Die Anlässe für eine Unternehmensbewertung sind vielfältig: von der Aufnahme neuer oder dem Ausscheiden alter Gesellschafter, der Ermittlung der Steuerlast bei einer Erbschaft oder Schenkung über den Unternehmensverkauf oder die Gestaltung der internen Nachfolgeregelung bis hin zur Aufnahme von Finanzierungspartnern oder Abspaltungen - oder aber der Unternehmer selbst möchte wissen, wo er steht und welchen Wert er geschaffen hat.

Meist wird zur Ermittlung des Unternehmenswerts auf die traditionellen ­finanzmathematischen Verfahren zurückgegriffen. Im Lauf der Jahre hat sich besonders die Bewertung mittels sogenannter Barwertverfahren durchgesetzt. Diese weitverbreiteten Methoden weisen einige Stellschrauben auf, deren Justierung den Wert jedoch in nahezu jede Größenordnung treiben kann.

So werden erwartete zukünftige Zahlungsströme auf den Gegenwartszeitpunkt hin negativ verzinst, was vereinfachend der Logik folgt, dass die zukünftigen Erträge durch die bis dahin aufgelaufene Inflation gemindert werden. Die Abzinsung erfolgt über sogenannte Kapitalkosten. Dieses in der Theorie vergleichsweise einfache Verfahren birgt in der Praxis jedoch erhebliche Probleme.

Gängiges Modell passt für 99 Prozent
der Unternehmen nicht

Denn für die Berechnung der Kapitalkosten werden beispielsweise sogenannte Eigenkapitalkosten herangezogen. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um tatsächlich existierende Kosten, sondern um die vom Eigentümer hypothetisch mindestens geforderte Rendite. Selbstredend sind diese theoretischen Kosten von Unternehmen zu Unternehmen völlig unterschiedlich. Daher behilft man sich mit einer weiteren, durchaus kritisch zu hinterfragenden Konstruktion: Die Eigenkapitalkosten sollen sich aus einem Basiszins - einer sicher zu erzielenden Rendite, beispielsweise in Form von sicheren Staatsanleihen - und einem Risikozuschlag zusammensetzen.

Genau hier liegt eine große Schwäche der Barwert-Bewertungsverfahren: Allein der Basiszinssatz kann nur auf kurze Frist prognostiziert werden, die Verfahren zinsen aber über mehrere Jahre hinweg ab. Wer hätte beispielsweise gedacht, dass Anleger irgendwann bereit sein würden, negative Zinsen für deutsche Staatsanleihen zu zahlen? Bereits durch die Wahl des "richtigen" Basiszinssatzes wird also einer potenziellen Manipulation des Bewertungsergebnisses Tür und Tor geöffnet.

Ähnlich kritisch verhält es sich mit dem Risikozuschlag, der auf der Annahme fußt, dass Investoren durchaus bereit sind, Risiken zu übernehmen, solange sie hierfür entsprechend höhere Renditen erhalten. Das gängige Modell berechnet diesen Zuschlag durch die Gewichtung der erwarteten sogenannten Marktrendite (die durchschnittliche Verzinsung am Aktienmarkt) mit einem spezifischen Risikofaktor, dem Beta. Dieser beschreibt, inwieweit die Rendite eines Unternehmens mit der Rendite auf dem Aktienmarkt mitschwankt.

Das individuelle Unternehmensrisiko eines mittelständischen Unternehmens findet in diesem Modell aber keinerlei Berücksichtigung. Denn die Risikofaktoren können zuverlässig nur für börsennotierte Aktiengesellschaften berechnet werden. Das heißt: Für 99 Prozent aller deutschen Unternehmen greift das Modell nicht. Auch die Suche nach sogenannten Vergleichswerten börsennotierter Unternehmen, die in ähnlichen Segmenten aktiv sind, hilft hier nicht. Denn in der Praxis ist es völlig unrealistisch, dass zwei ähnliche Unternehmen eine komplett identische Risikostruktur haben.

Der Unternehmenswert in den gän­gigen Verfahren fußt folglich auf einer reinen Risikobetrachtung, für die auch noch mehrere unrealistische Annahmen getroffen werden müssen. Wachstumschancen, die Unternehmensgröße, das zukünftige Risiko sowie die Ertragskraft bleiben außen vor. Zur Klarstellung: Finanzmathematische Bewertungsverfahren sind nicht zu kompliziert, auf sie sollte auch nicht verzichtet werden, nur weil sie aufwendig sind. Aber wir brauchen dringend Verfahren, die deutlich stärker in der Realität verankert sind und den tatsächlichen Marktwert in den Vordergrund rücken.

Hier hat sich in den letzten Jahren das vereinfachte Multiplikatorverfahren durchgesetzt. Es fußt im Wesentlichen ebenfalls auf den Barwertverfahren, wird aber durch tatsächlich in der Vergangenheit am Markt erzielte Multiplikatoren zumindest korrigiert. Letztlich krankt es aber ebenso an den historischen unternehmensunspezifischen Daten, die herangezogen werden. Wieso sollte für ein Unternehmen heute ein Faktor 8 zur Anwendung kommen, nur weil dieser gestern für ein anderes aus der Branche gezahlt worden ist? Firmenspezifische Besonderheiten bleiben auch hier unberücksichtigt. Es wird grob über einen Kamm geschoren.

Im Prinzip ein kleiner
Börsengang ohne Publizität

Der Hauptkritikpunkt an den klassischen Verfahren ist jedoch deren Realitätsferne. Die tatsächliche Nachfrage bleibt völlig unberücksichtigt: Existieren im Markt überhaupt Käufer für das Unternehmen? Und falls ja, welche Werte werden aufgerufen? Wird der berechnete Wert am Markt bestätigt? Denn welche Funktion hat ein theoretischer Wert, wenn er nicht am Markt bestätigt wird? Je mehr Interessenten, desto höher in der Regel auch der Wert.

Die aktive Vermarktung eines Unternehmens kollidierte bislang allerdings mit dem verständlichen Wunsch der Unternehmer nach Diskretion. In der Folge verbreiten sich neue Verfahren am Markt. Im Rahmen der anonymen Marktwertermittlung etwa wird das ­Unternehmen so am Markt angeboten, dass seine Identität nicht bekannt wird. Der Unternehmer erfährt, wer wie viel für sein Unternehmen aufruft. Die so eingeholten Werte spiegeln die jeweils aktuelle tatsächliche Nachfrage nach den Geschäftsanteilen. Plakativ und vereinfachend ausgedrückt, ist das ein kleiner Börsengang ohne Publizität. Ob bzw. für welche Interessenten der Unternehmer die Identität offenlegen möchte, entscheidet er dann selbst.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass finanzmathematische Bewertungsverfahren als realitätsfern einzustufen sind. Gleichwohl brauchen wir sie als formelle Grundlage in einer Vielzahl von Fällen (z. B. Erbschaft), wo sie auch weiterhin ihre Existenzberechtigung haben werden. Im Fall der Übertragung von Geschäftsanteilen, spätestens jedoch beim Verkauf von mittelständischen Unternehmen haben sie aber weitestgehend ausgedient und werden durch neue und realitätsnähere Verfahren systematisch ersetzt.

zum Gastautor:

Thomas Sonntag, Geschäftsführer von
Sonntag Corporate Finance

Sonntag ist Gründer und Geschäftsführer von Sonntag Corporate Finance, einem der größten inhabergeführten und bankenunabhängigen M & A-Beratungshäuser im Small-Cap-Bereich. Er berät im bonitätsstarken deutschen Mittelstand seine Mandanten exklusiv beim Verkauf von Unternehmen im Rahmen von Unternehmensnachfolgen.