Anleger, die das Internet zur Informationsbeschaffung nutzen, entwickeln dabei spezielle Gewohnheiten. Der Online-Datenforscher AGOF hat ihr aktuelles Surfverhalten ausgewertet. Von Stefan Rullkötter

Aufmerksamkeit ist im Internet ein knappes Gut. Nur ein kleiner Teil aller User (16 Prozent) liest Onlinetexte erfahrungsgemäß von Anfang bis zum Ende, 55 Prozent verbringen sogar weniger als 15 Sekunden auf einer Seite. Wer zum ersten Mal eine Webseite besucht, bewertet unbewusst in Sekundenbruchteilen ihre vermeintliche Qualität und Seriosität.

Erst wenn dieser Eingangstest bestanden ist, scannen oder überfliegen User in einem zweiten Schritt die angebotenen Onlineinhalte - immer auf der schnellen Suche nach für sie nützlichen Informationen. Denn die Zeit zum Lesen ist im Internet eher knapp. Dazu kommt: Lesen am Bildschirm strengt an - online liest man, wissenschaftlich erwiesen, um rund 25 Prozent langsamer als offline. Zudem gilt: Je interneterfahrener der Besucher einer Website ist, desto ungeduldiger wird er. Erst nach rund 30 Sekunden Verweildauer steigt die Wahrscheinlichkeit, dass User dann länger auf einer Seite bleiben.

Ein Schlüssel zur Aufmerksamkeit der Nutzer sind die Überschriften: 80 Prozent der User lesen die Headlines, aber nur 20 Prozent auch die darauf folgenden Texte. Auch das sogenannte Sampling ist eine Eigenheit von Internetnutzern: Sie wählen stichprobenartig einen Teil des Textes aus und schließen von dieser Passage auf die Qualität des Gesamttextes.

Spezielles Anleger-Surfverhalten

Das Surfverhalten im allgemeinen spiegelt sich auf Finanz-Websites, die neben Börsendaten und Marktberichten auch Hintergrundinformationen sowie Vorsorge- und Steuerthemen bieten, im besonderen wider. "Deren Nutzer haben aber spezielle Gewohnheiten entwickelt", sagt Claudia Dubrau, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Onlineforschung (AGOF), ein Zusammenschluss führender deutscher Online-Vermarkter.

Die AGOF hat für BÖRSE ONLINE exklusiv das aktuelle Userverhalten in den Website- und App-Angeboten der 30 größten Finanzseitenbetreiber in Deutschland ausgewertet.

"Auffällig ist zunächst, dass die Nutzerzahlen auf Finanz-Websites an Wochenenden rund 30 Prozent unter denen von Werktagen liegen", erklärt Dubrau. Der Zusammenhang zwischen erhöhtem Traffic und Börsenhandelstagen scheint hier offensichtlich. Selbst wenn viele Anbieter samstags und sonntags ihre Wochenzusammenfassungen zum Marktgeschehen sowie exklusive Hintergrundberichte "live" gehen lassen, sind die Nutzerzahlen entsprechend niedriger.





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Sommerloch beim User-Traffic



Auch im Jahresverlauf lassen sich wiederkehrende Gewohnheiten der Nutzer ablesen: Während der Sommer-Urlaubssaison zwischen Juni und September sind die Userzahlen auf Finanz-Websites stets am niedrigsten. Der Effekt dürfte sich dieses Jahr durch die Fußballweltmeisterschaft von Mitte Juni bis Mitte Juli verstärken.

"Bei der Analyse der vergangenen zwölf Monate sehen wir einen deutlichen Anstieg der Finanzportale von Oktober bis Dezember, der sich auch zu Jahresanfang fortsetzt", erklärt Dubrau. Dies zeige, wie sich die Lebenswelt der Onliner in ihrer Nutzung widerspiegelt. So ziehe der Traffic auf Webseiten rund um die Themen Finanzen und Versicherungen regelmäßig ab Oktober deutlich an. "Das Internet hat sich als Kanal zum Informieren, Vergleichen und zum Direktabschluss von Versicherungs- und Vorsorgeverträgen etabliert."

Auch politische Ereignisse mit Folgen für die Börse führten erfahrungsgemäß zu erhöhtem Traffic auf Finanzseiten. Das war 2017 etwa beim Air-Berlin-Aus und der Bundestagswahl der Fall. Dann steigen die Reichweiten digitaler Angebote auch gern einmal um 60 Prozent oder mehr von einem Tag auf den anderen.

Einen Ansporn für die Macher von Finanz-Websites gibt es trotz der etablierten Vorlieben ihrer Nutzer: Die Beiträge werden erfahrungsgemäß dann Wort für Wort gelesen, wenn sie informativ, unterhaltsam und anschaulich geschrieben sind. Und wenn die Gestaltung stimmt.