungen Jahren noch ein Gefühl der Unsterblichkeit. Ich werde Medizin studieren, mich auf Alpinmedizin spezialisieren und später auf Expeditionen als Arzt dabei sein. Weil das alles schon so klar formuliert war, habe ich gar nicht in Betracht gezogen, dass ich sterben könnte.

Man soll machen, was das Herz sagt, und nicht, was andere erwarten?
Genau. Aber meistens hat man ja Angst davor, das zu tun, was man selbst tun möchte. Ich habe mir da geschworen, dass ich mein Leben so lebe, wie ich das möchte. Das führt zu einem glücklichen Leben.

Was sind Ihre nächsten Projekte?
Ich war unlängst in Alaska und versuchte eine Wintersolobesteigung des 6.190 Meter hohen Denali. Allerdings habe ich wegen des Shutdowns der US-Regierung keine Genehmigung bekommen - es sind ja alle im Zwangsurlaub. Ich bin trotzdem vor Ort und versuche eine Winterbesteigung eines kleineren und tech­nischeren Gipfels. Die vergangenen Tage waren etwa minus 40 Grad kalt und dunkel. Hier ist im Winter niemand - da ist ein sehr reines Solo möglich.

Und was kommt danach?
Das kann ich noch nicht verraten. Ich habe aber einige außergewöhnliche Projekte im Kopf. Da spielt natürlich auch diese Neugier eine Rolle: Kann ich es schaffen? Ich denke schon, dass ich da eine 50 : 50-Chance habe. Und damit meine ich nicht, 50 Prozent sterben oder überleben. Die Erfolgschance einer Expedition liegt vielleicht bei 20 Prozent. Aber dann komme ich eben fünf Mal. Das ist für mich noch echtes Abenteuer, echter Alpinismus, dieser Aufbruch ins Unbekannte.

Das ist heute ja ein bisschen ver­loren gegangen.
Wenn ich von echtem Alpinismus spreche, meine ich nicht, mit 200 Leu­ten auf einen 8.000er zu ­steigen. Auch wenn man den Eve­rest mit Sauerstoff besteigt, ist das eine Leistung. Respekt vor jedem, der das macht. Aber für mich hat das nichts mit Alpinismus zu tun.

Wie haben Sie sich denn auf Ihren ersten Berg, den Mount Kenia, ­vorbereitet?
Ich war sportklettern und laufen.

Wie bereiten Sie sich heute auf eine Expedition vor? Braucht das nicht viel Zeit?
Das geht alles ziemlich schnell. Nehmen wir den 7.000er, den ich erstbestiegen habe, den Nangpai Gosum II (7.296 Meter) in Nepal. Da rufe ich meine Agentur an, dann ist die Logistik organisiert. Dann sage ich noch, wie viel Yaks wir brauchen und wo wir das Base Camp aufbauen. Bei einer Erstbesteigung kannst du eh nicht viel planen. Ich schaue bei Google Earth die Route an und sehe relativ schnell eine logische Linie - das war die Organisation. In ganz vielen Ländern gibt es eh nur mieses Kartenmaterial.

Gibt es noch einen speziellen Traum? Irgendwas, wo Sie sagen, das wäre es?
Ich würde gern in der Antarktis im Winter was machen - der kälteste Ort der Erde.

Und gibt es Träume, die derzeit ­unrealisierbar sind?
Absolut. Ich würde gern den höchsten Berg in unserem Sonnensystem besteigen. Das ist mit über 26 Kilometer Höhe der Olympus Mons auf dem Mars.

Das werden Sie wahrscheinlich nicht schaffen.
Warum? Sag das nie. Ich fände es auf jeden Fall spannend.

Abseits Ihrer Expeditionen: Wie finanzieren Sie Ihr Leben?
Ich habe verschiedene Standbeine. Neben meinen Sponsoren sind Vorträge und Events eine wichtige Einnahmequelle. Ich habe auch ein Buch geschrieben und veröffentliche Artikel in Zeitungen und Magazinen. Hin und wieder arbeite ich auch noch als Guide in der Arktis.

Denken Sie überhaupt an so was wie Altersvorsorge?
Ich persönlich glaube nicht an die Rentenkasse. Ich würde das Geld lieber langfristig zur Seite legen und investieren, etwa in Immobilien. Da muss aber die Rendite stimmen. Zurzeit ist es so: Da, wo ich mir mit einem Kredit was leisten könnte, stimmt die Rendite nicht. Und wo die Rendite stimmt, kann ich mir nichts leisten. Man könnte auch über Mikro­investments in Entwicklungsländern nachdenken, aber da fehlt mir die Sicherheit.

Vita:
Der Frühstarter
Jost Kobusch wurde am 3. August 1992 in Bielefeld geboren. In der Schule schrieb er sich für einen Sportkletterkurs ein - und das, obwohl er Höhenangst hatte. Nach dem Abitur und dem Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Berchtesgaden ­arbeitete Kobusch unter anderem als Guide in Spitzbergen. 2016 erklomm er als jüngster deutscher Bergsteiger den Annapurna (8.091 Meter) in Nepal. Im Jahr darauf stand Kobusch als erster Mensch auf dem 7.296 Meter hohen Nangpai Gosum II, bis dahin einer der höchsten unbestiegenen Berge der Welt.