Sie kommt fast auf die Minute genau, ist sofort präsent. Stilvoller Auftritt, hellwach und kompetent - so wirkt Bettina Stark-Watzinger, die erst seit 2017 für die FDP im Bundestag sitzt und gleich Vorsitzende des Finanzausschusses wurde. Die Volkswirtin ist seit wenigen Wochen zusätzlich auch parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion. Auf der Berliner Bühne ist die Mutter zweier Töchter zwar eine politische Newcomerin. Doch in der hessischen FDP, wo sie von 2015 bis 2019 als Generalsekretärin ihrer Partei reüssierte und heute stellvertretende Landesvorsitzende ist, wurde sie als ministrabel gehandelt, sollte die FDP für ein Bündnis mit der Union oder gar ein Jamaika-Bündnis in Wiesbaden gebraucht werden. Doch das starke Abschneiden der Grünen 2018 brachte Schwarz-Grün in Hessen eine solide Mehrheit.

Brutaler Gegenwind


Wer beklagt, dass die FDP mit Christian Lindner in der Öffentlichkeit nur noch als One-Man-Partei wahrgenommen wird, übersieht, dass in der Berliner Fraktion eine Reihe von kompetenten Persönlichkeiten arbeitet. Zu diesem Kreis zählt ganz sicher die Finanzausschussvorsitzende, die am vergangenen Wochenende auch persönlich in Hamburg Wahlkampf machte. Doch der brutale Gegenwind, den die FDP nach der Wahl ihres Fraktionsvorsitzenden Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten erfährt, der nur dank der Unterstützung durch die AfD gelang, lässt die FDP in Hamburg womöglich an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Stark-Watzinger jedenfalls, die auch im Vorstand der liberalen Friedrich-­Naumann-Stiftung sitzt, distanzierte sich bereits am Tag nach der Wahl von der Annahme des Amts durch den Thüringer FDP-Kollegen.

Kernanliegen der FDP-Politikerin ist eine Revitalisierung marktwirtschaftlicher Ordnungsprinzipien, die auf das Zutrauen in die eigenverantwortliche Leistungsbereitschaft der Bürger setzt. Notwendig dafür sind aber Rahmenbedingungen des Staats, die diese Eigeninitiative nicht ersticken, sondern die Menschen ermutigen: durch ein faires Steuersystem, gute Bildungschancen für alle, durch eine Politik, die den Vermögensaufbau befördert und nicht bestraft. So lässt sich das Credo der FDP-Politikerin zusammenfassen, damit auch künftig in unserer Wirtschaftsordnung "Wohlstand für alle" möglich ist.

€uro am Sonntag: Annegret Kramp-Karrenbauer gibt den parteiinternen Kampf um die Merkel- Nachfolge auf, kündigt auch den Verzicht auf den Parteivorsitz an. Ihre Reaktion?
Stark-Watzinger: Gefreut habe ich mich darüber nicht, auch wenn ich durchaus eine Kritikerin der Politik der Union der letzten Jahre war. Dieses Regieren nach Umfragewerten, diese Politik der asymmetrischen Demobilisierung, was nichts anderes heißt, als keine eigene Position beziehen zu wollen, um bei niemandem anzuecken: Das goutieren die Wähler langfristig nicht. Die wollen eine Auswahl haben zwischen unterschiedlichen Positionen.

Nach der Wahl Ihres Parteifreunds Thomas Kemmerich im Thüringer Landtag scheint dieses Land vor ­allem eine Frage zu elektrisieren: Wie hältst du es mit der AfD? Wenn die Abgrenzung von der AfD zum Hauptmaßstab der deutschen ­Politik wird, dann werden FDP und Union künftig strukturell mit linken Mehrheiten leben müssen.
In der Tat müssen wir aufpassen, dass wir nicht in eine Falle tappen und unsere Kommunikation entsprechend anpassen. Wir wissen, wofür wir stehen. Die FDP verkörpert einen Gegenentwurf zu einer nationalistischen, einer rückwärtsgewandten Politik. Wir stehen für Weltoffenheit. Ich halte es für falsch, dass Kemmerich in Thüringen ein Amt angenommen hat, das er den Stimmen der AfD zu verdanken hat. Damit hat sich an unserer liberalen Grundhaltung nichts geändert.

Alexander Gauland hat seinen ­Thüringer AfD-Abgeordneten empfohlen, sie sollten einfach bei der ­anstehenden Neuwahl im Landtag den Linken Bodo Ramelow wählen. Dann müsste Ramelow doch nach dem Furor, den die Kemmerich-Wahl dank AfD auslöste, auch seine eigene Wahl ablehnen.
Ich erlebe die AfD im Bundestag jetzt schon eine Weile. Es ist eine Fraktion, die mittels der Geschäftsordnung für eine gewisse Unruhe, ja auch für Obstruktion sorgt. Sie versucht den parlamentarischen Ablauf zu blockieren. In Thüringen hat die AfD gezeigt, dass noch mehr passieren kann. Man stellt zum Schein einen eigenen Kandidaten auf, wählt ihn aber im entscheidenden Wahlgang nicht. Bei aller Wut, die Wähler der AfD auf die etablierte Politik haben, sollten sie sich bewusst machen, dass sie mit ihrer Stimme Leute in die Parlamente wählen, die von unseren demokratischen Institutionen zwar beruflich leben, sie aber von innen heraus gleichzeitig kaputtmachen wollen.

Mit dieser Berliner Lesart kommt man aber bei Millionen AfD-Wählern, deren Vertrauen in die etablierten Parteien gegen null tendiert, nicht sonderlich weit. Warum greifen die etablierten Parteien nicht einfach die Themen konkret auf, die viele frustrierte Bürger in den Wahlprotest treiben?
Eine klare Abgrenzung nach rechts ist nötig. Aber damit haben wir natürlich das Problem des Vertrauensverlusts der Politik beim Volk mitnichten gelöst. Wenn Parteien vorwiegend damit beschäftigt sind, Konkurrenten dadurch zu delegitimieren, dass man sie der Kumpanei mit der AfD bezichtigt, dann ruft der politikfrustrierte Bürger gewiss nicht Hurra. Auch die Tatsache, dass wir uns in der Berliner Käseglocke jetzt mindestens monatelang mit der Frage beschäftigen, wer Kanzlerkandidat der Union wird, statt uns um berechtigte Anliegen der Bürger zu kümmern - Infrastrukturplanung, digitale Flächenversorgung, Altersvorsorge in Zeiten des Nullzinses, hohe Steuer- und Abgabenlast -, wird beim Wähler keine Begeisterung auslösen.

Warum reüssieren die Liberalen ausgerechnet in einer Zeit nicht, in der unsere marktwirtschaftliche Ordnung systematisch in eine Planwirtschaft umstrukturiert wird?
Wir leben in einer Zeit, in der das Vertrauen und das Verständnis von Marktprozessen schwindet. Clemens Fuest vom Ifo-Institut spricht von Neo-Dirigismus. Fragt man Schüler, was sie im Fach Politik und Wirtschaft gerade machen, stellt man fest, dass sie über Angebots- und Nachfrageprozesse nichts vermittelt bekommen, dafür aber über Arbeitslosigkeit und sozialen Frieden zuerst gelehrt wird. Natürlich gehört soziale Absicherung auch zu unserer Wirtschaftsordnung. Aber vor dem Verteilen steht nun einmal das Erwirtschaften. Auch eine faire Wettbewerbsordnung ist eine Grundbedingung unserer Wirtschaftsordnung. Nicht einige Hundert Parlamentarier entscheiden darüber, was sich im Markt durchsetzt und zu welchen Preisen, sondern Millionen von Verbraucherinnen und Verbrauchern wie auch Hunderttausende von Produzenten und Dienstleistern.

Der Berliner Senat deckelt die Mieten und verhindert damit Investitionen. Doch die Bevölkerungsmehrheit findet das gut. In vielen Fällen stößt eine marktwirtschaftsfeindliche Politik auf Zustimmung der Bürger. Sind wir ökonomische Analphabeten geworden, obwohl der deutsche Wohlstand doch ein Produkt unserer Wirtschaftsordnung ist?
In seiner letzten Rede hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck das wunderbar formuliert: "Die Demokratie ist kein politischer Versandhandel. Sie ist das Mitwirken am eigenen Schicksal." Dieser Geist, der auf persönlicher Leistungs­bereitschaft und -fähigkeit beruht, muss auch in anderen Parteien wieder geweckt werden. Der Mensch ist nicht in erster Linie Opfer, dem die Politik in allen Lebenslagen helfen muss, weil er zu schwach ist und es nicht schafft. Liberale trauen den Menschen etwas zu, wertschätzen ihre Eigeninitiative. Diese positive Grundhaltung muss die Politik viel stärker transportieren.

Dann muss aber die Finanzpolitik dafür Sorge tragen, dass sich Eigen­initiative und Leistung auch lohnen. Die hohe Steuer- und Abgabequote in Deutschland entfaltet doch eher Abschreckungswirkung.
Mir fehlt in dieser Bundesregierung der Wille, Zeichen zu setzen, dass sich Einsatzbereitschaft lohnt. Wir können über den Mittelstandsbauch im Einkommensteuerrecht sprechen, den wir abflachen müssen. Die obere Proportionalzone sollten wir dringend anheben, weil sonst immer mehr Menschen in den Spitzensteuersatz hineinwachsen. Und natürlich gehört der Solidaritätszuschlag für alle abgeschafft, und zwar rückwirkend zum 1. Januar.

Kurzvita

Bettina Stark-Watzinger
lebt in Bad Soden am Taunus. Im Anschluss an ihr Studium der Volkswirtschaftslehre war sie zwischen 1993 und 2006 in der Finanzbranche tätig und ist seit 2017 Abgeordnete im Deutschen Bundestag. Sie war von 2015 bis 2019 General­sekretärin der hessischen FDP und ist jetzt stellvertretende Landesvorsitzende. Seit April 2017 ist sie Mitglied des FDP-Bundesvorstands und seit 2017 Abgeordnete des Deutschen Bundestags. Ende Januar 2020 wurde sie zur Parlamentarischen Geschäftsführerin der FDP-Bundestagsfraktion gewählt.