Eigentlich hatte Eberhard Goll (Name geändert) alles richtig gemacht. Der Senior hatte eine Vorsorgevollmacht, in der seine Lebensgefährtin eingesetzt war, und auch ein Testament zu ihren Gunsten. Sie pflegte ihn, als seine Kräfte nachließen. Doch dann kam alles ganz anders als geplant. Eine Erbschleicherin übernahm die Hauptrolle.

Justizministerin Katarina Barley ermuntert, für den Fall der eigenen Hilfsbedürftigkeit rechtzeitig vorzusorgen und zu bestimmen, wer die Interessen im Ernstfall vertreten soll. Eine solche Vorsorge besteht üblicherweise in einer Vollmacht (siehe Glossar unten). Doch was ist, wenn diese missbraucht wird? Zu diesem Thema schweigt das Ministerium.

Das Dilemma: Je weniger man selbst kann, desto mehr müssen die Bevollmächtigten leisten. Damit erhöht sich die Gefahr des Missbrauchs. Die Vollmachtgeber müssten also besonders vorsichtig sein, wenn sie eine Person ­bevollmächtigen, doch solche Vorsicht fällt schwer.

Hier offenbaren sich die Schattenseiten einer Vollmacht, die Risiken, die den Vollmachtgeber um sein Vermögen und auch um ein Lebensende in Würde bringen können, wie der Fall von Eberhard Goll zeigt: Die Lebensgefährtin musste selbst in eine Klinik, eine Operation war geplant. Für diese Zeit und die sich anschließende Reha organisierte sie eine Kurzzeitpflege für ihren bettlägrigen Mann, schrieb die Aufgaben genau auf. Sie ging mit dem Gefühl, alles so gut wie möglich für ihren Mann geregelt zu haben, in die Klinik. Zunächst schien auch alles gut zu laufen, sie telefonierten täglich miteinander. Dann hatte sie immer häufiger, später ausschließlich, die Pflegerin am Telefon, ihr Mann würde schlafen, wäre gerade nicht zu sprechen. Die Lebensgefährtin verkürzte ihre Reha, um ihren Mann zu seinem 80. Geburtstag zu überraschen. Zu Hause angekommen, passte der Haustürschlüssel nicht mehr, niemand öffnete auf ihr Klingeln. In ihrer Not ging sie zur Pfarrgemeinde. Dort teilte man ihr mit, dass ihr Mann schon beerdigt worden sei. Die Pflegerin hatte eine Vollmacht sowie ein Testament und die Beerdigung organisiert - ohne die Angehörigen zu informieren.

Diesen Fall schilderte Schwester Bernadette. Seitdem sie über einen Vorfall in ihrem Bekanntenkreis ein Buch geschrieben hatte, wurde die Münchner Schwester vom Guten Hirten zur inoffiziellen Anlaufstelle für Betroffene vor allem aus Deutschland. Sie kennt mittlerweile rund 400 Fälle. Schwester Bernadette kümmert sich um Menschen, die um ihr Geld und ihre Rechte gebracht worden sind, weil jemand ihre Angehörigen so manipuliert hat, dass diese weitreichende Vollmachten ausgestellt oder das Testament geändert haben. "Ich habe schon Fälle gehabt, bei denen es um mehrere Millionen Euro ging", sagt sie.

Mal sind die Täter Fremde, die alte Leute im Café oder auf der Parkbank ansprechen, mal kommen sie aus der Nachbarschaft oder aus der eigenen ­Familie. "Problematisch ist immer der Nachweis, dass die Vollmacht missbraucht wurde", sagt Professor Volker Thieler, Fachanwalt für Erbrecht. Denn das Gesetz kennt nur Schwarz oder Weiß: geschäftsfähig oder eben nicht geschäftsfähig. Thieler aber weiß: "Tatsächlich gibt es einen großen Graubereich, den ich Beeinflussbarkeit nenne." In diesem Zustand würden viele Vorsorgevollmachten von älteren Menschen unterschrieben. Diese Menschen jedoch schützt das Gesetz nicht. Und so macht die aktuelle Rechtslage finanziellen Missbrauch sehr leicht. Vollmachten werden nicht gerichtlich kontrolliert.

Der Rechtsanwalt aus Gräfelfing bei München vertritt die Töchter von Georg Luxi, einem mit 87 Jahren verstorbenen Ex-Millionär aus Deggendorf. Er ist sich sicher, dass in diesem Fall die Täterin aus der Familie kam - die Lebensgefährtin. Luxi hatte seiner Lebensgefährtin Maria S. und deren Sohn 2008 eine Vollmacht ausgestellt. Schon kurz darauf übertrugen sie Luxis sechs Doppelhaushälften auf sich, unterbanden den Zugang der Töchter zum Vater. Luxis Töchter bezweifeln, dass ihr eventuell damals schon dementer Vater ahnte, welche Folgen die Vollmacht für ihn haben könnte. Als sie eine Kontrollbetreuung vor dem Bundesgerichtshof durchsetzten konnten, war die Lebensgefährtin mit Luxi plötzlich verschwunden - nach Tschechien, wie sich viel später herausstellte.

Die letzten Wochen seines Lebens verbrachte Luxi als Sozialfall in einem Pflegeheim. Die Staatsanwaltschaft konnte der Lebensgefährtin Untreue, Freiheitsberaubung sowie Körperverletzung nicht nachweisen und stellte die Ermittlungen schließlich ein. Für Rechtsanwalt Thieler ist das ein "bodenloser Skandal".

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Jackpot für Betrüger

Diese beiden Fälle zeigen, dass sich Vorsorgevollmachten missbrauchen lassen - mit verheerenden Folgen für den Vollmachtgeber. "Die Vorsorgevollmacht ist der Jackpot für Betrüger, die sich bereichern wollen", sagt Thieler.

Neben der Vorsorgevollmacht gibt es noch die sogenannte Betreuungsverfügung (siehe Glossar). Rund 1,3 Millionen Menschen werden hierzulande offiziell betreut. Die Kontrolle erfolgt durch Rechtspfleger. Aber auch hier ist Missbrauch nicht ausgeschlossen.

In der Betreuungsverfügung kann der zu Betreuende Wünsche angeben - wer sich um ihn kümmern soll und wer nicht. Liegen hierzu keine Angaben vor oder hat jemand gar keine Vorsorge getroffen, so bestellt das Gericht einen Betreuer. Laut Gesetz hat der Betreuer die Angelegenheiten des Betreuten so zu besorgen, wie es dessen Wohl entspricht (§ 1901 Abs. 2 BGB).

Doch gibt es auch unter Betreuern schwarze Schafe, wie ein Fall in Regensburg zeigt. Vor dem dortigen Amtsgericht musste sich Reinhold F. wegen Betrugs und Untreue in mehreren Fällen verantworten. Es ging um mehr als 250.000 Euro, die er seinen Betreuten abgenommen hatte. "Es hat sich halt verselbstständigt, weil es einfach ging. Weil es einfach ging, habe ich es gemacht", so sagte er vor Gericht. Reinhold F. wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. "Die Menschen, die unter Betreuung stehen, sind sehr verletzlich, können sich selbst nicht um Abhilfe bemühen, sie merken ja gar nicht, dass sie hier Opfer einer Straftat werden, und das ganze Verfahren bietet für einen motivierten Täter Tatgelegenheiten", sagt Kriminalrat Markus Binninger, Co-Autor einer Studie der Deutschen Hochschule der Polizei zum Thema Betreuungsbetrug. Bei Problemen mit der Betreuung haben Betroffene oder An­gehörige kaum Möglichkeiten, sich zu wehren oder einzugreifen.

Ganz anders in den USA. Dort wird ­Financial Elder Abuse - finanzieller Missbrauch an Älteren - streng geahndet. Vor allem in Kalifornien schützt die Gesetzgebung Ältere vor finanzieller Manipulation, es gibt zahlreiche staat­liche Anlaufstellen. Auch in anderen EU-Ländern ist der Schutz besser als in Deutschland, wie die Kester-Haeusler- Stiftung erklärt. Experte Thieler fordert in Deutschland zumindest die Schaffung einer Beschwerdestelle, eine Art Betreuungsaufsicht.

Kontrolle ist besser


Da die Gesetzeslage hierzulande so wenig Schutz bietet, bleiben nur Ratschläge. Sie kreisen alle um das Thema Kontrolle. "Wer eine Vollmacht ausstellt, sollte darüber nachdenken, eine Kontrollinstanz einzubauen", empfiehlt Christopher Arendt, Fachanwalt für Steuerrecht bei der Münchner Kanzlei Acconsis. Der Vollmachtgeber kann im sogenannten Innenverhältnis festlegen, wie die Vollmacht zu gebrauchen ist. Er kann beispielsweise einen Dritten anweisen, die Vollmacht zu kontrollieren; dieser muss dann etwa bestimmte Rechtsgeschäfte gegenzeichnen.

"Zudem kann der Bevollmächtigte angewiesen werden, Kontoabbuchungen nur bis zu einem bestimmten Höchstbetrag auszuführen, einen Mindestbetrag nicht anzutasten, Konten und Depots nicht aufzulösen, bestimmte Wertpapiergeschäfte nicht auszuführen oder monatlich Kontoauszüge an eine dritte Person zu schicken", so Arendt. "Bei Verstößen gegen solche Regelungen im Innenverhältnis macht sich der Bevollmächtigte gegebenenfalls schadenersatzpflichtig." Gewinnt man den Eindruck, dass die Vollmacht nicht zum Wohl des Gebers ausgeübt wird, kann auch eine Kontrollbetreuung bei Gericht beantragt werden. So hat es Cornelia Scheel getan, eine Tochter des verstorbenen Altbundespräsidenten Walter Scheel. Dessen zweite Frau hatte eine Vorsorgevollmacht für ihren Mann, ihr wurde dann vom Gericht ein Kon­trollbetreuer zur Seite gestellt.

Schon beim Ausstellen einer Vollmacht ist es gut, wenn eine dritte Person als Zeuge dabei ist. So lässt sich das Risiko verringern, dass diejenigen, die eine Vollmacht erhalten, zu starken Einfluss auf den Vollmachtgeber ausüben. Möchte man in einem vorgefertigten Formular einen Punkt nicht, sollte dieser Passus nicht nur nicht angekreuzt, sondern durchgestrichen werden, um späteren Manipulationen vorzubeugen.

Vorsätzlicher Vollmachtsmissbrauch, Vollmachtsveränderung und -erschleichung sind in der Regel strafbar. Im Vordergrund stehen dabei mit Untreue und Betrug die beiden zentralen Tatbestände des Vermögensschutzes im Strafrecht. "Doch der Nachweis ist schwierig", so Thieler, "hat man bei der Vollmacht der falschen Person vertraut, ist das Leben abgegeben."

Glossar:
Bankvollmacht: Sie wird typischerweise auf bankeigenen Formularen erteilt. Diese sind jedoch rechtlich nicht zwingend, worauf Rechtsanwalt Thieler auf Basis eines Urteils des Landgerichts Detmold hinweist (Az. 10 S 110/14). Die Bankvollmacht ist jederzeit widerrufbar und erlischt in der Regel nicht mit dem Tod der Vollmachtgebenden. Das ist meist auch so gewollt, um etwa die Beerdigung regeln zu können.

Betreuungsverfügung: Sie greift erst, wenn eine gesetzliche Betreuung erforderlich ist. Mit ihr lässt sich bestimmen, wer im Fall des Falles diese Aufgabe übernehmen soll - und auch, wer nicht. Da die Betreuung gerichtlich angeordnet wird, vergeht in der Regel viel Zeit, bis sie eingerichtet ist. Die Betreuer werden von Rechtspflegern kontrolliert. Besteht eine ausreichende Vollmacht, wird kein Betreuer bestellt.

Vorsorgevollmacht: Mit ihr wird der Bevollmächtigte zum "Vertreter im Willen". Sie setzt bei Ausstellung die Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers voraus. An der vermeintlichen Geschäftsfähigkeit entzünden sich viele Rechtsstreite. Die Vorsorgevollmacht bietet den größten Handlungsspielraum. Sie kann umfassende Regelungen zu ­Vermögens- und Gesundheitsfragen, aber auch zum Wohnsitz enthalten.