Fast so wie Tempo der Inbegriff eines Papiertaschentuchs ist, so ist Lehman-Zertifikat zum Synonym für wertlose Wertpapiere geworden. Doch der Schein trügt: Im Jahr 9 nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers Holding Inc. (LBH) und ihrer niederländischen Tochter Lehman Brothers Treasury (LBT) bekommen Anleger, welche die Papiere noch halten, immer wieder Geld aus dem Insolvenzverfahren.

Von Wertlosigkeit kann daher keine Rede sein. So paradox es klingt: Mit etwas Glück liegt man mit LBT-Papieren womöglich sogar in der Gewinnzone. Wie die für die LBT zuständigen Liquidatoren von der Kanzlei Houthoff Buruma in den Niederlanden der Redaktion von BÖRSE ONLINE mitteilten, wurden allein auf die 59 Emissionen mit deutscher Wertpapierkennnummer in bisher neun Tranchen bereits über 350 Millionen US-Dollar ausgeschüttet. "Die zehnte Zahlung folgt im Mai 2017", erläutert Niels Huurdeman von Houthoff Buruma.

Auf alle fast 3800 zum Insolvenztermin ausstehenden LBT-Emissionen beliefen sich die Auszahlungen bislang zusammen genommen bereits auf mehr als elf Milliarden US-Dollar. Die Auszahlungsquote - noch ohne die Garantzahlungen der Mutter aus Amerika - betrage damit schon jetzt mehr als 33 Prozent des jeweiligen vom Insolvenzverwalter festgestellten Werts der Papiere zum Insolvenztermin.

"Und es geht noch eine Weile weiter", bekräftigt Huurdeman. Denn die Gesamtforderung der niederländischen Liquidatoren in den USA belaufe sich auf rund 34 Milliarden US-Dollar und die Liquidation der LBH ist noch nicht abgeschlossen. Entscheidungen der US-Gerichte zeigen, dass das US-Insolvenzverfahren noch drei Jahre lang weiterlaufen kann. "Papiere weiterbehalten und sich darüber freuen, was da noch kommt", lautet daher der Rat von Matthias Schröder von LSS Rechtsanwälte in Frankfurt.

Drei Bedingungen



Damit geht der positive Trend für geschädigte Anleger weiter. BÖRSE ONLINE hat bereits darüber berichtet (siehe Heft 4/2015). "Von wertlosen Lehman-Zertifikaten zu sprechen, ist tatsächlich Quatsch, was die LBT-Emissionen angeht", macht Huurdeman deutlich. Zwar hatten Anleger mit den Titeln viel Stress und Ärger, doch mancher könnte inzwischen sogar im Plus liegen. Das gilt aber nur unter drei Bedingungen: Zunächst muss man die Zertifikate noch immer im Depot haben, dann muss man seine Forderungen bereits im US-Insolvenzverfahren angemeldet haben und schließlich eine angemessene Entschädigung von seiner Bank, die einem die Papiere als sichere Geldanlage angedreht hatte, erhalten haben.

Doch der Reihe nach: Auszahlungen aus dem niederländischen Insolvenzverfahren fließen automatisch an die Halter der LBT-Zertifikate. Anders sah es dagegen im US-Insolvenzverfahren aus: Hier musste man als Anleger aktiv werden und seine Forderungen anmelden. "Wenn man aus beiden Töpfen etwas bekommt, ist es möglich, dass man bislang schon Zahlungen im Wert von mehr als 50 Prozent bekommen hat", erläutert Huurdeman. "Das US-Verfahren ist zwar eine völlige Blackbox, man erfährt von dort nahezu nichts, aber bislang läuft das wirtschaftlich recht erfolgreich", meint auch Anwalt Schröder.

Das macht die dritte Bedingung besonders wichtig: eine gute Entschädigung von der eigenen Bank. "Passabel aus heutiger Sicht war eine Entschädigung von mindestens 50 Prozent oder besser noch mehr", so Schröder.

Tausende Anleger - häufig waren es Senioren, die ihr Geld sicher anlegen wollten - hatten zum Pleitetermin im Herbst 2008 Lehman-Zertifikate im Depot. Sie fühlten sich von ihren Banken, von denen sie intern häufig als AD-Kunden (bankeninterne Kurzform für "alt und doof") verspottet wurden, abgezockt und machten ihrem Ärger bei Demonstrationen Luft.

Die Kreditinstitute, allen voran Hamburger Sparkasse, Frankfurter Sparkasse, Sparkasse Hannover, Dresdner Bank (heute Commerzbank) und Citibank (heute Targobank), die besonders viele Lehman-Zertifikate unter die Leute gebracht hatten, bemühten sich kurz nach der Pleite auf Druck der massiven öffentlichen Proteste um Kulanzlösungen. Doch die fielen sehr unterschiedlich aus. Teilweise ließen sich die Banken die Zertifikate nämlich zurückübertragen - mit der Folge, dass sie es sind, die jetzt von den Auszahlungen aus den Insolvenzverfahren profitieren. In diesem Fall schauen die Privatanleger, die den Stress und Ärger hatten, nun abermals in die Röhre.