von Michael Gollits, Vorstand bei der von der Heydt & Co. AG

Die Berg-und-Tal-Fahrt der chinesischen Festlandsaktien hat auch deutschen Anlegern den Angstschweiß auf die Stirn getrieben, selbst wenn sie dort gar nicht investiert waren. Denn als der Index Shanghai Composite im Sommer in den Keller rauschte, kam kaum ein Börsenbericht ohne die Vorgaben aus China aus. Mittlerweile hat sich die Lage beruhigt, und die enormen Chancen, die das Reich der Mitte bietet, treten wieder in den Vordergrund.

Es kristallisiert sich heraus, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Volksrepublik zwar verlangsamt, aber nicht einbricht. Nach dem anstehenden Fünfjahresplan will Peking das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen am Wert des Jahres 2010 bis 2020 glatt verdoppeln. Dasselbe gilt für die verfügbaren Einkommen. Das bedeutet in den kommenden Jahren ein BIP-Plus von 6,5 Prozent per annum. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Wachstum heute auf einem viel höheren Niveau stattfindet als noch vor wenigen Jahren. Absolut betrachtet legt das BIP 2015 etwa so stark zu wie 2009, als die Wachstumsrate noch deutlich im zweistelligen Prozentbereich lag. Gleichzeitig handelt es sich um ein qualitativ besseres Wachstum. Während sich die Industrie und der Bau seit Jahren immer langsamer entwickeln, expandiert der Dienstleistungssektor zunehmend schneller - in diesem Jahr um immerhin mehr als acht Prozent. Schon heute stammen 86 Prozent des Wirtschaftswachstums aus dem Dienstleistungsbereich. Daran zeigt sich, dass der von Peking initiierte Umbau von einer investitions- und export- zu einer konsumbasierten Wirtschaft fortschreitet.

Schon seit Längerem kann China nicht nur schnell und billig. Die steigenden Löhne zwingen die Volksrepublik regelrecht, sich von der Werkbank der Welt zu einem modernen Industriestandort weiterzuentwickeln. Innovationen werden immer wichtiger, Nachahmerprodukte verlieren dagegen an Bedeutung. Im Bereich Telekommunikation gehören Firmen wie Huawei oder ZTE technologisch heute bereits zur Weltspitze. In deutschen Elektronikmärkten und Kaufhäusern ist immer häufiger auch Weiße Ware aus dem Reich der Mitte im Angebot. Unterhaltungselektronik wird schon länger zum großen Teil in der Volksrepublik gefertigt. Mit ihrem Modernisierungsfahrplan "Made in China 2025" will die Regierung insgesamt zehn weitere Bereiche - unter anderem die Luft- und Raumfahrt, Hochgeschwindigkeitszüge, Elektromobilität und Stromnetze - auf internationales Spitzenniveau bringen.

Für Aktienanleger sind insbesondere drei große Trends interessant, von denen chinesische Unternehmen in den kommenden Jahren profitieren werden. Erstens wird der Konsum spürbar steigen. Diese Entwicklung setzt sich fort. Bis 2023 werden rund 200 Millionen chinesische Haushalte über ein Vorsteuereinkommen von 120 000 Renminbi pro Jahr verfügen. Das ist dreimal so viel wie 2013. Damit steigt die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen, die über den täglichen Grundbedarf hinausgehen.

Der zweite große Trend ist die demografische Entwicklung. Obwohl Peking die Ein-Kind-Politik beendet hat, wird die Bevölkerung in den kommenden Jahren stark altern. Damit nimmt der Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen und altersspezifischen Produkten stark zu. Drittens sollen die Industrieproduktion und die Energieerzeugung umweltverträglicher werden. Der Wandel zu einer "grünen" Ökonomie spricht für Aktiengesellschaften aus den Bereichen Umwelt und erneuerbare Energien.

Viele chinesische Firmen aus den drei genannten Bereichen sind im Ausland allerdings kaum oder gar nicht bekannt. Informationen gibt es zudem häufig nur in der Landessprache. Schließlich ist für ausländische Privatanleger der Zugang zu den Börsen in Shanghai und Shenzhen weitgehend beschränkt. Das alles spricht für Fondslösungen, von denen in Deutschland mittlerweile einige angeboten werden. Wenn es eine Berechtigung für eine aktive Aktienselektion gibt, dann in China.

Im Profil



Gollits verantwortet gemeinsam mit Ernst-Ludwig Drayß die Vermögensverwaltung Heydt & Co. in Frankfurt. Er begann seine Karriere bei F & C Management in London. 1996 wechselte er zur Bethmann Bank und war dort unter anderem für die hauseigenen Fonds verantwortlich. Von 2005 bis 2013 gestaltete er den Aufbau einer Privatbank in München und war Geschäftsführer einer Hamburger Vermögensverwaltung.