von Robert Halver

Jeder leidet mit den Angehörigen der Opfer des Brüsseler Terroranschlags vom 22. März und ist unendlich traurig. Es ist schockierend, dass solche Anschläge ausgerechnet in Brüssel als eigentlicher Hauptstadt Europas stattfinden. Als wichtigster Standort der EU, als maßgeblicher EU-Parlamentssitz und auch als Sitz der Nato müsste man annehmen, dass Brüssel die sicherste Stadt Europas ist und erst recht der Flughafen aufgrund eines regen politischen Geschäftsverkehrs über jeden Sicherheitszweifel erhaben sein müsste.

Auch diese Tatsache führt den Bürgern Europas deutlich vor Augen, dass Terrorismus nicht mehr nur irgendwo in der Welt, sondern mittlerweile auch direkt vor unserer als gemeinhin sicher geltenden Haustür stattfindet. Terror gehört mittlerweile zur Realität unseres Lebens. Leider kann man kaum einschätzen, wo, wann und in welcher Dimension er auftritt. Man weiß nur, dass eine diffuse Terrorgefahr grundsätzlich überall besteht. Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen Terroranschläge auf die Wirtschaft bzw. auch auf die Finanzwirtschaft haben.

Natürlich geht es dem IS um die größtmögliche Verunsicherung der Bevölkerung, am liebsten um den gesamten Zusammenbruch unseres westlichen Wirtschafts- und Finanzsystems. Und mit der Auswahl Brüssels als Terrorziel wollten die Attentäter ein klares politisches Zeichen setzen: Die Stadt ist das Symbol der europäischen Lebensweise und damit ein Dorn im Auge des Islamischen Staates. Dem IS muss man sogar unterstellen, mit dem Terrorakt auch den Zusammenhalt in der EU in dem Sinne gefährden zu wollen, dass Großbritannien dieser unsicheren und gefährlichen EU gemäß Brexit nicht mehr angehören will.

Die Finanzmärkte haben zwar nach Bekanntwerden der Anschläge zunächst reflexartig mit Kursverlusten an den europäischen Aktienmärkten und Kursgewinnen bei den als sicher geltenden Staatspapieren und beim Gold reagiert. Doch im Vergleich zu früheren Terroranschlägen wie 2001 in New York, 2004 in Madrid und 2005 in London waren die Kursverluste bei Aktien begrenzt, ja der DAX und andere europäische Leitindices haben den 22. März sogar mit leichten Kursgewinnen abgeschlossen und sind anschließend noch weiter gestiegen.

Offenbar hat man an den Börsen die Eventualgefahr Terror mittlerweile immer auf dem Radarschirm. Man könnte nun zunächst meinen, Börsen seien zynisch, pietätslos oder herzlos, da sie keine Gefühlsregung zeigen. Doch muss man ihre Reaktionen positiv beurteilen. Es ist richtig, dass der Deutsche Leitindex sich von Terroranschlägen nicht beeindrucken lässt: Auch Aktienmärkte dürfen dem Terror keinen Quadratmillimeter Boden überlassen. Der Widerstand des DAX ist moralisch völlig in Ordnung. Auch ist davon auszugehen, dass Reiseanbieter und Fluglinien nach einer ersten Schockphase wieder zu einem Normalzustand zurückfinden.

Es wäre doch fatal, wenn Konsumenten im großen Stil auf Abstand zu Flügen und Reisen gingen oder - noch gravierender - aus Angst vor Terroranschlägen weniger am öffentlichen Wirtschaftsleben teilnähmen und sich ein Stück weit in die persönliche Isolation zurückzöge. Hat erst einmal die Terrorangst das Kopfkino in Beschlag genommen und gibt die Ausgabenfreude der EU-Bürger wie nach dem Terroranschlag von New York deutlich nach, sind rezessive Wirtschaftstendenzen in Europa nicht zu vermeiden. Und dann hätte der Terrorismus sein Ziel erreicht und fühlte sich ermutigt, diese psychologische Wirtschaftswunde noch weiter zu vergrößern. Aus heutiger Sicht ist damit aufgrund eines ebenso vorhandenen Gewöhnungseffektes der Bürger in puncto Terror jedoch nicht zu rechnen.

Das heißt aber auf keinen Fall, dass die Politik jetzt einfach zurück zum Tagesgeschäft gehen darf. Niemand kann ausschließen, dass der Terrorismus quantitativ und qualitativ noch viel schlimmere Dimensionen annimmt. Dann wären auch nachhaltige finanz- und realwirtschaftliche Schäden unvermeidbar. Als Bringschuld muss sich das politische Europa dieser Gefahr daher klar und eindeutig stellen. Es kann nicht sein, dass die Terrorbekämpfung in Belgien - aufgrund einer de facto politisch prekären Zweiteilung des Landes in Flandern und Wallonien - an einer unbefriedigenden, sogar stümperhaften Zusammenarbeit der Behörden scheitert und damit auch Europa-weit streut. Und es kann auch nicht sein, dass der Austausch von Daten von Terrorverdächtigen nur unzureichend - wenn überhaupt - über nationale Grenzen hinweg funktioniert. Das Europäische Gemeinschaftswerk erlangt seine Berechtigung auch dadurch, dass es gemeinschaftlich die Terrorkultur zerstört und die westliche Freiheit verteidigt. Und es ist auch nicht akzeptabel, dass Polizisten ausrüstungstechnisch mit "Wasserpistolen" gegen modernste Waffen der Terroristen ankämpfen müssen.

Natürlich kann die Politik die Terrorgefahr nicht gänzlich eindämmen, aber sie muss sie zumindest deutlich verringern. Wird die Politik dieser Aufgabe nicht gerecht, wird sie auch nicht das natürliche Sicherheitsbedürfnis von Menschen befriedigen können. Aber ohne ein ordentliches Sicherheitsgefühl gibt es auch kein befreites Wohlgefühl und damit auch keine positive Konsumstimmung und Ausgabenneigung. Und gegen eine sich psychologisch hartnäckig haltende Terrorangst, die das Gemüt und die Seele der Verbraucher trifft und später die Real- und Finanzwirtschaft schädigt, kann dann auch die üppigste Liquiditätspolitik der EZB und selbst Helikopter-Geld - also Gratis-Geld - nicht mehr wirklich helfen.

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Frühlingsgefühle machen sich in Real- und Finanzwirtschaft breit



Die bisherigen Verunsicherungselemente - vor allem Sorgen um ein hard landing von Chinas Wirtschaft und die Rohstoffbaisse als Kaufkraft-Handicap für die Ölländer - haben an Bedeutung verloren. Vor diesem Hintergrund blickt das deutsche Verarbeitende Gewerbe gemäß ifo Geschäftsklimaindex nach drei fallenden Monaten erstmals wieder etwas positiver in die Zukunft. Insbesondere die ifo Geschäftserwartungen zeigen sich mit einem Anstieg auf 100 nach zuvor 98,9 freundlicher. Und auch die ZEW Konjunkturerwartungen haben ihren Abwärtstrend der letzten Monate beendet.

Grafik 1: ZEW Konjunktur- und ifo Geschäftserwartungen



Zuversichtlich stimmt, dass sich im März neben dem grundsätzlich stabilen Handel auch die industrielle Stimmung der deutschen Wirtschaft gefangen hat. Es ist zu vermuten, dass die Inflation an Krisen - China, Schwellenländer, Rohstoffbaisse, Flüchtlingskrise - übertriebene Ängste vor einer Wirtschaftsabkühlung geweckt hat.

Grafik 2: ifo Geschäftsklimaindex im Handel, Verarbeitenden Gewerbe und Bau



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Chinas Aktienentspannung tut deutschen Aktien gut



Die chinesische Regierung hat weitere Strukturreformen und Steuersenkungen zur Stärkung der Binnenkonjunktur angekündigt. Und Chinas "National Team" - das zur Aktien-Stabilisierung auserkorene Konsortium staatsnaher Investmentfonds und Wertpapier-Broker - hat den chinesischen Aktienmarkt erfolgreich stabilisiert. Das sendet Entspannungssignale an ausländische Investoren, die in Ermangelung aussagekräftiger, weil staatlich geschönter Konjunkturdaten auf Chinas Aktienmarkt als Näherungslösung eines Konjunkturbarometers angewiesen sind. Chinas Aktieneffekt strahlt nicht zuletzt auf deutsche Aktien aus.

Grafik 3: Shanghai Composite Aktienindex und Deutscher Aktienindex (DAX)



Gewinnverbesserung der Unternehmen in Sicht



Auch die kürzliche Aufwertung des Euro, die im Kopfkino der Anleger mit einer Schwächung der Außenhandelsposition deutscher Unternehmen gleichgesetzt wird, ist wieder rückläufig. Ohnehin ist sie in der Realität ein weniger großes Hindernis als von vielen Anlegern vermutet wird. Deutsche Unternehmen konnten in der Vergangenheit selbst bei weit höheren Euro-Notierungen stabile Umsatz- und Gewinnzahlen vorweisen.

Zwar ist das fundamentale Fleisch am Aktienknochen noch mager. Die wieder etwas positiveren ifo Geschäftserwartungen deuten jedoch darauf hin, dass sich der abrupte Gewinneinbruch seit Jahresbeginn 2016 nicht weiter fortsetzt. Eine Wiederholung der historischen Regelmäßigkeit, wonach auf sich weiter verbessernde Geschäftserwartungen auch die tatsächliche Gewinndynamik steigt, ist insofern zu erwarten.

Grafik 4: ifo Geschäftserwartungen und Gewinnentwicklung im DAX



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DAX hat gegenüber dem US-Aktienmarkt Nachholpotenzial



Seit Herbst 2015 zeigt sich die Gewinnentwicklung deutscher gegenüber US-Unternehmen vor allem von der schwächeren Konjunkturentwicklung der Schwellenländer gehandicapt, die Deutschland als Exportnation grundsätzlich stärker trifft. Insofern ist auch die schwächere Gewinnentwicklung gegenüber den USA zwar nachvollziehbar. Diese fällt jedoch nicht so deutlich aus, dass die sehr viel dramatischere Underperformance von deutschen gegenüber US-Aktien gerechtfertigt wäre. Diese Kursverluste sind eher der Anlegerpsychologie geschuldet. Sollte sich die weltkonjunkturelle Beruhigung verstetigen, besitzen deutsche Aktien Nachholpotenzial gegenüber US-Titel. Damit stünde einer DAX-Notierung von 10.800 Punkten bis Jahresende nichts im Wege.

Grafik 5: Relative Gewinn- und Kursentwicklung deutscher zu US-Aktien



Welche Branchen profitieren am meisten?



Bei sich bessernder konjunktureller Stimmung profitieren vor allem die im Vergleich zum DAX deutlich konjunktur- und exportsensitiveren Aktientitel aus dem Mittelstandsindex MDAX. Sie erwirtschaften durchschnittlich 75 Prozent ihrer Umsätze - beim DAX sind es 50 Prozent - außerhalb Deutschlands. Damit ist der MDAX der eigentliche Stimmungs-Seismograph der deutschen Industrie. Und tatsächlich sind die ifo Geschäftserwartungen ein entscheidender Taktgeber für die Entwicklung des MDAX gegenüber dem DAX, so dass dieser gegenüber dem DAX auch weiterhin im Trend outperformen kann. Favoriten sind Titel der Autozuliefer-, Elektro-, Chemie- und Maschinenbauindustrie, die über weltkonjunkturelle Aktivitäten verfügen.

Grafik 6: ifo Geschäftserwartungen und relative Wertenwicklung des MDAX zu DAX



Auf Seite 5: Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Bereit zu mehr Risiko





Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Bereit zu mehr Risiko



Insgesamt präsentieren sich die Aussichten für deutsche Aktien wieder freundlicher, zumal sie sich durch die Dividendensaison zusätzlich aufhellen. Diese Einschätzung unterstreicht der Vergleich des bekannten DAX Performance-Index mit dem reinen DAX Kurs-Index, der sich ohne Dividenden berechnet. Während der jahresdurchschnittliche Kursgewinn beim DAX seit 1988 5,89 Prozent beträgt, kommen über die Dividende noch einmal durchschnittlich 2,63 Prozent pro Jahr hinzu. Diese Zusatzrendite lässt sich bei keinem ordentlichen Zinspapier erzielen.

Grafik 7: DAX Kurs- und Performance-Index



Das trotzdem noch immer oft zu hörende Argument, wonach Aktien absolut zu teuer seien, relativiert sich im Vergleich zur Konkurrenzanlageklasse der Staatsanleihen. Ein Vergleich der Entwicklung des Deutschen Aktienindex und der Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen zeigt deutlich die mangelnde Attraktivität des Zinsvermögens. Während Bundesanleihen noch bis 2008 hohe Alternativrenditen von über vier Prozent boten - die im Übrigen verhinderten, dass der DAX die Marke von 8.000 Punkten nachhaltig übersteigen konnte - müssen sich Anleger heutzutage mit Renditen von 0,1 Prozent begnügen.

Grafik 8: Deutscher Aktienmarkt (DAX) und Umlaufrendite deutscher Staatsanleihen



Grundsätzlich bleiben die Krisenfaktoren zwar theoretische Handicaps, die zu volatilen Aktienmärkten führen können. Übertriebenen Kursschwankungen, die früher bei deutlich weniger Krisensymptomen zu beobachten waren, wirkt die üppige Geldpolitik als Beruhigungsmittel aber offenbar kräftig entgegen. Die Volatilität bleibt im historischen Vergleich gering. Gemessen am aktuellen Volatilitätsniveau wäre gemäß VDAX-Volatilitätsindex für die nächsten 30 Tage mit einer Schwankungsbreite im DAX zwischen etwa 9.378 und 10.667 Punkten zu rechnen.

Grafik 9: Kursschwankungen am Deutschen Aktienmarkt gemäß VDAX-Volatilität und Deutscher Aktienmarkt (DAX)



Auf Seite 6: Charttechnik DAX - Kraft sammeln für den Weg nach oben





Charttechnik DAX - Kraft sammeln für den Weg nach oben



Charttechnisch wartet beim DAX auf der Oberseite zunächst die psychologisch wichtige Hürde bei 10.000 Punkten. Darüber liegen die nächsten Widerstände bei 10.095, 10.123, 10.398 und bei 10.485 Punkten. Bei einer Konsolidierung dagegen liegt die erste Unterstützung an der unteren Begrenzung des kurzfristigen Aufwärtstrendkanals bei 9.990. Darunter warten für den Fall einer größeren Korrektur Unterstützungen bei 9.780, 9.753, 9.620 und bei 9.332 Punkten.

Der Wochenausblick für die KW 13 - Kommen konjunkturelle Stabilisierungssignale zum Vorschein?



Der von der Bank of Japan veröffentlichte Tankan Index der japanischen Großindustrie deutet auf eine abnehmende Konjunkturdynamik hin. Die Stimmung in China präsentiert sich sowohl laut offiziellem als auch Caixin Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe zwar verhalten, setzt den Abwärtstrend zumindest aber nicht weiter fort.

In den USA zeigt sich die Stimmung im Verarbeitenden und Dienstleistungsgewerbe laut ISM Index und auch die Situation am US-Arbeitsmarkt gemäß Daten zum Stellenaufbau etwas stabiler. Nach wie vor schwächelnde Verbraucherausgaben und ein wenig dynamisches Konsumentenvertrauen der University of Michigan deuten jedoch nicht auf eine unzweifelhaft robust laufende US-Wirtschaft hin.

In der Eurozone deutet der von der EU-Kommission veröffentlichte Economic Sentiment Indikator auf eine stimmungsseitige Konjunkturstabilisierung hin. Gemäß Schätzungen zur Inflation im März hält sich der Deflationsdruck jedoch hartnäckig.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.