Hintergrund des Briefes an den Bundeswirtschaftsminister ist die Sorge um einen fundamentalen Baufehler im deutschen Wirtschaftsmodell. Bei genauem Hinsehen auf die relevanten Daten zeigt sich, dass es um das ökonomische Wohlergehen der Deutschen keineswegs so gut bestellt ist, wie die Politik den Bürgern seit Jahrzehnten glauben machen will. Unsere Regierungen verweisen gern auf die großen Exporterfolge deutscher Unternehmen. Viele Wirtschaftsminister haben sich in der Vergangenheit im Glanz des Wortes "Exportweltmeister" gesonnt. Auch auf den Titel eines Sparweltmeisters blickt man mit Genugtuung, zumal dem Sparen in Deutschland etwas gefühlt Tugendhaftes anhaftet.

Es lohnt sich jedoch, einmal einen Blick in die Vermögensstatistik zu werfen, in der der private Wohlstand der Bevölkerung verzeichnet ist. Sodann gelangt man zu Erkenntnissen, die so gar nicht zu dem obigen Befund passen wollen. Nimmt man etwa den Allianz Global Wealth Report 2017 zu Hand, so zeigt sich, dass es um den privaten Wohlstand der Bundesbürger keineswegs so gut bestellt ist wie es Export- und Sparweltmeisterschaft erwarten lassen. Während beim Durchschnittsgeldvermögen im weltweiten Vergleich noch der 18. Platz eingenommen wird, tauchen die Deutschen in der Medianbetrachtung, die ja die Vermögenssituation in der Breite des Volkes viel besser charakterisiert, unter den Top-20-Nationen gar nicht auf. Prominent platziert sind in der Geldvermögensstatistik die Benelux-Länder, aber auch Italien und Frankreich. Zugleich ist festzustellen, dass die Schweiz als Spitzenreiter beim Geldvermögensmedian und Zweitplatzierter hinter den USA beim durchschnittlichen Geldvermögen in ganz anderen und für Deutsche unerreichbaren Sphären unterwegs ist. Ähnlich der Schweiz fällt beim Drittplatzierten Japan auf, dass Durchschnitts- und Mediangeldvermögen zur gleichen Platzierung führen, während die Geldvermögenskonzentration in den USA einen Spitzendurchschnitt aber nur mittelmäßige Medianwerte erbringt.

Nun sollte man sich erinnern, dass vor Jahren bereits die Europäische Zentralbank und auch die Deutsche Bundesbank in eigenen Vermögensanalysen ganz ähnliche Resultate bezüglich der Vermögenssituation der Länder Europas vorgelegt hatten. Selbst der Deutsche Gewerkschaftsbund hat das Thema aufgegriffen und kam zu dem gleichen ernüchternden Resultat. Erschwerend kommt noch hinzu, dass in Deutschland der Immobilienbesitz vergleichsweise gering ausfällt. Das konsistent schwache Abschneiden Deutschlands in der Vermögensstatistik ist jedoch vor allem auf die fehlende Teilhabe großer Bevölkerungsgruppen an der Entwicklung des Produktivvermögens zurückzuführen. Zinsbesessenheit, hohe Abgabenlast nebst Aktienaversion und Mietpräferenz der meisten Deutschen findet also in den Vermögensstatistiken ihren desillusionierenden Niederschlag.

Eigentlich wäre es an der Zeit, die Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland daraufhin zu untersuchen, ob die dort bislang verfolgten Ziele samt den daraus abgeleiteten Maßnahmen klug sind. Sollte sich dabei herausstellen, dass es vernünftiger wäre, den privaten Wohlstand der Bevölkerung als Staatsziel stärker zu priorisieren, so müsste die seit 50 Jahren betriebene Wirtschaftspolitik neu ausgerichtet werden. Jetzt, wo eine neue Regierung im Amt ist, wäre der richtige Zeitpunkt für eine solche Bestandsaufnahme. Immerhin sitzt der neue Bundeswirtschaftsminister auf dem Stuhl Ludwig Erhards, dessen Vision und Buch "Wohlstand für Alle" offenbar nur zu verwirklichen ist, wenn es endlich gelänge, die breite Bevölkerung an der Wertschaffung des Produktivvermögens zu beteiligen. Dazu müsste allerdings eine Politik betrieben werden, die das geeignete Instrument für den langfristigen Vermögensaufbau, die wohlgestreute Aktienanlage, fördert. Andernfalls wird Deutschland in den Vermögensranglisten weiter nach unten durchgereicht.