Wer die Zeitungsberichte in den vergangenen Tagen über Jamaika- oder Ampelkoalitionen verfolgt, könnte von der plötzlichen politischen Experimentierlaune der Deutschen in höchstem Maße verwirrt worden sein. Ich kann sie aber beruhigen: Alles bleibt beim Alten. Das zeigt zumindest der Verlauf der Umfrageergebnisse, wenn man sie nach den möglichen Koalitionen kumuliert und die fertigen Charts dann gegenüberstellt. Ganz so, wie man es auch bei Aktien und anderen Wertpapieren bei der Chartanalyse macht.

Die Zustimmungswerte einer schwarz-gelb-grünen Koalition zeigen zwar seit Jahresbeginn aufwärts, aber ebenso die Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen seit 2015 abwärts. Wenngleich sich seit Jahresanfang ein Wechselbad der Gefühle ablesen lässt, ist die Große Koalition aus SPD und Union zumindest mehr oder minder seitwärts gelaufen - aufgrund der Flüchtlingskrise allerdings mit zwischenzeitlichen Durchhängern. Bei der Jamaika-Koalition könnte es am Ende sogar an der Mehrheitsfähigkeit scheitern. Fakt ist: Nur die Große Koalition erreichte in diesem Jahr einen zwischenzeitlichen Anstieg auf Mehrjahreshochs, während die anderen dahinter zurückblieben.

Was die einzelnen Parteien angeht, zeigt lediglich die FDP einen klaren Aufwärtstrend. Der Schulz-Effekt bei der SPD kann als klarer Fehlausbruch gewertet werden, während die AfD bei 8,5 Prozent am 50-Prozent-Retracement des Anteils angelangt ist, welcher der Partei während der Flüchtlingskrise in den Wahlumfragen zugeströmt war. Die CDU brach im Jahr 2015 die Unterstützung bei 40 Prozent, aus der jetzt ein Widerstand wird. Schlägt der Versuch fehl, den Widerstand zurückzuerobern, könnten die Zustimmungswerte für die Union wieder zurückgehen, ein "bärischer Abpraller" droht. Technisch betrachtet lässt sich in der Addition der Zustimmungswerte von CDU und FDP ein positiver Impuls von September 2016 bis Januar 2017 von damals zusammen 37 auf dann 47 Prozent feststellen, der seither bullish konsolidiert wird. Übersetzt aus dem Charttechnikerjargon bedeutet dies, dass wir es mit einer Entwicklung zu tun haben, aus der man eine Fortsetzung des Impulses ableiten könnte. Das Kursziel würde dann bei 55 Prozent liegen. Aber generell bei charttechnischen Analysen gilt: Informationen über die Wertentwicklung in der Vergangenheit sind nicht als verlässliche Hinweise auf die künftige Entwicklung zu verstehen.



Jochen Stanzl ist Chefmarktanalyst bei CMC Markets in Frankfurt am Main. Davor war er mehr als 15 Jahre als Finanzmarktanalyst tätig. CMC Markets Frankfurt ist eine Zweigniederlassung der CMC Markets UK Plc mit Sitz in London, einem der weltweit führenden Anbieter von Onlinetrading. Das Angebot von CMC Markets in Deutschland umfasst CFDs (Contracts for Difference) auf mehr als 10 000 verschiedene Werte.