Als Italien noch seine eigene Währung hatte, diente die Lira den Märkten in schwierigen Phasen als Anpassungsvariable. Aufgrund der durch ein Investitionsdefizit im Industriesektor bedingten Produktivitätsschwäche musste Italien häufig auf eine Abwertung der Lira zurückgreifen, um in Zeiten einer Konjunkturabschwächung wettbewerbsfähig zu bleiben - Anleger hatten so ein wiederkehrendes Währungsrisiko. Dieses Risiko verschwand im Jahr 2000. Durch die Einführung des Euro fiel die Möglichkeit weg, die Währung als Stellschraube zu nutzen, um eine im Kern ineffiziente Volkswirtschaft nach außen hin wettbewerbsfähig zu machen. Die wettbewerbsschwächsten Länder sahen sich folglich gezwungen, notwendige Produktivitätssteigerungen ohne Rückgriff auf das Instrument einer Währungsabwertung herbeizuführen. Die mangelnde Wirtschaftsleistung eines Landes spiegelte sich nicht länger in der Währung wider, sondern in erster Linie in den Renditen auf Staatsanleihen, die sich nach dem von den Märkten wahrgenommenen Risiko richteten. Aus dem Währungsrisiko wurde somit ein Länderrisiko.

Als es 2008 zur Finanzkrise und 2011/12 zur Krise in Europa kam, förderte der wirtschaftliche Zusammenbruch zutage, dass die meisten europäischen Länder zu diesem Zeitpunkt kaum Wettbewerbsanpassungen vorgenommen hatten. Die Kreditspreads zwischen den Staatsanleihen der Peripherieländer, darunter Italien, und Bundesanleihen explodierten regelrecht. Da die Eurozone von Anfang an auf der Idee basierte, dass der Übergang zu einer Einheitswährung Ausdruck eines starken politischen Wunsches und somit unumkehrbar ist, mussten Maßnahmen ergriffen werden, um die Zinsentwicklung wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Das Länderrisiko verwandelte sich somit unter der ruhigen Hand einer allmächtigen Europäischen Zentralbank (EZB) in ein politisches Risiko.

Inwiefern also ist die Lage am italienischen Anleihemarkt in der zweiten Jahreshälfte 2018 für die Anleger neu? Angesichts des stabileren Wirtschaftswachstums und der noch immer sehr niedrigen Zinsen könnte sich Italien theoretisch durchaus ein Haushaltsdefizit von zwei bis 2,4 Prozent über die kommenden drei Jahre leisten, ohne dass die Staatsschuldenquote ihr derzeitiges Niveau übersteigt. Warum also die Aufregung? Zunächst einmal, weil die Verschuldung Italiens mit 130 Prozent des BIP bereits sehr hoch ist, woraus sich eine Unsicherheit ergibt, die behoben werden muss. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass die für eine Stabilisierung des Defizits notwendigen Wachstumsszenarien und Prognosen zur Zinsentwicklung nur sehr schwer zu realisieren sein werden. So verlangsamt sich das italienische Wirtschaftswachstum teilweise bereits, und auch die gesamte europäische Konjunktur zeigt Anzeichen einer Abkühlung. Zudem ist die politische Unsicherheit bereits zu einem Selbstläufer geworden: Sie führt zu einer Ausweitung der Kreditspreads, wodurch wiederum die Kosten italienischer Staatsanleihen steigen und das Wachstumspotenzial eingeschränkt wird.

Das größte Risiko ist jedoch, dass das Haushaltsdefizit vor dem Hintergrund einer Konjunkturverlangsamung über zwölf bis 24 Monate außer Kontrolle gerät: Ohne ein erneutes und überzeugendes politisches Einschreiten wird die Sorge der Märkte im Hinblick auf die Schuldentragfähigkeit Italiens den Ruf nach höheren Zinsen lauter werden lassen und somit zu einer zusätzlichen Belastung des Staatshaushalts führen. Dies würde die italienische Wirtschaft in einen Teufelskreis stürzen. Neu ist indes, dass der politische Rettungsschirm erste Risse bekommen hat. Zum anderen hat die EZB zur Verteidigung des europäischen Gedankens ihre Munition bereits weitgehend verschossen. Somit besteht die Gefahr, dass die Politik wirtschaftlichen Problemen im Ernstfall machtlos gegenübersteht. Anleger sollten sich darauf vorbereiten, sich erneut mit dem Problem des Länderrisikos auseinanderzusetzen. Dieses Mal jedoch ohne Sicherheitsnetz.

Zur Person: Didier Saint-Georges ist Mitglied des Investmentkomitees bei Carmignac und hat mehr als 30 Jahre Erfahrung im Investmentgeschäft. Der Fonds Carmignac Patrimoine zählt zu den bekanntesten und -volumenstärksten -Mischfonds überhaupt. Mehr als 25 Milliarden Euro sind derzeit in dem ausgewogenen Mixportfolio angelegt. Bis zu 50 Prozent des Vermögens dürfen in -Aktien investiert sein.