Jörg Bauer kann sich vor Bestellungen gerade kaum mehr retten. Die Flüchtlingswelle beschert dem Familienunternehmer vom Bodensee volle Auftragsbücher. Denn die ohnehin starke Nachfrage in Deutschland nach Wohnraum wird nun durch staatliche Investitionen zur Unterbringung von Flüchtlingen noch einmal befeuert.

Bauers Unternehmen bietet Holzbauten und sogenannte modulare Bauten an, bei denen Häuser nach dem Baukastenprinzip zusammengestellt werden. Diese werden jetzt immer öfter als Flüchtlingsunterkünfte genutzt. Sie können innerhalb von acht Wochen geliefert werden - für viele überlastete Kommunen also eine vergleichsweise schnelle und wintergerechte Lösung. "Wir sind dabei, in unserem Werk in Neukirch eine Doppelschicht einzuführen", sagt der Chef von Bauer Holzsysteme. "Wir werden zudem im nächsten Jahr eine größere Produktionshalle in Lindau eröffnen und die Belegschaft von derzeit 40 auf 60 Mitarbeiter erhöhen."

Der Immobilienmarkt in Deutschland boomt angesichts der Mini-Zinsen ohnehin seit Jahren, vor allem in Großstädten. Durch den Zustrom von gut einer Million Flüchtlingen allein in diesem Jahr ändert sich die Lage noch einmal massiv. Die Nachfrage der Kommunen und Länder wirkt dabei wie ein Turbo für die Branche - zumal weitere Schutzsuchende aus Syrien und anderen Ländern nach Europa drängen.

"Immer mehr Deutsche legen ihr Geld in Immobilien an", sagt Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts. "Da gibt es eine Flucht in die Sachwerte, eine Flucht in Betongold. Wenn der Bau boomt, boomt das Handwerk und die Wirtschaft im Binnenbereich." Früher wurde in Deutschland mehr gemietet und Geld eher auf das Sparkonto gelegt, beides wird aber wegen der niedrigen Zinsen in ganz Europa immer unattraktiver.

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JUBEL IN DER BAUBRANCHE



Um der größeren Nachfrage gerecht zu werden, will die öffentliche Hand den sozialen Wohnungsbau bis 2019 mit über vier Milliarden Euro fördern - doppelt so viel wie bisher geplant. Zudem will die Bundesregierung den Neubau von Mietwohnungen in Städten mit besonders angespannter Wohnsituation in den nächsten drei Jahren mit Steuervergünstigungen ankurbeln.

"Die Stimmung in der Baubranche ist hervorragend", sagt entsprechend Karl-Heinz Schneider, Präsident der Bundesvereinigung Bauwirtschaft. Die Rahmenbedingungen stimmten: "Der Arbeitsmarkt ist stabil, die Einkommen steigen und die Finanzierungskosten sind dank der Rekord-Niedrigzinsen so gering wie seit Jahrzehnten nicht mehr." Wegen des allgemeinen Immobilienbooms und der zusätzlichen Investitionen in die Unterbringung von Flüchtlingen rechnet der Verband für nächstes Jahr mit einem Umsatzplus von 2,5 Prozent auf 235 Milliarden Euro - es wäre der höchste Stand seit 2000.

Die steigende Zahl an Flüchtlingen erhöhe die Nachfrage nach günstigem Wohnraum, erklärt Schneider. "Das bedeutet, dass jährlich bis zu 400.000 neue Wohnungen gebraucht werden. In diesem Jahr sind aber nur schätzungsweise knapp 300.000 genehmigt worden. Es fehlen also rund 100.000 Wohnungen."

Auch Tobias Just, Immobilien-Ökonom von der Universität Regensburg, warnt vor einer Verschärfung der Wohnungsknappheit in Großstädten durch Flüchtlinge. Die steigende Zahl an Wohnungsbaugenehmigungen sei zwar eine positive Entwicklung. "Aber wir liegen damit natürlich immer noch deutlich unter dem Niveau in den 1990er-Jahren nach der Wiedervereinigung, mit bis zu 600.000 Wohnungen."

Verbandspräsident Schneider sagt, die von der Bundesregierung geplante Steuerabschreibung (Afa) für neue Wohnungen in Gebieten mit angespannter Mietsituation für die Jahre 2016 bis 2018 sei ein Schritt in die richtige Richtung. Es sei aber noch mehr möglich. "Baugenehmigungen sind immer noch zu langwierig in Deutschland." Die Länder sollten die Grunderwerbsteuer senken oder aussetzen. Zudem müssten Kommunen mehr Bauland zu günstigeren Preisen bereitstellen.

Vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München werden besonders viele Wohnungen gebraucht. Weil die Nachfrage das Angebot aber weiterhin übersteigen dürfte, warnen manche Experten bereits vor einer Überhitzung des Marktes. Derzeit gebe es zwar noch keine Preisblase, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Es sei allerdings mit weiteren Preissteigerungen zu rechnen. Die Folge: "Das Risiko ist real, dass das in ein paar Jahren zu einer Blase führt."

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FLÜCHTLINGE KÖNNTEN GLEICH MITARBEITEN



Nutznießer der anziehenden Nachfrage sind kleine und große Firmen. Generell seien steigende Investitionen für Infrastrukturprojekte, aber auch für die Unterbringung von Flüchtlingen ein positives Zeichen für die Branche, sagt ein Hochtief -Sprecher. Auch eine Baufirma wie Hochtief könne von einem verstärkten Wachstum im Wohnungsbau profitieren. Der Schwerpunkt des Konzerns liegt allerdings bei öffentlichen Großprojekten wie etwa der Sanierung von Autobahnbrücken.

Ähnlich wie beim Familienunternehmer Bauer sieht es bei Max Bögl in Bayern aus. Die Firma bietet ebenfalls modulare Bauten zur Unterbringung von Flüchtlingen an, hat 6000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro. "Wir registrieren seit Oktober dieses Jahres eine rasant steigende Nachfrage und gehen davon aus, dass dieser Trend auch im kommenden Jahr anhält", so ein Sprecher.

Jörg Bauer von Bauer Holzsysteme will aber nicht nur Flüchtlingsunterkünfte anbieten: "Wir suchen dringend weitere Mitarbeiter und lernen auch Asylbegehrende an. Wir haben schon in den 1990er-Jahren Asylbegehrende aus den Balkan-Ländern eingestellt. Sie gehören heute zu unseren besten Mitarbeitern."

Reuters