Heutzutage kommen innovative Gadgets genauso wahrscheinlich aus Shenzhen, dem Silicon Valley Chinas, wie aus dem futuristischen Rundgebäude im kalifornischen Cupertino. Der Aufstieg der Schwellenländer hat jedoch auch seine Schattenseiten, denn Unternehmen jener Länder sind stärker mit Nachhaltigkeitsrisiken konfrontiert als ihre Pendants in Indus­trieländern. Negative Ereignisse können im Einzelfall drastische und langwierige Auswirkungen auf die Kursentwicklung eines Unternehmens haben. Damit spielt die Berücksichtigung von ESG-Faktoren zur Steuerung von Risiken bei Schwellenländer­anlagen eine besondere Rolle.

Schwellenländer beheimaten mittlerweile 85 Prozent der Weltbevölkerung und stemmen 59 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Der sprunghafte wirtschaftliche Aufstieg der Schwellenländer hat es Millionen von Menschen ermöglicht, der Armut zu entkommen. Doch für diese rasante Entwicklung musste oft ein hoher Preis gezahlt werden, wie Bewohner von Smog-­geplagten Megastädten wie Neu-Delhi oder Peking wissen. So ist es nicht verwunderlich, dass CO2-Vorschriften zu den ESG-­Risiken zählen, die Schwellenländerunternehmen besonders zu schaffen machen. Aber auch Datenschutzverstöße, Arbeitsplatz­unsicherheit, Korruption, Wasserknappheit und empfindliche Ökosysteme belasten diese Unternehmen mehr als die der Industrienationen.

Wird ein solches Unternehmen in eine Nachhaltigkeitskrise verwickelt, sind die Folgen oft weitreichend. Das ergibt eine Analyse von Goldman Sachs über ausgewählte asiatische Firmen, die von 2007 bis 2017 von Nachhaltigkeitsproblemen betroffen waren. Infolge eines schwerwiegenden Ereignisses rutschten die Aktienkurse dieser Unternehmen in den Keller und wurden auch danach noch lange mit einem Abschlag gehandelt. Gerechterweise muss man aber sagen, dass auch Unternehmen aus Industrie­ländern unter den Folgen von Umwelt- und Governance-­Skandalen wie Dieselgate oder der Deepwater-­Horizon-Ölkatastrophe zu leiden haben. Solche Ereignisse kommen jedoch in Industrieländern weit seltener vor.

Die Berücksichtigung von ESG-Kriterien bei Schwellenländer­anlagen kann sich also auszahlen, indem bewusst Unternehmen vermieden werden, die Nachhaltigkeitsrisiken nur ungenügend begegnen. Eine umfassende Metaanalyse aus dem Jahr 2015 von über 2000 wissenschaftlichen Publikationen über die Auswirkungen der Aufnahme von ESG-Faktoren in den Anlageprozess ergab, dass ESG das Risiko-Rendite-Profil von Anlagen verbessert - und dies insbesondere in den Schwellenländern. Unsere eigenen Nachforschungen zu dem Thema haben Ähnliches ergeben: Die Anwendung von ESG-Kriterien auf den MSCI Emerging Markets Index im Zeitraum 2010 bis 2018 hat gezeigt, dass ein ESG-konformes Portfolio ein Plus von 4,1 Prozent gegenüber nichtnachhaltigen Anlagen erwirtschaftet. Dazu kommt, dass die Volatilität um 2,4 Prozent geringer ausfiel. Somit haben Nachhaltigkeitskriterien maßgeblich zur Verbesserung des Risiko-­Rendite-Profils von Schwellenländeranlagen beigetragen.

Voraussetzung für die Vermeidung von ESG-Risiken ist ein aktiver Anlageansatz, der die Stärken und Schwächen der Anlageklasse besser nutzen kann als ein passiver Ansatz. Denn Schwellenländermärkte sind häufiger von Illiquidität in Stressphasen gekennzeichnet und öfter von menschlichen Verhaltensmustern getrieben als die Märkte entwickelter Länder. Außerdem sind sie volatiler und ihr Informationsgehalt ist geringer. Doch trotz ihres wirtschaftlichen Schwergewichts machen Schwellenländer nur 20 Prozent der globalen Marktkapitalisierung aus. Daher gibt es noch viel Spielraum zur Erhöhung des Anlegerengagements - vorausgesetzt, man hält sich an die Regeln des nachhaltigen und aktiven Anlegens.

Frank Häusler


Häusler verfügt über einen Abschluss der ETH Zürich in Mathematik. Er stieß im August 2018 zu Vontobel Asset Managements Multi Asset Boutique. Als OCIO ist er verantwortlich für die Investmentstrategie und stimmberechtigtes Mitglied des Vontobel-Anlageausschusses. Davor war er in verschiedenen Positionen für andere Investmenthäuser tätig und Portfoliomanager von preisgekrönten Liquid-Alternatives-Strategien.