Seit rund dreieinhalb Jahren gilt in Deutschland und der -gesamten Europäischen Union eine geänderte Prospektverordnung, die de facto den Zugang von Privatanlegern zum Anleihemarkt behindert. War es zuvor seit 2003 möglich, Anleihen ab einer Mindeststückelung von 50 000 Euro ohne Wertpapierprospekt zu begeben, wurde diese Grenze im Jahr 2012 auf 100 000 Euro angehoben. Als Begründung führte der Gesetzgeber an, dass bei dieser großen Stückelung in der Regel institutionelle Investoren die Anleihen zeichnen und handeln. Diese seien auf die besondere Transparenz und Haftung nicht angewiesen, die ein Wertpapierprospekt bietet.

Jetzt steht das Thema erneut auf der Agenda der EU-Kommission. Denn wie so oft im Zuge von Regulierung wurden auch bei der geänderten Prospektpflicht die wirtschaftlichen Fernwirkungen unterschätzt. Die Emittenten, die unter hohem Haftungs- und Kostendruck stehen, sind nämlich dem Anreiz gefolgt, ihre Anleihen nur noch mit großen Stückelungen und damit prospektfrei auf den Markt zu bringen. Die Konsequenzen sind offensichtlich: Seit Inkrafttreten der entsprechenden EU-Richtlinie vor fünf Jahren hat sich beispielsweise die Zahl neu emittierter Unternehmensanleihen in der Eurozone mit Stückelungen oberhalb von 100 000 Euro vervierfacht, während zwei Drittel weniger Bonds mit kleinerer Stückelung begeben wurden.

Die löblichen Absichten der EU haben sich also ins Gegenteil verkehrt: Statt Privatanleger besser zu schützen, bewirkt das geänderte Prospektrecht deren faktischen Ausschluss von vielen Emissionen. Denn eine Mindestanlagesumme von 100 000 Euro ist für sie in der Regel nicht darstellbar - schon gar nicht mit Blick auf eine angemessene Streuung im Depot. Erschwerten Zugang haben Privatanleger insbesondere zu Anleihen aus dem eher -risikoarmen Investment Grade: Deren Emittenten machen rege von der Möglichkeit Gebrauch, durch eine hohe Stückelung der Prospektpflicht zu entgehen - Probleme mit der Platzierung ihrer Anleihen am Markt haben sie meist dennoch nicht.

Damit zwingt die geltende Rechtslage Privatanleger förmlich dazu, auf risikoreichere Papiere auszuweichen: Diese werden häufiger mit kleineren Stückelungen emittiert. Wer die dort gegebenen Risiken nicht in Kauf nehmen und sein Depot in gewohnter Weise mit Anleihen guter Bonität diversifizieren möchte, ist auf kostenintensivere, abgeleitete Finanzprodukte ange-wiesen. Im herrschenden Niedrigzinsumfeld fallen die höheren Kosten dieser Produkte für Privatanleger aber umso stärker ins Gewicht. Auch dem hochregulierten und öffentlich sichtbaren Teil des Anleihemarktes, dem Börsenhandel, hat die erhöhte Schwelle für die Prospektpflicht einen Bärendienst erwiesen. Transparenz und Liquidität des Handels im börslichen Sekundärmarkt sind gesunken - es gibt weniger Preisermittlungen, die zeitlich weiter auseinander liegen. Diese Entwicklung kann nicht im Sinne privater Anleger sein, die Anleihen an der Börse handeln möchten.

Nun hat die EU-Kommission die richtigen Schlüsse gezogen und schlägt vor, Ausnahmen von der Prospektpflicht abzuschaffen. Das stärkt grundsätzlich den Schutz privater Anleger, denn ihnen kommen die Informationen in den Wertpapierprospekten zugute. Vor allem aber gäbe es für die Anleiheemittenten keinen Anreiz mehr, eine große Mindeststückelung zu wählen. Kleinere Stückelungen dürften wiederum zu höherer Transparenz durch mehr zeitnahe Preisermittlungen an den Börsen führen. Privatanleger wird es in jedem Fall freuen, überhaupt wieder direkten Zugang zu Anleihen besserer Güte zu erlangen. Auch die Anleihemärkte insgesamt können an dringend benötigter Liquidität gewinnen, wenn wieder ein breiterer Investorenkreis am Handel teilnimmt. Deshalb ist zu hoffen, dass sich die europäischen Institutionen bei der Reform des Prospektrechts für die Belange privater Anleger und einen funktionsfähigeren Markt entscheiden.

Christoph Boschan von dem Bussche



Der promovierte Jurist ist seit Oktober 2012 Geschäftsführer der Börse Stuttgart und verantwortet das Ressort Börsenbetrieb. Zugleich ist er Vorstandsmitglied der Euwax AG. Bereits seit April 2010 war er als Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse in Stuttgart tätig. Zuvor arbeitete er bei verschiedenen Finanzdienst-leistern und Börsen, unter anderem als Wertpapierhändler.