Seit Monaten beherrscht der US-Präsidentschaftswahlkampf die internationalen Medien. Die anstehenden Wahlen zum 45. Präsidenten genießen auch deshalb eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit, weil mit dem Republikaner Donald Trump ein Kandidat zur Debatte steht, der polarisiert wie selten eine Personalie zuvor. Und selbst wenn politische Börsen angeblich kurze Beine haben, beschäftigen sich die Marktteilnehmer mit einem möglichen Trump-Sieg - und seinen Auswirkungen auf den Kapitalmarkt.

Nach den jüngsten Umfragen ist das Szenario eines Siegs des republikanischen Kandidaten durchaus im Bereich des Möglichen. Und es wäre erklärbar. Die Beliebtheit Trumps ist in hohem Maße ein Indikator für die große Unzufriedenheit vieler Amerikaner. Diese profitierten nicht in Form deutlicher Lohnsteigerungen, obwohl die US-Wirtschaft immer noch expandiert, der Arbeitsmarkt sich weiter erholt und die Arbeitslosenquote unter fünf Prozent gefallen ist. Die Inflation eingerechnet, fielen die Lohnsteigerungen sogar kaum spürbar aus. Dieser Sachverhalt hat, zusammen mit der gestiegenen Ungleichverteilung der Haushaltseinkommen in den letzten Jahrzehnten, sicherlich dazu beigetragen, dass die wirtschaftliche Erholung in vielen Haushalten seit Jahren nicht angekommen ist. Das ist einer der Hauptgründe für die Unzufriedenheit der US-Bürger - und ein fruchtbarer Boden für den Erfolg von Anti-Establishment-Kandidaten wie Trump.

Was die Börsianer an einem solchen Erfolg unter anderem verunsichern dürfte, ist die Frage, wie Trump mit der Wirtschaftspolitik in Bezug auf den Freihandel und das Verhältnis zu China umgehen würde. Diese Unsicherheiten könnten sich im Fall eines Trump-Siegs - zumindest kurzfristig - in Form einer erhöhten Volatilität an den Finanzmärkten niederschlagen.

Vor allzu großen und lang anhaltenden Kursschwankungen sollten sich Marktteilnehmer jedoch nicht fürchten. Zwar ist es in der Tat wahrscheinlich, dass im Fall eines Trump-Siegs auch der Kongress unter republikanischer Führung verbleibt. Allerdings kann sich gerade der Kongress noch als regulierende Instanz erweisen. Es ist längst keine ausgemachte Sache, dass ein republikanisch geführter Kongress mit vielen langjährigen Mitgliedern aus dieser Partei die Anti-Establishment-Politik eines Präsidenten Trump unterstützen würde - die bitteren innerparteilichen Auseinandersetzungen in den Vorwahlen haben deutlich gemacht, wie unterschiedlich die Auffassungen sogar innerhalb der Parteien sein können.

Die Schwächen des US-amerikanischen politischen Systems sind zugleich seine Stärken: nämlich die Gewaltenteilung. In der Folge kann kein einzelner Politiker, keine einzelne Partei uneingeschränkte Macht haben. In der Vergangenheit hat sich der Kongress schon oft als sinnvolles Korrektiv zwischen den Ambitionen des Präsidenten und der Wirtschaft erwiesen. Die Beispiele, bei denen der Kongress ein Gesetz abgeschwächt hat, sind zahlreich und betreffen Gesetze jeglicher Art - von Steuern über Finanzregulierung bis hin zur Gesundheitsfürsorge. Was heißt das für den Finanzmarkt? Anleger sollten Marktprognosen, die vor allem auf Wahlkampfaussagen beruhen, nicht überbewerten. Das gilt im Besonderen für die Rhetorik eines Donald Trump.

Nicht zuletzt sollten sich Anleger vor Augen führen, dass die US-Ökonomie derzeit robust ist. Der aktuelle Wirtschaftszyklus in den USA ist der viertlängste der vergangenen 100 Jahre. Seit ihrem Beginn im Juli 2009 dauert die wirtschaftliche Expansion bereits 86 Monate an (per Ende August 2016), und es zeichnet sich ab, dass dieser Zyklus in die Verlängerung geht. Zwar könnten die jüngsten Daten aus dem Fertigungssektor als erste Vorboten der nächsten Rezession interpretiert werden, ein unmittelbares Ende der positiven Entwicklung ist dennoch nicht in Sicht.

Tilmann Galler ist globaler Kapitalmarktstratege für die deutschsprachigen Länder bei JP Morgan Asset Management und Teil des "Market Insights"-Teams, das für institutionelle und Retail-Kunden Informationen rund um die globalen Volkswirtschaften und Kapitalmärkte erstellt und Implikationen für die Investmentstrategien ableitet. Der Diplom-Ökonom (BWL) ist Certified EFFAS Financial Analyst (CEFA) und CFA Charterholder.